Anscheinsbeweis bei Zugang einer Kündigung per Einwurf-Einschreiben
In der nachstehend besprochenen Entscheidung hat sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit der Frage des Zugangszeitpunkts einer Kündigung befasst, welche per Einwurf-Einschreiben übersandt wurde, und hat die insoweit bestehende bisherige Rechtsprechung weiter konkretisiert (BAG, 25.06.2024, Az. 2 AZR 213/23).
Die Entscheidung des BAG:
In ihrem Arbeitsvertrag vereinbarten die Parteien eine Kündigungsfrist von einem Vierteljahr zum Quartalsende. Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.12.2021. Das Kündigungsschreiben wurde am 30.09.2021 von einem Bediensteten der Deutschen Post AG in den Hausbriefkasten der Arbeitnehmerin eingeworfen. Die Parteien streiten nun über den Zeitpunkt des Zugangs dieses Kündigungsschreibens. Die klagende Arbeitnehmerin bestritt in diesem Zusammenhang, dass der Einwurf des Schreibens in ihren Hausbriefkasten zu den üblichen Postzustellungszeiten erfolgt sei. Mit einer Entnahme durch die Arbeitnehmerin am Tag des Einwurfs des Kündigungsschreibens sei deshalb nicht zu rechnen gewesen. Die Arbeitnehmerin ist der Ansicht, dass das Kündigungsschreiben ihr erst am 01.10.2021 zugestellt worden sei, womit die Kündigung des Arbeitsverhältnisses frühestens zum 31.03.2022 beenden könne.
Das Arbeitsgericht und ihm folgend das Landesarbeitsgericht haben die Klage der Arbeitnehmerin zurückgewiesen. Das Bundesarbeitsgericht hat die von der Arbeitnehmerin eingelegte Revision zurückgewiesen.
Das Bundesarbeitsgericht hat zunächst auf die ständige Rechtsprechung hingewiesen, wonach eine verkörperte Willenserklärung unter Abwesenden zugeht, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt ist und für diesen unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von ihr Kenntnis zu nehmen. Zum Bereich des Empfängers gehören von ihm vorgehaltene Empfangseinrichtungen wie z.B. ein Briefkasten. Nach der ständigen Rechtsprechung belegt der Einwurf eines Schreibens in einen Briefkasten den Zugang, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme zu rechnen ist. Dabei ist nicht auf die individuellen Verhältnisse des Empfängers abzustellen. Im Interesse der Rechtssicherheit ist vielmehr eine generalisierende Betrachtung geboten. Wenn für den Empfänger unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, ist es unerheblich, ob er daran durch Krankheit, zeitweilige Abwesenheit oder andere besondere Umstände einige Zeit gehindert war. Den Empfänger trifft grundsätzlich die Obliegenheit, die nötigen Vorkehrungen für eine mögliche Kenntnisnahme zu treffen. Das Bundesarbeitsgericht hat bislang die Annahme einer Verkehrsanschauung nicht beanstandet, wonach bei Hausbriefkästen im Allgemeinen mit einer Leerung nach Abschluss der üblichen Postzustellungszeiten zu rechnen ist, die allerdings in der Praxis stark variieren können.
Das Bundesarbeitsgericht hat in der vorliegenden Entscheidung die Annahme des Arbeitsgerichts bestätigt, wonach in der vorliegenden Fallkonstellation ein Beweis des ersten Anscheins dafür bestehe, dass das Kündigungsschreiben am Zustellungstag zu den üblichen Postzustellungszeiten in den Hausbriefkasten der Arbeitnehmerin eingelegt wurde. Das Bundesarbeitsgericht hat dies damit begründet, dass das Schreiben von einem Bediensteten der Deutschen Post AG in den Hausbriefkasten der Arbeitnehmerin eingelegt wurde. Dieser Umstand begründe den Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Einwurf innerhalb der hier maßgeblichen postüblichen Zustellungszeiten erfolgt sei. Maßgeblich sei allein der Umstand, dass sich die üblichen Postzustellungszeiten aus der Arbeitszeit der Postbediensteten ergeben und die Zustellung vorliegend durch einen solchen Bediensteten erfolgt sei.
Das Bundesarbeitsgericht hat weiter ausgeführt, dass die Arbeitnehmerin diesen Beweis des ersten Anscheins nicht erschüttert habe. Sie habe keine atypischen Umstände des Einzelfalls dargelegt, die die ernsthafte Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs nahelegen und habe sich insoweit lediglich auf eine Erklärung mit Nichtwissen beschränkt.
Bewertung der Entscheidung:
Der Zugangszeitpunkt einer Kündigung kann nicht nur für die Einhaltung der Kündigungsfrist, sondern zum Beispiel auch für die Einhaltung der Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage oder die Einhaltung der zweiwöchigen Erklärungsfrist bei außerordentlicher Kündigung von entscheidender Bedeutung sein. Deshalb ist die Frage, wann ein Kündigungsschreiben dem Arbeitnehmer zugegangen ist, ein häufiger Streitpunkt vor den Arbeitsgerichten. Die Ansicht des Bundesarbeitsgerichts, wonach die Zustellung eines Schreibens durch einen Bediensteten der Deutschen Post AG den Beweis des ersten Anscheins begründet, dass die Zustellung des Schreibens zu den üblichen Postzustellungszeiten erfolgte, ist nachvollziehbar. Dieser Anscheinsbeweis kann zwar grundsätzlich durch den Arbeitnehmer erschüttert werden. Dabei darf sich der Arbeitnehmer aber nicht auf ein Bestreiten mit Nichtwissen beschränken, sondern muss atypische Umstände des Einzelfalls darlegen und Tatsachen nachweisen, die die ernsthafte, ebenfalls in Betracht kommende Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufes nahelegen.
Folgen für die Praxis:
Die Entscheidung zeigt, dass die Übersendung eines Einwurf-Einschreibens durch die Deutsche Post AG zu einer Beweiserleichterung hinsichtlich des Zustellzeitpunkts führen kann. Gleichwohl ist es nach wie vor nicht zu empfehlen, Kündigungen per Einwurf-Einschreiben zustellen zu lassen, da in diesem Fall zum Beispiel der Inhalt der Postsendung nicht sicher dokumentiert ist und die Gefahr von Zustellungsverzögerungen besteht. In der Praxis ist es vielmehr empfehlenswert, das Kündigungsschreiben möglichst persönlich an den Arbeitnehmer zu übergeben oder von einem Boten, der zuvor von dem Inhalt des Kündigungsschreibens Kenntnis genommen hat, möglichst früh am Zustellungstag in den Hausbriefkasten des Arbeitnehmers einwerfen zu lassen. Der Bote sollte sodann auf einer für den die Kündigung Erklärenden bestimmten Zweitschrift des Kündigungsschreibens einen Einwurf-Vermerk unter Angabe des Datums und der Uhrzeit anbringen. Auf diese Weise dürfte im Regelfall der Zeitpunkt der Zustellung des Kündigungsschreibens nachgewiesen werden können.