Arbeitsrecht

Nachgewährung von bereits genehmigtem Urlaub wegen einer während dieses Zeitraums angeordneten Quarantäne?

Die Rechtsprechung ist sich bislang uneins bei der Beantwortung der Frage, wie rechtlich zu verfahren ist, wenn sich ein nicht arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer während seines genehmigten Urlaubs in Quarantäne begeben muss.

 

Rechtsprechung:

Mit der Festlegung des Urlaubszeitraumes und der vorbehaltlosen Zusage des Urlaubsentgelts hat der Arbeitgeber als Schuldner des Urlaubsanspruchs grundsätzlich das nach § 7 Abs. 1 BUrlG Erforderliche getan. Der Anspruch auf bezahlten Urlaub selbst hat ausschließlich die Freistellung von der Arbeitspflicht und die Zahlung des Urlaubsentgelts zum Gegenstand. Hierauf ist die Erfüllungshandlung des Arbeitgebers bezogen. Einen darüberhinausgehender Urlaubserfolg schuldet der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts grundsätzlich nicht.

Alle danach eintretenden urlaubsstörenden Ereignisse fallen dementsprechend als Teil des persönlichen Lebensschicksals grundsätzlich in den Risikobereich des einzelnen Arbeitnehmers. Nur soweit der Gesetzgeber (oder die Tarifvertragsparteien) besondere Regelungen zur Nichtanrechnung bestimmter Zeiten auf den Urlaub treffen, findet eine Umverteilung des Risikos zu Gunsten des Arbeitnehmers statt. In diesem Sinne hat der Gesetzgeber in § 9 BUrlG geregelt, dass die durch ärztliches Zeugnis nachgewiesenen Tage der Arbeitsunfähigkeit nicht auf den Jahresurlaub angerechnet werden, wenn ein Arbeitnehmer während des Urlaubs erkrankt. Diese gesetzliche Regelung des § 9 BUrlG ist jedoch dann nicht unmittelbar anwendbar, wenn der Arbeitnehmer im Fall der Quarantäne gerade nicht arbeitsunfähig erkrankt ist.

Ob die Regelung des § 9 BUrlG in diesem Fall analog anzuwenden ist, ist in der landesarbeitsgerichtlichen Rechtsprechung umstritten und bislang nicht abschließend geklärt.

Das Landesarbeitsgericht Hamm hält in seiner Entscheidung vom 27.01.2022 (5 Sa 1030/21) im Fall einer angeordneten Quarantäne eine Vergleichbarkeit mit der Situation eines arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmers für gegeben und wendet also in der vorliegenden Fallkonstellation die Regelung des § 9 BUrlG analog mit der Folge an, dass der Urlaubsanspruch während der Quarantäne nicht verbraucht und damit im Ergebnis nach zu gewähren ist. Das Landesarbeitsgericht Hamm argumentiert in diesem Zusammenhang, dass der Arbeitgeber zwar keinen „Urlaubserfolg“ schulde. Der Arbeitnehmer solle aber zur Erfüllung des Urlaubsanspruchs von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt werden, um ihm die uneingeschränkte Möglichkeit selbstbestimmter Nutzung seiner Freizeit zu geben. Die Quarantänebestimmungen verhinderten dieses abstrakt gesehen generell, da sie bestimmten, wo sich eine Person aufhalten muss, mit wem sie Kontakt haben darf und ob sie sich ggf. Untersuchungen unterziehen muss, mit der Folge, dass sie für diese Untersuchung auch zur Verfügung stehen muss. Nicht zu vernachlässigen sei dabei auch, dass der Zeitraum der Quarantäne mit der Belastung verbunden sei, einen jederzeitigen schweren Ausbruch der Erkrankung erfahren zu können. Die Anordnung einer Quarantäne stehe damit einer freien, selbstbestimmten Gestaltung des Urlaubszeitraums diametral gegenüber, unabhängig davon, wie der einzelne Betroffene dieses persönlich empfinde.

