Arbeitsrecht

Sie wollen mehr zum Fachbereich "Arbeitsrecht" erfahren?
» mehr erfahren

Arbeitsrecht

Darlegungslast im Überstundenprozess

Das BAG hat die Grundsätze der Darlegungslast im Überstundenprozess präzisiert. Danach genügt ein Arbeitnehmer der ihm obliegenden Darlegungslast, indem er vorträgt, an welchen Tagen er von wann bis wann Arbeit geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten hat. Auf diesen Vortrag muss der Arbeitgeber im Rahmen einer abgestuften Darlegungslast substantiiert erwidern und im Einzelnen vortragen, welche Arbeiten er dem Arbeitnehmer zugewiesen hat und an welchen Tagen und in welchem Zeitraum der Arbeitnehmer diesen Weisungen nicht nachgekommen ist. Das BAG nimmt in diesem Zusammenhang auch zu den Besonderheiten bei Mehrarbeit eines als Kraftfahrer beschäftigten Arbeitnehmers Stellung.

 

Sachverhalt:

Der klagende Arbeitnehmer ist als Kraftfahrer in der Lebendtierabteilung beschäftigt. Im Arbeitsvertrag der Parteien ist geregelt, „dass eventuelle Mehrarbeit mit dem Gehalt pauschal abgegolten ist“. Mit seiner Klage verlangt der Arbeitnehmer die Vergütung für 978,5 von ihm geleistete Mehrarbeitsstunden. Der Arbeitnehmer hat in dem Verfahren vorgetragen, an welchen Tagen er zu welcher Uhrzeit seine Arbeit im Betrieb begonnen hat, wann er vom Betrieb allein oder mit anderen Fahrern zu welchen Orten oder Mästern gefahren und wieder in den Betrieb zurückgekehrt ist. Bei den jeweiligen Mästern musste auch das Fahrpersonal bei der Beladung des LKW unterstützend tätig werden. Die Arbeitgeberin hat sich demgegenüber insbesondere auf die im Arbeitsvertrag vereinbarte Pauschalabgeltung von Überstunden und auch darauf berufen, dass sie Mehrarbeit weder angeordnet noch gebilligt habe. Zudem sei die Zeit als Beifahrer des LKW wegen § 21a Abs. 3 Ziffer 3. ArbZG nicht vergütungspflichtig.

 

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das LAG hat die dagegen eingelegte Berufung des Arbeitnehmers mit der Begründung zurückgewiesen, der Arbeitnehmer habe die Leistung von Überstunden nicht hinreichend substantiiert dargelegt.

 

Das BAG bestätigt zunächst seine bisherige Rechtsprechung, wonach eine arbeitsvertragliche Regelung, mit welcher etwaige Mehrarbeit mit dem Gehalt pauschal abgegolten werden soll, mangels hinreichender Transparenz unwirksam ist. Ausnahmen davon könnten zwar in Betracht kommen, wenn der Arbeitnehmer Dienste höherer Art schulde oder der Arbeitnehmer eine deutlich herausgehobene, d.h. deutlich oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung liegende Vergütung erhalte. Ein solcher Ausnahmefall war vorliegend jedoch nicht gegeben. Der Arbeitnehmer müsse erkennen können, welche Leistungen er für die vereinbarte Vergütung maximal erbringen muss. Der Arbeitsvertrag der Parteien ließ nicht erkennen, wie viele Mehrarbeitsstunden pro Woche oder Monat mit dem Gehalt abgegolten sein sollten. Diese Erkennbarkeit für den Arbeitnehmer sei vorliegend auch nicht deshalb gegeben, weil sich eine Begrenzung der von dem Arbeitnehmer zu leistenden Mehrarbeit aufgrund gesetzlicher Bestimmungen insbesondere aufgrund der zulässigen Höchstarbeitszeit nach dem Arbeitszeitgesetz ergebe. Der arbeitsvertraglichen Klausel selbst müsse eine solche Begrenzung auf die gesetzliche Höchstarbeitszeit zu entnehmen sein.

 

Die Darlegungslast für geleistete Mehrarbeit liegt grundsätzlich beim Arbeitnehmer. Da jedoch die konkret zu leistende Arbeit regelmäßig vom Arbeitgeber durch Weisungen festgelegt werde, genüge der Arbeitnehmer nach Rechtsansicht des BAG seiner Darlegungslast, wenn er vortrage, an welchen Tagen er von wann bis wann Arbeit geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten habe. Auf diesen Vortrag müsse der Arbeitgeber nach den Grundsätzen der abgestuften Darlegungslast sodann substantiiert erwidern und im Einzelnen vortragen, welche Arbeiten er dem Arbeitnehmer zugewiesen habe und an welchen Tagen der Arbeitnehmer von wann bis wann seinen Weisungen nicht nachgekommen sei.

