Arbeitsrecht

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Arbeitsrecht

Beweisverwertungsverbot von unter Verstoß gegen den Datenschutz gewonnenen Beweismitteln

Bei der Prüfung, ob die ordentliche Kündigung wegen erwiesenen Pflichtwidrigkeiten des Arbeitnehmers sozial gerechtfertigt ist, darf das Arbeitsgericht seine Überzeugung nicht auf den Inhalt der in Augenschein genommenen Daten stützen, die ohne eine Einwilligung des Arbeitnehmers oder ohne Vorliegen der Voraussetzungen einer verfassungsgemäßen Ermächtigungsgrundlage gewonnen wurden. (BAG, Urteil vom 21.11.2013, 2 AZR 797/11, juris)

 

Sachverhalt:

Die beklagte Arbeitgeberin betreibt einen Getränkemarkt, in dem seit jeher eine allen Mitarbeitern bekannte Videokamera installiert ist und in dem drei Kassen eingerichtet waren. Der Umgang mit Geld war für alle Mitarbeiter verbindlich geregelt. Nachdem die Beklagte Mitte 2009 anlässlich einer Revision erhebliche Leergutdifferenzen feststellte, vereinbarte sie mit dem Betriebsratsvorsitzenden für die Dauer von vier Wochen die Durchführung einer verdeckten Videoüberwachung für die Zeit vom 13.07.-03.08.2009. Aus der am 03.09.2009 vorliegenden Auswertung der Aufzeichnungen ergab sich, dass die Klägerin am 16., 22. und 23.07.2009 Geld aus einem unter der Kasse befindlichen Aufbewahrungsbehältnis nahm, das sie in ihre Hosentasche steckte. Diese Vorgänge sind in dem Rechtsstreit unstreitig geblieben. Am 04.09.2009 hörte die Beklagte die Klägerin zu den aus der Videoüberwachung gewonnen Erkenntnissen an und konfrontierte sie mit dem Vorwurf, Geld aus dem Aufbewahrungsbehältnis für eigene Zwecke entnommen zu haben. Nach diesem Anhörungsgespräch bat sie ihren Betriebsrat mit Schreiben vom 08.09.2009 um Stellungnahme zu einer beabsichtigten fristlosen, hilfsweise fristgemäßen Kündigung wegen des Verdachts der Untreue und Unterschlagung. Mit Schreiben vom 11.09.2009 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien „fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31.03.2010“.

 

In ihrer rechtzeitig erhobenen Kündigungsschutzklage bestritt die Klägerin das Vorliegen eines Grundes für eine außerordentliche Kündigung im Sinne des § 626 BGB und war außerdem der Auffassung, dass die ordentliche Kündigung nicht sozial gerechtfertigt sei. In allen Bereichen des Einkaufsmarktes existierten sogenannte „Klüngelgeld-Kassen“, die dazu dienten, Wechselgeld aufzubewahren, das Kunden partout nicht hätten mitnehmen wollen. Sie selbst habe Geld, das sie dieser Kasse entnommen habe, dafür verwendet – wie in vergleichbaren Fällen andere Kassenkräfte auch -, morgens einen Einkaufswagen auszulösen, um damit zugleich mehrere im Getränkemarkt benötigte Kasseneinsätze zu transportieren. Teilweise habe sie dafür zunächst ein eigenes Geldstück benutzt und dies später über die „Klüngelgeld-Kasse“ ausgeglichen. Teilweise sei Kleingeld aus dieser Kasse gegen Geld im Kasseneinsatz getauscht worden, um nicht noch kurz vor Kassenschluss eine neue Wechselgeldrolle öffnen zu müssen. Ihr Verhalten rechtfertige keine Kündigung. Die Zusammenschnitte der Videoaufnahmen, die ohnehin einem Beweisverwertungsverbot unterlägen, böten keinen tauglichen Beweis dafür, dass sie sich Geld aus der fraglichen Kasse rechtswidrig zugeeignet habe.

 

Das Arbeitsgericht hat die Videoaufnahmen zu Beweiszwecken in Augenschein genommen und die Kündigungsschutzklage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat auf die Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung erkannt, die Berufung der Klägerin aber zurückgewiesen, soweit sie damit die Aufhebung der erstinstanzlichen Klageabweisung ihrer auch gegen die ordentliche Kündigung gerichteten Kündigungsschutzklage begehrte. Das Bundesarbeitsgericht hat die Revision der Klägerin für begründet gehalten und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen.

 

1.

Das BAG führt zunächst aus, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 11.09.2009 aufgelöst worden ist. Insoweit sei das Landesarbeitsgericht im Rahmen der Interessenabwägung rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass es der Beklagten bei Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien nicht unzumutbar gewesen sei, die ordentliche Kündigungsfrist einzuhalten.

 

2.

Das BAG folgt aber der Begründung des LAG nicht, das angenommen hatte, dass die Voraussetzungen für eine ordentliche Verdachtskündigung vorliegen. Eine Verdachtskündigung sei auch als ordentliche Kündigung sozial nur gerechtfertigt, wenn Tatsachen vorliegen, die zugleich eine außerordentliche, fristlose Kündigung gerechtfertigt hätten. Das gelte zum einen für die Anforderungen an die Dringlichkeit des Verdachts als solchen. In dieser Hinsicht bestünden keine Unterschiede zwischen außerordentlicher und ordentlicher Kündigung. Für beide Kündigungsarten müsse der Verdacht gleichermaßen erdrückend sein. Das gelte zum anderen für die inhaltliche Bewertung des fraglichen Verhaltens und die Interessenabwägung. Auch im Rahmen von § 1 Abs. 2 KSchG müsse sie zu dem Ergebnis führen, dass das Verhalten, dessen der Arbeitnehmer verdächtig ist, – wäre es erwiesen – sogar eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen würde. Nur unter diesen Voraussetzungen sei die Kündigung schon durch den bloßen Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG „bedingt“.

