In einer neueren Entscheidung hat sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit der Frage auseinandergesetzt, ob auch Fremdgeschäftsführer einer GmbH Arbeitnehmer im Sinne des BUrlG sein können und hat die Frage im Ergebnis bejaht (BAG v. 25.07.2023, Az. 9 AZR 43/22).
Die Entscheidung des BAG:
Die Klägerin war zunächst als Arbeitnehmerin bei einer GmbH beschäftigt und wurde sodann zur Geschäftsführerin bestellt und im Handelsregister als Geschäftsführerin eingetragen. Die Klägerin war Fremdgeschäftsführerin, verfügte also nicht über eine Mehrheitsbeteiligung oder Sperrminorität. Nach Weisung der Gesellschaft hatte die Klägerin arbeitstäglich eine Arbeitszeit von 07:00-18:00 Uhr einzuhalten. Vormittags musste sie am Telefon Kaltakquise durchführen und am Nachmittag hatte sie in eigener Initiative Leistungen anzubieten. Sie wurde im Außendienst zu Kundenbesuchen mit Kontroll- und Überwachungsaufgaben eingesetzt. Sie hatte wöchentlich 40 Telefonate und 20 Besuche nachzuweisen. Zudem führte die Klägerin Vorstellungsgespräche und Einstellungsverhandlungen. Die Klägerin legte in der Folgezeit ihr Amt als Geschäftsführerin aufgrund Erkrankung nieder und kündigte später das Vertragsverhältnis selbst. Die Klägerin verlangte mit der zum Arbeitsgericht erhobenen Klage eine Abgeltung des bei Beendigung des Anstellungsverhältnisses noch offenen Urlaubes gem. § 7 Abs. 4 BUrlG.
Das Arbeitsgericht hatte der Klage überwiegend stattgegeben und das Landesarbeitsgericht die dagegen eingelegte Berufung der Gesellschaft zurückgewiesen. Das Bundesarbeitsgericht hat in der genannten Entscheidung der Klägerin den Urlaubsabgeltungsanspruch nach dem Bundesurlaubsgesetz zuerkannt.
Nach Auffassung des BAG waren die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs. 4 BUrlG in der vorliegenden Sachverhaltskonstellation erfüllt. Das BAG hat es in diesem Zusammenhang nicht für entscheidend angesehen, ob die Klägerin nach nationalem Recht als Arbeitnehmerin anzusehen ist. Im Hinblick auf die Anwendbarkeit des Bundesurlaubsgesetzes ist nach der Entscheidung des BAG nämlich der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff maßgeblich. Durch das BUrlG werden die Vorgaben des Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG umgesetzt. Die nationalen Gerichte sind gehalten, innerstaatliches Recht so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks der fraglichen Richtlinie auszulegen, um das in der Richtlinie festgesetzte Ziel zu erreichen. Der Arbeitnehmerbegriff im Rahmen der Richtlinie 2003/88/EG ist anhand objektiver Kriterien zu definieren, die das Arbeitsverhältnis unter Berücksichtigung der Rechte und Pflichten der betreffenden Personen kennzeichnen. Als „Arbeitnehmer“ ist danach jeder anzusehen, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt und insoweit während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisungen Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) ist es nicht ausgeschlossen, dass das Mitglied des Leitungsorgans einer Kapitalgesellschaft „Arbeitnehmer“ im Sinne des Unionsrechts ist, selbst wenn der Grad der Abhängigkeit oder Unterordnung eines Geschäftsführers bei der Ausübung seiner Tätigkeit geringer ist als der eines Arbeitnehmers im Sinne der üblichen Definition des Deutschen Rechts.
Danach war die Klägerin nach der Entscheidung des BAG als Arbeitnehmerin im Sinne des Unionsrechts zu qualifizieren. Das BAG hat in diesem Zusammenhang auf die angeordneten Arbeitszeiten, die Art der übertragenen Aufgaben und die einzuhaltenden Vorgaben im Hinblick auf die Anzahl der zu führender Telefonate und Besuche hingewiesen und diese Umstände in der vorliegenden Sachverhaltskonstellation für die Qualifikation der Klägerin als Arbeitnehmerin im Sinne des Unionsrechts ausreichen lassen.
Bewertung der Entscheidung:
Arbeitnehmer nach nationalem Recht ist, wer im Sinne eines anderen zur Leistung weisungsgebundene, fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Nach der Rechtsprechung des BAG fehlt es bei Fremdgeschäftsführerin einer GmbH in der Regel an der für den Arbeitnehmerstatus erforderlichen Weisungsgebundenheit. Nach europäischem Recht ist hingegen „Arbeitnehmer“, wer eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt und dabei während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisungen Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Die Stellung als Fremdgeschäftsführer einer GmbH, das heißt eines Geschäftsführers, der nicht zugleich Mehrheitsgesellschafter einer GmbH ist oder über eine Sperrminorität verfügt, steht dem nicht entgegen. Demnach können auch Fremdgeschäftsführer einer GmbH grundsätzlich Arbeitnehmer im Sinne des BurlG sein.
Bei der Bewertung der vorliegenden Entscheidung des BAG ist jedoch zu beachten, dass die von der Klägerin ausgeübten Tätigkeiten und die Handhabung des Anstellungsverhältnisses in der arbeitstäglichen Praxis für eine Geschäftsführerin eher untypisch waren. Die Klägerin war nach den Feststellungen des Gerichts zum einen weisungsgebunden tätig und zum anderen mit Aufgaben betreut, die nicht in den typischen Aufgabenbereich eines Geschäftsführers fallen. Nichtsdestotrotz hat die Entscheidung des BAG über den Einzelfall hinaus Bedeutung und macht noch einmal deutlich, dass allein die formelle Anstellung als Fremdgeschäftsführer die Anwendung des BurlG nicht ausschließt.
Folgen für die Praxis:
Unternehmen sollten daher bei der Anstellung von Fremdgeschäftsführern und deren Beschäftigung darauf achten, so wenig Anhaltspunkte wie möglich für das Vorliegen einer weisungsgebundenen Tätigkeit zu schaffen, wenn die Anwendbarkeit der europäisch geprägten Arbeitnehmerschutzvorschriften des BUrlG vermieden werden soll. Bei der Anwendbarkeit des BUrlG auf Fremdgeschäftsführer würden sich neben der gesetzlich geregelten Urlaubsabgeltung auch weitere Folgefragen stellen. In diesem Fall bestünde wohl auch für Fremdgeschäftsführer ein gesetzlicher Anspruch auf Mindesturlaub nach dem BurlG und es wären wohl auch die in der Rechtsprechung des BAG entwickelten Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers bei der Urlaubsgewährung zu berücksichtigen.
Die Entscheidung des BAG darf allerdings nicht so verstanden werden, dass die Anwendbarkeit des BUrlG für sämtliche Fremdgeschäftsführer gilt. Die Entscheidung des BAG betrifft den geschilderten Sachverhalt, welcher in Bezug auf die ausgeübte Tätigkeit eher einen Ausnahmefall darstellen dürfte. Offen bleibt auch nach der Entscheidung des BAG, wo im Hinblick auf den unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff bei Fremdgeschäftsführern genau die Grenze zwischen noch hinreichender Weisungsfreiheit und schon vorliegender Weisungsgebundenheit verläuft.