Dagegen ist das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg in seiner Entscheidung vom 16.02.2022 (10 Sa 62/21) der Rechtsansicht, dass die Vorschrift des § 9 BUrlG in der vorliegenden Konstellation keine analoge Anwendung finden kann und damit der Urlaubsanspruch eines in Quarantäne befindlichen Arbeitnehmers im Umfang des vom Arbeitgeber gewährten Urlaubs erfüllt und das Urlaubsguthaben des Arbeitnehmers entsprechend verringert werde. Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg argumentiert in diesem Zusammenhang unter anderem, dass die Bestimmung des § 9 BUrlG keine verallgemeinerungsfähige Ausnahmevorschrift sei. Ihre entsprechende Anwendung auf andere urlaubsstörende Ereignisse und Tatbestände, aus denen sich eine Beseitigung der Arbeitspflicht des Arbeitnehmers ergebe, komme grundsätzlich nicht in Betracht. Der Gesetzgeber habe nur die Arbeitsunfähigkeit als bedeutsamen Umstand angesehen, der einen Anspruch auf Nachgewährung von Urlaub begründe. Unerheblich sei auch, ob die Quarantäne wegen des Kontakts des Arbeitnehmers mit einem infizierten Kollegen am Arbeitsplatz erfolgt sei. Eine vergleichbare Interessenlage zwischen der Anordnung der Quarantäne einerseits und der Arbeitsunfähigkeit andererseits sei nicht festzustellen. Dem Arbeitnehmer sei zwar jede Aktivität draußen nicht möglich, drinnen könne er sich jedoch frei bewegen.

Auch das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein hat am 15.02.2022 (1 Sa 208/21) entschieden, dass § 9 BUrlG in der vorliegenden Konstellation keine analoge Anwendung findet. Ein Ausnahmesachverhalt, der die Aufrechterhaltung des Urlaubsanspruchs kraft gesetzlicher Vorschriften zu Gunsten des Arbeitnehmers regele, bestehe nicht. Es fehle bereits an einer planwidrigen Lücke und auch an einer vergleichbaren Interessenlage. An einer solchen vergleichbaren Interessenlage fehle es schon deshalb, weil es Vorgaben für den Arbeitnehmer, wie dieser seinen Urlaub zu verbringen habe, nicht gebe. Der Urlaubszweck selbst sei die Erholung. Wie der Arbeitnehmer sich erhole, bleibe ihm überlassen. Er könne den Urlaub auch während der gesamten Zeit zu Hause spielend vor der PC-Konsole oder im Wohnzimmer liegend verbringen. Auch in diesen Fällen werde der Arbeitnehmer durch eine Absonderung überhaupt nicht in der Verwirklichung des Urlaubszweckes beeinträchtigt. Die analoge Anwendung von § 9 BUrlG könne im Ergebnis nicht davon abhängen, wie ein Arbeitnehmer im konkreten Fall beabsichtige, seinen Urlaub zu verbringen.

Zu dieser Frage gibt es noch weitere landesarbeitsgerichtliche Entscheidungen, so sprechen sich auch die Landesarbeitsgerichte Düsseldorf und Köln gegen eine analoge Anwendung des § 9 BUrlG in der vorliegenden Konstellation aus. Diese Frage ist also in der landesarbeitsgerichtlichen Rechtsprechung bislang nicht abschließend geklärt. Dementsprechend laufen mehrere Revisionsverfahren vor dem Bundesarbeitsgericht, welches im Ergebnis eine Klärung der vorliegenden Rechtsfrage herbeiführen sollte. Es bleibt also abzuwarten, wie das Bundesarbeitsgericht diese Rechtsfrage entscheiden wird. Soweit ersichtlich hat das Bundesarbeitsgericht in dem vom Landesarbeitsgericht Hamm entschiedenen Fall einen Termin auf August 2022 anberaumt.

 

Praxisfolgen:

Arbeitgebern ist bis zu einer abschließenden Klärung dieser Rechtsfrage durch das Bundesarbeitsgericht zu raten, die Nachgewährung von Urlaub abzulehnen, wenn Arbeitnehmer, die ohne arbeitsunfähig erkrankt zu sein sich während ihres genehmigten Urlaubs in Quarantäne befanden, dies einfordern sollten.

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