Arbeitsrecht

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Arbeitsrecht

Betriebsbedingte Kündigung - Umfang und Reichweite unternehmerischer Organisationsentscheidungen

Das Bundesarbeitsgericht hat am 22.11.2012 entschieden, dass die von der beklagten Arbeitgeberin getroffene Organisationsentschei-dung, einen Teil der Arbeiten an Dritte zu vergeben, weil der Einkauf der betreffenden Dienstleistung bei externen Anbietern um 50 % günstiger als die Durchführung der Arbeiten mit eigenen Mitarbeitern ist, auch dann nicht zu beanstanden sei, wenn dadurch die Beschäf-tigungsmöglichkeiten für ordentlich unkündbare Arbeitnehmer be-troffen sind.

 

Sachverhalt:

Die beklagte Arbeitgeberin gehört zu einem Konzern, in dessen zugehörige Unternehmen im Jahre 2008 über 2000 Arbeitnehmer an mehreren Standorten beschäftigt waren, davon ca. 750 Arbeitnehmer im Bereich „Technical Operations/Netzinfrastruktur“, wovon wiederum ca. 45 % tariflich ordentlich nicht mehr kündbar waren. Die Beklagte hatte sich im Jahre 2008 entschlossen, die Aufgaben der Servicetechniker zweier Tätigkeitsbereiche weitgehend an ein Drittunternehmen zu vergeben und ab dem 01.07.2009 nicht mehr durch eigene Mitarbeiter ausführen zu lassen.

 

Das führte zum Wegfall zahlreicher Arbeitsplätze, auch dem des Klägers.

 

Mit seiner rechtzeitig erhobenen Kündigungsschutzklage macht der Kläger die Unwirksamkeit dieser Kündigung geltend. Es fehle u.a. an einem wichtigen Grund. Die Beklagte habe die Arbeiten nicht an Dritte vergeben dürfen. Er selbst sei darüber hinaus ohne längere Einarbeitungszeit auch in anderen Bereichen einsetzbar.

 

Die Beklagte hat ihre Kündigung mit dem Hinweis verteidigt, ihre Entscheidung, einen Teil der Arbeiten an Dritte zu vergeben, sei zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit erforderlich gewesen, weil der Einkauf der betreffenden Dienstleistungen bei externen Anbietern um 50 % günstiger als die Durchführung der Arbeiten mit eigenen Mitarbeitern sei. Vor diesem Hintergrund sei ihre Maßnahme auch mit Blick auf den hohen Anteil davon betroffener ordentlich unkündbarer Arbeitnehmer nicht willkürlich. Der Kläger könne auch nicht mit anderen Aufgaben betraut werden. Die damit verbundenen Aufgaben könne er auch nach mehr als einem Jahr Einarbeitungszeit nicht erfüllen.

 

Nachdem die Vorinstanzen der Kündigungsschutzklage stattgegeben hatten, hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidung des Landes-arbeitsgerichts auf die Revision der Beklagten aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück-verwiesen.

 

Dabei hat es dem Landesarbeitsgericht folgendes mit auf den Weg gegeben:

 

Die außerordentliche Kündigung erweise sich aufgrund des bekann-ten Sachverhalts nicht als unwirksam.

 

Zwar könne ein tariflich ordentlich nicht mehr kündbarer Arbeitneh-mer nur gekündigt werden, wenn keine Möglichkeiten mehr beste-hen, das Arbeitsverhältnis mit ihm irgendwie sinnvoll fortzusetzen. Nur wenn alle denkbaren Beschäftigungsalternativen für den be-troffenen Arbeitnehmer ausschieden, könne ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung vorliegen, wobei in diesem Fall eine der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechende Auslauffrist einzuhalten sei.

 

Ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung könne sich aber – ebenso wie ein dringendes betriebliches Erfordernis im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG – aus dem Wegfall der Beschäftigungsmöglich-keit aufgrund innerbetrieblicher Maßnahmen ergeben.

 

Das gelte auch in den Fällen, in denen von der fraglichen Maßnahme ein ordentlich unkündbarer Arbeitnehmer betroffen sei. In Anwen-dung dieser Grundsätze habe das Landesarbeitsgericht nicht anneh-men dürfe, es liege bereits deshalb kein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB vor, weil die Beklagte wegen des hohen Anteils ordentlich unkündbarer Arbeit-nehmer die Fremdvergabe der Tätigkeiten habe unterlassen müssen. Vielmehr sei die von der Beklagten getroffene Organisationsentschei-dung rechtlich nicht zu beanstanden.

