Arbeitsrecht:

Anspruch auf Annahmeverzugslohn nach unwirksamer arbeitgeberseitiger Kündigungen bei unterbliebener Arbeitslosmeldung?

Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung vom 12.10.2022 zu der Frage Stellung genommen, ob allein eine unterbliebene Arbeitslosmeldung des Arbeitnehmers nach Ausspruch einer im Ergebnis rechtsunwirksamen arbeitgeberseitigen Kündigung dazu führt, dass sich der Arbeitnehmer böswillig unterlassenen anderweitigen Verdienst auf seine Annahmeverzugslohnansprüche anrechnen lassen muss.

(Bundesarbeitsgericht vom 12.10.2022, 5 AZR 30/22).

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts:

Die Parteien stritten unter anderem über Vergütungsansprüche des Arbeitnehmers wegen Annahmeverzugs nach Ausspruch einer arbeitgeberseitigen außerordentlichen und hilfsweise ordentlichen Kündigung. In dem vom Arbeitnehmer eingeleiteten Kündigungsschutzverfahren wurde zuvor rechtskräftig festgestellt, dass die ausgesprochenen arbeitgeberseitigen Kündigungen rechtsunwirksam sind, worauf der Arbeitnehmer die ihm für den Zeitraum nach Ausspruch der außerordentlichen Kündigungen zustehenden Entgeltansprüche als Annahmeverzugsforderung gerichtlich geltend machte. Unstreitig hat sich der Arbeitnehmer nach Ausspruch der Kündigungen nicht bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend gemeldet und auch die Vermittlung der Bundesagentur für Arbeit nicht in Anspruch genommen. In dem Kündigungsschreiben selbst hat die Arbeitgeberin den Arbeitnehmer nicht über seine Pflicht zur Arbeitslosmeldung informiert. Die Arbeitgeberin hat gegen die Annahmeverzugsansprüche eingewandt, dass der Arbeitnehmer böswillig anderweitigen Verdienst unterlassen habe. Bereits die Verletzung der sozialversicherungsrechtlichen Pflicht zur Meldung bei der Agentur für Arbeit nach Ausspruch der Kündigung indiziere die Böswilligkeit. Es sei davon auszugehen, dass die Agentur für Arbeit dem Arbeitnehmer eine entsprechende Position mit vergleichbarer Vergütung hätte vermitteln können.

Das Arbeitsgericht hat der Klage auf Annahmeverzugslohn stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Entscheidung des Arbeitsgerichts insoweit aufgehoben und die Klage auf Annahmeverzugslohn zurückgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat dieses Ergebnis allein mit der unterlassenen Meldung des Arbeitnehmers bei der Agentur für Arbeit nach Ausspruch der Kündigungen begründet.

Das Bundesarbeitsgericht hat zunächst festgestellt, dass die Voraussetzungen des Annahmeverzuges ab dem Zeitpunkt des Zugangs der außerordentlichen Kündigung erfüllt sind, weil die Arbeitgeberin den Arbeitnehmer in diesem Zeitraum nicht beschäftigt und sich aufgrund ihrer unwirksamen Arbeitgeberkündigungen im Annahmeverzug befunden habe. Da in diesem Zeitraum nach rechtskräftiger Entscheidung des Arbeitsgerichts über die Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigungen das Arbeitsverhältnis fortbestand, richte sich die Anrechnung anderweitigen Verdienstes nach § 11 Nr. 2 KSchG und nicht nach dem weitgehend inhaltsgleichen § 615 S. 2 BGB.

Das Bundesarbeitsgericht hat weiter ausgeführt, dass ein Arbeitnehmer anderweitigen Verdienst im Sinne des § 11 Nr. 2 KSchG böswillig unterlasse, wenn ihm ein Vorwurf daraus gemacht werden könne, dass er während des Annahmeverzuges trotz Kenntnis aller objektiven Umstände vorsätzlich untätig bleibe und eine ihm nach Treu und Glauben unter Beachtung des Grundrechts auf freie Arbeitsplatzwahl zumutbare anderweitige Arbeit nicht aufnehme oder die Aufnahme der Arbeit bewusst verhindere. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist dabei maßgeblich auf die gesamten Umstände des Einzelfalls abzustellen. Erforderlich für die Beurteilung der Böswilligkeit sei stets eine unter Berücksichtigung der Umständen des konkreten Einzelfalls vorzunehmende Gesamtabwägung der beiderseitigen Interessen. Das Bundesarbeitsgericht führt in diesem Zusammenhang aus, dass allein die Verletzung der sozialversicherungsrechtlichen Meldepflicht des Arbeitnehmers nach Ausspruch der Kündigung noch nicht dazu führe, dass der Arbeitnehmer anderweitigen Verdienst böswillig unterlassen habe. Bei der Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs „Böswilligkeit“ seien auch die sonstigen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Das Landesarbeitsgericht habe eine solche Gesamtwürdigung unterlassen, sodass das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und der Rechtsstreit zur weiteren Verhandlung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen wurde.