 

Für den Bereich der Kraftfahrer, denen vom Arbeitgeber bestimmte Touren zugewiesen werden, genügt es danach, wenn der Arbeitnehmer vorträgt, an welchen Tagen er wann welche Tour begonnen und wann beendet hat. Eine ausdrückliche Anordnung der Mehrarbeit durch den Arbeitgeber ist nach dem BAG in dem streitgegenständlichen Bereich der Kraftfahrer nicht zwingend erforderlich. Wenn ein Kraftfahrer für eine angewiesene Tour eine bestimmte Zeit benötige und sie nur unter Leistung von Mehrarbeit ausführen könne, sei die Mehrarbeit – unabhängig von einer ausdrücklichen Anordnung – jedenfalls zur Erledigung der geschuldeten Arbeit notwendig. Etwas anderes soll nach dem BAG nur dann gelten, wenn der Arbeitgeber darlegt, dass die von ihm zugewiesene Tour unter Beachtung der Rechtsordnung (insbesondere des Straßenverkehrsrechts) innerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit gefahren werden kann. Schließlich sei auch die als Beifahrer verbrachte Zeit zu vergütende Arbeitszeit, wenn die Arbeitsvertragsparteien insoweit keine abweichende Regelung getroffen hätten. Dies gelte selbst dann, wenn die Zeit als Beifahrer gem. § 21a Abs. 3 Ziffer 3. ArbZG nicht als Arbeitszeit im Sinne der Arbeitsschutzvorschriften des Arbeitszeitgesetzes gelte.

 

(BAG, Urteil vom 16.05.2012 – 5 AZR 347/11)

 

Bewertung der Entscheidung:

Bei der gerichtlichen Geltendmachung einer Vergütung für geleistete Mehrarbeit sind die Hürden für den Arbeitnehmer im Hinblick auf die Darlegungslast hoch. Insbesondere in der landesarbeitsgerichtlichen Rechtsprechung wurde bislang zum Beispiel im Hinblick auf einen Kraftfahrer gefordert, dieser habe den Arbeitsbeginn, den Fahrtbeginn, das Fahrtziel und die Fahrtstrecke, fahrzeitverlängernde Vorkommnisse wie z.B. Ruhezeiten, Stau, Umleitungen etc., die Übernahme der Fahrt durch Beifahrer, Ankunftsort und Ankunftszeit, Anschlusstätigkeiten wie zum Beispiel Entladen, Wartezeiten beim Kunden etc. sowie das Ende der Tätigkeit für jeden Einzelfall darzulegen. Ein diesen beträchtlichen Anforderungen entsprechender Tatsachenvortrag konnte von den Arbeitnehmern nur im Ausnahmefall erbracht werden. Hier scheint das BAG nun zumindest für den Bereich der Kraftfahrer gegenzusteuern. Auch wenn das BAG in den Entscheidungsgründen grundsätzlich formuliert, dass die Darlegungslast des Arbeitnehmers im Überstundenprozess nicht überspannt werden dürfe, weist es jedoch selbst darauf hin, dass die herausgearbeiteten Grundsätze nicht gleichsam schematisch angewendet werden dürfen, sondern stets die im jeweiligen Streitfall zu verrichtenden Tätigkeit und die konkreten betrieblichen Abläufe berücksichtigt werden müssen.

 

Praxisfolgen:

Trotz der vorstehend besprochenen Entscheidung des BAG bleiben die Anforderungen an die Darlegungslast des Arbeitnehmers im Überstundenprozess hoch. Die im vorliegenden Fall für das Arbeitsverhältnis eines Kraftfahrers, dem vom Arbeitgeber bestimmte Touren zugewiesen werden, herausgearbeiteten Grundsätze können nicht eins zu eins auf andere Arbeitnehmergruppen zum Beispiel Büroangestellte übertragen werden. Ein Arbeitnehmer ist vor diesem Hintergrund nach wie vor gut beraten, seine Arbeitszeiten, die durchgeführten Tätigkeiten und etwaige Anweisungen des Arbeitgebers im Detail zu dokumentieren. Die Erfolgsaussichten eines Arbeitnehmers, tatsächlich geleistete Mehrarbeit vergütet zu bekommen, haben sich durch die Entscheidung des BAG zumindest im Bereich der Kraftfahrer verbessert.

Anschrift

Hafenweg 8, 48155 Münster
Postfach 3410, 48019 Münster
Parkmöglichkeiten in hauseigener Tiefgarage

Kontakt