 

Die Angelegenheit sei aber dennoch an das LAG zurückzuweisen, weil das Landesarbeitsgericht aus seiner Sicht nachvollziehbar nicht geprüft habe, ob tatsächlich ein wichtiger Grund für die Kündigung vorgelegen habe. Stellten nämlich schon tarifliche auf das Arbeits-verhältnis anwendbare Regelungen dem Arbeitgeber in einer solchen Situation Lösungen zur Verfügung, um sich bei dringenden betriebli-chen Gründen aus einem unzumutbar gewordenen vertraglichen Zu-stand zu lösen, so habe der betroffene Arbeitgeber zunächst von die-sen tariflichen Möglichkeiten Gebrauch zu machen. Erst wenn fest-stehe, dass auch sie versagen, könne eine außerordentliche Kündi-gung – mit Auslauffrist – gegenüber einem ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer in Betracht kommen. Sehe ein solcher anzuwendender Tarifvertrag beim Wegfall der Möglichkeit einer Beschäftigung zu den bisherigen Vertragsbedingungen die Möglichkeit einer ordentlichen Änderungskündigung vor, hätte dies zur Folge, dass eine ordentliche Beendigungskündigung gegenüber dem Kläger nur in Betracht kommt, wenn selbst eine ordentliche, nicht an das Vorliegen eines wichtigen Grundes gebundene Änderungskündigung ausscheidet, um das Arbeitsverhältnis als solches zu beiderseits zumutbaren anderen Bedingungen aufrecht zu erhalten.

 

Außerdem müsse das Landesarbeitsgericht bei der Prüfung von Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten auch Arbeitsplätze in Betracht ziehen, die zwar nicht bei der Beklagten selbst, wohl aber bei einem derjenigen Konzernunternehmen bestehen, die ebenfalls Parteien des vereinbarten Interessensausgleichs waren. In dem Interessenaus-gleich hatten sich nämlich neben der Beklagten auch andere Kon-zernunternehmen verpflichtet, in jedem Einzelfall vor Ausspruch einer Beendigungskündigung zu überprüfen, „ob unter Berücksichti-gung der Anforderungsprofile vorhandene, freie Arbeitsplätze sowie zumutbare Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen Weiterbe-schäftigungsmöglichkeiten im Unternehmen bestehen“. Als „Unter-nehmen“ waren nach der Bezeichnung der Parteien im Interessen-ausgleich die beteiligten Unternehmen in ihrer Gesamtheit zu sehen. (BAG, Urteil vom 22.11.2012 – 2 AZR 673/11)

 

Bewertung der Entscheidung:

Dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts ist uneingeschränkt zuzu-stimmen. Es zeigt in der Linie seiner bisherigen Rechtsprechung zur Überprüfbarkeit unternehmerischer Entscheidungen konsequent auf, unter welchen Voraussetzungen die außerordentliche Kündigung eines ordentlich unkündbaren Mitarbeiters den hohen materiell-rechtlichen Anforderungen an das Vorliegen eines aus betrieblichen Erfordernissen resultierenden wichtigen Grundes im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB entsprechen muss. In solchen Fallkonstellationen muss der Arbeitgeber von sich aus dartun, dass keinerlei Möglichkeiten bestehen, das Arbeitsverhältnis – ggf. zu geänderten Bedingungen und nach entsprechender Umschulung – sinnvoll fortzusetzen. Das Fehlen jeglicher Beschäftigungsmöglichkeiten zählt bei der außer-ordentlichen betriebsbedingten Kündigung zum „wichtigen Grund“ und ist deshalb vom Arbeitgeber darzulegen. Es reicht nicht aus, wenn der Arbeitgeber zunächst vorträgt, eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers sei in Folge des Wegfalls seines Arbeitsplatzes nichtmöglich um – wie bei der ordentlichen Kündigung – eine dem widersprechende Darlegung des Arbeitnehmers abzuwarten.

 

Erfreulich ist, dass das Bundesarbeitsgericht mit dieser Entscheidung neuerdings aufkommenden Tendenzen in landesarbeitsgerichtlichen Entscheidungen entgegentritt, wonach sowohl Umfang als auch Reichweite einer freien unternehmerischen Entscheidung zunehmend in Frage gestellt werden.

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