In diesem Zusammenhang hat das Bundesarbeitsgericht darauf hingewiesen, dass die Verletzung der Meldepflicht bei der Agentur für Arbeit gem. § 38 Abs. 1 SGB III im Rahmen der durchzuführenden Gesamtabwägung zu berücksichtigen sei. Der Arbeitnehmer dürfe nicht vorsätzlich verhindern, dass ihm eine zumutbare Arbeit angeboten werde. Dies betreffe auch Fälle, in denen sich der Arbeitnehmer typischen Informationsangeboten – etwa denen der Agentur für Arbeit und des Jobcenters – verschließe, auch wenn er noch keine konkreten Stellenangebote vor Augen habe. Die Verletzung der Meldepflicht bilde einen Anknüpfungspunkt für die Konkretisierung des böswillig unterlassenen anderweitigen Verdienstes. Daneben seien jedoch auch andere Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. So sei für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreites z.B. von Bedeutung, welche Tätigkeit der Kläger zuletzt ausübte, welche Fachkenntnisse er besitze und welche Tätigkeit er vor Eintritt in das zuletzt begründete Arbeitsverhältnis ausgeübt habe. Weiter seien im Rahmen der Gesamtabwägung etwaige eigene Bemühung des Arbeitnehmers um eine anderweitige Tätigkeit zu berücksichtigen. Als Aspekt sei im Rahmen der Gesamtabwägung vorliegend auch der Umstand zu berücksichtigen, dass die Arbeitgeberin selbst im Kündigungsschreiben nicht auf die Meldepflicht hingewiesen und so gegen die entsprechende sozialversicherungsrechtliche Verpflichtung aus § 2 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 SGB III verstoßen habe.

Das Bundesarbeitsgericht nimmt sodann grundsätzlich weiter zur Verteilung der Darlegungslast Stellung. Sollte das Landesarbeitsgericht ein böswilliges Verhalten des Klägers im Rahmen der Gesamtabwägung feststellen, so wäre weiter aufzuklären, ob die Agentur für Arbeit im Streitzeitraum zumutbare Vermittlungsangebote unterbreitet hätte, ob eine Bewerbung des Klägers erfolgsreich gewesen wäre und welchen Verdienst der Arbeitnehmer im Rahmen der angebotenen Beschäftigungsmöglichkeit ab welchem Zeitpunkt hätte erzielen können. Hierbei trage zwar grundsätzlich der Arbeitgeber die Beweislast für die Einwendungen nach § 11 Nr. 2 KSchG. Dies gelte auch in dem Regelfall, in dem der Arbeitnehmer sich arbeitssuchend gemeldet habe und Auskunft über die ihm unterbreiteten Vermittlungsvorschläge erteilen könne. Der beklagte Arbeitgeber genüge seiner Darlegungslast in einem ersten Schritt aber bereits dann, wenn er unter Verweis auf die Vermittlungsangebote der Agentur für Arbeit behaupte, dass im Streitzeitraum jedenfalls Vermittlungsmöglichkeiten für den Arbeitnehmer bestanden hätten. Im Rahmen der interessengerecht abgestuften Darlegungslast sei es dann am klagenden Arbeitnehmer, zu Vermittlungsmöglichkeiten und -chancen so konkret wie möglich und unter Ausschöpfung aller Erkenntnismöglichkeiten vorzutragen. Habe der Arbeitnehmer dies getan, sei es wiederum Sache des Arbeitgebers, sich konkret zu erklären. Hinsichtlich des Zeitpunkts, ab dem eine Anrechnung erfolgen könnte, erscheint es für das Bundesarbeitsgericht wenig wahrscheinlich, dass bei einer fristlosen Kündigung eine erfolgreiche Vermittlung für einen in leitender Position tätigen Arbeitnehmer bereits unmittelbar am Tag nach dem Zugang der Kündigung hätte erfolgen können. Auch diesen Punkt müsse das Landesarbeitsgericht nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts weiter aufklären.

Bewertung der Entscheidung

Mit der genannten Entscheidung führt das Bundesarbeitsgericht seine Rechtsprechung zur Anrechnung böswillig unterlassenen anderweitigen Verdienstes auf Annahmeverzugslohnansprüche fort. Das Bundesarbeitsgericht hatte zuvor am 27.05.2020 (5 AZR 387/19) entschieden, dass dem Arbeitgeber im Rahmen eines Annahmeverzugsprozesses nach rechtswirksamer Kündigung ein Anspruch auf Auskunft über die dem Arbeitnehmer von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter unterbreiteten Stellenangebote unter Nennung der Tätigkeit, der Arbeitszeit und des Arbeitsortes sowie der Vergütung zustehe.

Praxisfolgen:

Aus der Entscheidung ergibt sich, dass es im Hinblick auf einen möglichen Annahmeverzugslohnanspruch nach festgestellter Rechtsunwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung ratsam ist, den Arbeitnehmer im Kündigungsschreiben auf seine Verpflichtung zur Meldung bei der Agentur für Arbeit ausdrücklich hinzuweisen und damit der sozialversicherungsrechtlichen Verpflichtung gemäß § 2 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 SGB III zu genügen. Ein Verstoß dagegen könnte als Indiz gegen ein böswilliges Unterlassen des Arbeitnehmers gewertet werden. Arbeitnehmer sollten umgekehrt ihrer Pflicht zur Arbeitslosmeldung nachkommen, damit die Verletzung dieser Obliegenheit im Ergebnis nicht zu einem Wegfall etwaiger Annahmeverzugslohnansprüche führt.

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