 

3.

Das Bundesarbeitsgericht hat dem Landesarbeitsgericht für die erneute Überprüfung, ob die ordentliche Kündigung wegen „erwiesenen“ Pflichtwidrigkeiten der Klägerin sozial gerechtfertigt sei mit auf den Weg gegeben, dass es seine Überzeugungen nicht auf den Inhalt der in Augenschein genommenen Videoaufzeichnungen stützen dürfe. Ob dies unmittelbar aus § 6 b BDSG oder aus § 32 BDSG folge, könne im Ergebnis offenbleiben. Ein Verwertungsverbot ergäbe sich in jedem Fall aus einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Klägerin aus Artikel 2 Abs. 1 i.V.m. Artikel 1 Abs. 1 GG, die nicht durch überwiegende Beweisinteressen der Beklagten gerechtfertigt sei. Dementsprechend sei ein Eingriff in das Recht des Arbeitnehmers am eigenen Bild durch heimliche Videoüberwachung und die Verwertung entsprechender Aufzeichnung nur dann zulässig, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers bestehe, weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des Verdachts ergebnislos ausgeschöpft seien, die verdeckte Videoüberwachung damit das einzig verbleibende Mittel darstelle und sie insgesamt nicht unverhältnismäßig sei. Das Bundesarbeitsgericht untersucht im weiteren Verlauf seiner Entscheidungsgründe dann das Vorliegen dieser Voraussetzungen und verneint sie.

 

Bewertung der Entscheidung:

Die Erhebung und Verwendung personenbezogener Daten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses wie etwa Videokontrollen oder Auswertungen von Daten, aber auch die Befragung von Arbeitnehmern oder Spintkontrollen, werden vom Bundesdatenschutzgesetz geregelt. Allerdings war bisher unklar, unter welchen Voraussetzungen Arbeitgeber solche Daten erheben, verarbeiten oder nutzen dürfen. In einer Reihe von neuen Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichtes wird deutlich, dass die betroffenen Arbeitgeber gesammelte Daten über Pflichtverletzungen der Arbeitnehmer nicht zur Rechtfertigung einer Kündigung verwenden dürfen, weil die Unternehmen die fraglichen Informationen unter Missachtung datenschutzrechtlicher Vorgaben erhoben hatten (so auch BAG, 20.06.2013, 2 AZR 546/12 – juris).

 

Das Bundesarbeitsgericht vertritt in diesen Entscheidungen die Ansicht, eine Verwertung der so gesammelten personenbezogenen Daten vor Gericht verstoße gegen das Persönlichkeitsrecht der betroffenen Arbeitnehmer. Es ist zu erwarten, dass in Folge dieser BAG-Rechtsprechung Arbeitsgerichte zukünftig noch genauer hinsehen werden, auf welche Weise der Arbeitgeber Daten erhoben hat, auf die er die in Rede stehende Kündigung stützt. Allerdings lässt sich den Entscheidungen auch entnehmen, dass der Umgang mit personenbezogenen Daten dann erlaubt ist, wenn er verhältnismäßig ist. Kontrollen bleiben also grundsätzlich möglich. Doch muss der Arbeitgeber aus den ihm zur Verfügung stehenden gleich effektiven Maßnahmen stets die mildeste Kontrollmöglichkeit auswählen. Heimliche Maßnahmen greifen dabei nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts tiefer in Persönlichkeitsrechte von Beschäftigten ein, als offene Kontrollen. Sie können nach der Rechtsprechung nur zulässig sein, wenn z.B. offen durchgeführte Maßnahmen weniger erfolgversprechend sind. Darüber hinaus muss das Erheben, Verarbeiten oder Nutzen personenbezogener Daten für die Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses angemessen sein. Das kommt nur in Betracht, wenn der Arbeitnehmer kein überwiegendes Interesse daran hat, dass der Arbeitgeber das Erheben oder Verwenden von Daten unterlässt, etwa weil bei dem konkreten Fall sein Persönlichkeitsrecht schwerer liegt.

 

Nachdem das BAG in einer weiteren Entscheidung vom 09.07.2013 (BAG, 09.07.2013, 1A BR 2/13 (A) – juris) ausgeführt hat, dass neben gesetzlichen Bestimmungen auch Betriebsvereinbarungen den Umgang mit personenbezogenen Daten von Arbeitnehmer rechtfertigen können, ist den Arbeitgebern anzuraten, diese Möglichkeit für sich ernsthaft zu prüfen. Allerdings müssen entsprechende Regelungen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber ebenfalls dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen. Dies ist aber bereits dann der Fall, wenn eine Betriebsvereinbarung z.B. Taschenkontrollen (auch von Mantel- und Jackentaschen) am Betriebstor vorsieht, um den Diebstahl kleinräumiger Produktionsgegenstände zu verhindern. Daraus folgt, dass konkrete Gründe vorliegen müssen, die die konkrete Art der Informationsbeschaffung und Beweiserhebung als gerechtfertigt erscheinen lassen.

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