Nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes kann die Androhung einer betriebsbedingten Kündigung für den Fall, dass ein unterbreitetes Angebot zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages abgelehnt wird, einen Rechtschutzfall auslösen.
BGH, Urteil vom 19.11.2008, Az.: IV ZR 305/07
Sachverhalt:
Der Kläger begehrte aus einer bei der Beklagten unterhaltenen Rechtschutzversicherung Erstattung gezahlter Rechtsanwaltskosten. Dem Vertrag lagen „allgemeine Bedingungen für die Rechtschutzversicherung“ (ARB) zugrunde. Versichert waren danach Familien- und Verkehrsrechtschutz für Nichtselbstständige, der nach den ARB auch „die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus Arbeitsverhältnissen“ umfasste.
Anfang 2006 teilte die Arbeitgeberin, bei der der Kläger in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis stand, ihm mit, dass sein Arbeitsplatz im Rahmen eines Restrukturierungsprogrammes gestrichen und ihm gekündigt werde, wenn er nicht den ihm angebotenen Aufhebungsvertrag annehme. Darüber hinaus wurde dem Kläger mitgeteilt, dass im Falle einer Kündigung es für ihn – anders als bei der Annahme des Aufhebungsvertrages – keine Abfindung geben würde. Auf Nachfrage erklärte die Personalabteilung, dass eine Sozialauswahl stattgefunden habe, nähere Angaben hierzu aber – weil „interne Personaldaten“ – nicht gemacht werden könnten.
Die im Anschluss daran vom Kläger beauftragten Rechtsanwälte nahmen gegenüber seiner Arbeitgeberin zu den geplanten Maßnahmen Stellung. Ferner baten Sie die Beklagte um Erteilung einer Deckungszusage. Darin hieß es u.a.: „… wurde von der Arbeitgeberin massiv aufgefordert, eine Aufhebungsvereinbarung zu unterzeichnen. Eine derartige Vorgehensweise verstößt gegen die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers und stellt damit eine Vertragsverletzung dar. Ansonsten wurde dem Mandanten eine Kündigung in Aussicht gestellt, die Ihrerseits ebenfalls rechtswidrig wäre…“
Im März 2006 wurde der Kläger in den Betriebsrat gewählt; eine Kündigung erfolgte nicht mehr.
Die Beklagte lehnte den begehrten Versicherungsschutz ab. Ein Versicherungsfall sei nach ihrer Auffassung in Ermangelung eines Verstoßes gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften nicht eingetreten. Das bloße Inaussichtstellen einer Kündigung begründe – als reine Absichtserklärung – noch keine Veränderung der Rechtsposition des Klägers.
Nachdem das Amtsgericht der Klage stattgegeben und das Berufungsgericht die Berufung zurückgewiesen hatte, blieb auch die Revision der Beklagten vor dem Bundesgerichtshof ohne Erfolg.
Der Bundesgerichtshof teilte die Auffassung des Berufungsgerichts, wonach bereits in der Androhung einer betriebsbedingten Kündigung ein Rechtsverstoß im Sinne von § 14 (3) Satz 1 ARB liege. Damit sei der Versicherungsfall eingetreten. Mit der Erklärung des Arbeitgebers, an seiner vertraglich übernommenen Beschäftigungspflicht nicht mehr festzuhalten, sei die rechtschutzauslösende Pflichtverletzung – unabhängig davon, ob die in Aussicht gestellte Kündigung rechtmäßig war – begangen und beginne die sich vom Rechtschutzversicherer übernommene Gefahr zu verwirklichen.
Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs war die Beklagte aus der zwischen den Parteien bestehenden Rechtschutzversicherung nach § 1 (1) Satz 1, 2a) ARB verpflichtet, dem Kläger Versicherungsschutz zu gewähren und ihm die geltend gemachten Anwaltskosten zu erstatten. Der Rechtschutzfall sei nach dem insoweit ausschließlich maßgeblichen Klägervortrag zu dem Vorgehen seiner Arbeitgeberin, mit dem er ihr eine Vertragsverletzung vorhielt, eingetreten.
Der Versicherungsfall gemäß § 14 (3) Satz 1 ARB gelte in dem Zeitpunkt als eingetreten, in dem der Versicherungsnehmer, der Gegner oder ein Dritter begonnen habe oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen. Auf Differenzierungen vor allem zwischen Kündigungsandrohung und Kündigungsausspruch, verhaltens- und betriebsbedingten Kündigungen und eingetretenen oder noch bevorstehenden Beeinträchtigungen der Rechtsposition des Versicherungsnehmers komme es nicht an. Ebenso wenig gebe es eine besondere Fallgruppe für Kündigungen von Vertragsverhältnissen oder gar speziell für betriebsbedingte Kündigungen von Arbeitsverhältnissen. Entscheidend sei allein die Behauptung des Versicherungsnehmers, mit denen er seinem Vertragspartner einen Pflichtenverstoß anlaste.
Aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen, um Verständnis bemühten Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse sei ein Rechtschutzfall im Sinne von § 14 (3) Satz 1 ARB anzunehmen, wenn das Vorbringen des Versicherungsnehmers (erstens) einen objektiven Tatsachenkern – im Gegensatz zu einem bloßen Werturteil – enthalte, mit dem er (zweitens) den Vorwurf eines Rechtsverstoßes verbinde und worauf er dann (drittens) seine Interessenverfolgung stütze. Der vorgetragene Tatsachenkern müsse dabei die Beurteilung erlauben, ob der damit beschriebene Vorgang den zwischen den Parteien ausgesprochenen Konflikt jedenfalls mit ausgelöst hat, also geeignet gewesen ist, den Keim für eine (zukünftige) rechtliche Auseinandersetzung zu legen. Weiterer qualifizierender Voraussetzungen bedürfe es insofern nicht. Auf dieser Grundlage löse bereits eine bloße Behauptung eines Pflichtverstoßes unabhängig von ihrer Berechtigung oder Erweislichkeit den Versicherungsfall aus. Auf die Schlüssigkeit, Substantiiertheit oder Entscheidungserheblichkeit dieser Behauptung in den jeweiligen Auseinandersetzungen komme es dagegen nicht an. Erst Recht spiele es keine Rolle, ob es nach dieser Darstellung tatsächlich zu einem Verstoß gekommen sei, der dann auch noch den Vertragspartner bereits in seiner Rechtsposition beeinträchtige. Entscheidend sei vielmehr, ob eine behauptete Pflichtverletzung zur Grundlage einer rechtlichen Streitigkeit werde. Das sei der Fall, wenn eine der streitenden Parteien den so umschriebenen – angeblichen – Verstoß der Gegenseite zur Stützung seiner Position heranziehe.
Dieses weite Verständnis des Rechtschutzfalles trage den Interessen beider Vertragspartner Rechnung. Dem Versicherer bleibe je nach Sachlage der Einwand mangelnder Erfolgsaussicht unbenommen und der Versicherungsnehmer sei vor einer insoweit sonst drohenden – schleichenden – Aushöhlung des Leistungsversprechens bewahrt.
Bewertung der Entscheidung:
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist zu begrüßen. In vielen Fällen gingen Rechtschutzversicherungen davon aus, bei Kündigungsdrohung nicht eintreten zu müssen. Dem ist der Bundesgerichtshof entgegengetreten, indem er die Androhung einer Kündigung als Verletzung der Fürsorgepflicht und damit als Rechtschutzfall bejahte. Für Rechtschutzversicherungen ist es damit schwieriger geworden, sich der Inanspruchnahme aus bestehenden Verträgen zu entziehen.
Praxisfolgen:
Für Versicherungsnehmer wird es darauf ankommen, die Kündigungsandrohung ihres Arbeitgebers belegen zu können. Dies ist problemlos möglich, wenn die Androhung schriftlich dokumentiert oder eindeutig mündlich (im Beisein von Zeugen) ausgesprochen worden ist. Entscheidend kommt es aber zudem auch auf die jeweiligen Versicherungsbedingungen an. Mittlerweile verwenden viele Rechtschutzversicherungen Vertragsbedingungen, welche die Übernahme von Anwaltskosten bei angedrohten Kündigungen ausdrücklich ausschließen oder die Übernahme außergerichtlicher Kosten begrenzen.