Nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs hat ein rechtswidrig entlassener Arbeitnehmer Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub für die Zeit zwischen Entlassung und Wiederbeschäftigung, auch wenn er in diesem Zeitraum keine Arbeitsleistung erbracht hat.
Vgl.: EuGH vom 25.06.2020 zum Aktenzeichen C-762/18
Sachverhalt:
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat sich in zwei ähnlich gelagerten Fällen mit Fragen zum bezahlten Jahresurlaub nach einer rechtswidrigen Entlassung beschäftigt. Eine an einer bulgarischen Schule beschäftigte Angestellte klagte auf Vergütung des ihr zustehenden Jahresurlaubs, den sie im Zeitraum zwischen ihrer rechtswidrigen Entlassung und ihrer Wiedereinstellung nicht tatsächlich in Anspruch genommen hatte. Der ähnlich gelagerte Fall betraf die Mitarbeiterin einer italienischen Bank. Diese nahm ihre Beschäftigung wieder auf, nachdem ihre Entlassung durch eine Gerichtsentscheidung wegen Rechtswidrigkeit für nichtig erklärt worden war. Die italienische Arbeitnehmerin begehrte zuletzt die Zahlung einer Vergütung für nicht genommenen Jahresurlaub für den Zeitraum zwischen ihrer rechtswidrigen Entlassung und der Wiederaufnahme ihrer Beschäftigung.
Sowohl das bulgarische, als auch das italienische Gericht beschlossen, den EuGH um Vorabentscheidung in den genannten Angelegenheiten zu ersuchen.
Die Entscheidung des EuGH:
Mit seinem Urteil hat der EuGH bestätigt, dass ein Arbeitnehmer für den Zeitraum zwischen seiner rechtswidrigen Entlassung und der Wiederaufnahme seiner früheren Beschäftigung Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub hat. Falls das Arbeitsverhältnis nach der Wiederaufnahme der Beschäftigung beendet werde, habe der Arbeitnehmer Anspruch auf eine Vergütung als Ersatz für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub.
Der EuGH verwies zunächst darauf, dass jeder Arbeitnehmer Anspruch auf einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen habe. Dieser Anspruch sei als besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Europäischen Union anzusehen. Der EuGH verwies weiter auf seine Rechtsprechung zum Urlaubsanspruch bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Nach dieser Rechtsprechung sei es ausgeschlossen, dass sich der unionsrechtlich gewährleistete Urlaubsanspruch eines Arbeitnehmers verringere, wenn der Arbeitnehmer seiner Arbeitspflicht wegen einer Erkrankung im Bezugszeitraum nicht nachkommen konnte. Der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub dürfe also nicht von der tatsächlichen Erbringung einer Arbeitsleistung abhängig gemacht werden. Ebenso wie das Eintreten einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit sei auch der Umstand, dass dem Arbeitnehmer die Möglichkeit zu arbeiten aufgrund einer anschließend als rechtswidrig eingestuften Entlassung verwehrt wurde, grundsätzlich nicht vorhersehbar und vom Verhalten dieses Arbeitnehmers unabhängig. Im Ergebnis sei die Situation in dem Zeitraum zwischen dem Tag der rechtswidrigen Entlassung und dem Tag der Wiederaufnahme der Beschäftigung für die Zwecke der Feststellung der Urlaubsansprüche einem tatsächlichen Arbeitszeitraum gleichzustellen. Ein rechtswidrig entlassener Arbeitnehmer habe folglich Anspruch auf den bezahlten Jahresurlaub, den er während dieses Zeitraums erworben hat.
Der EuGH stellte sodann in seinem Urteil weiter klar, dass diese Rechtssätze nur dann Geltung beanspruchen, so lange der Arbeitnehmer während des Zeitraums zwischen der rechtswidrigen Entlassung und der Rückkehr in den Betrieb des früheren Arbeitgebers keine neue Beschäftigung gehabt habe. Sollte der Arbeitnehmer während dieses Zeitraumes eine andere Beschäftigung begründet haben, so könne der Arbeitnehmer die Urlaubsansprüche für diesen Beschäftigungszeitraum nur und damit ausschließlich gegenüber dem neuen Arbeitgeber geltend machen.
Bewertung der Entscheidung:
Die Entscheidung des EuGH ist richtig und war – im Gegensatz zu anderen Entscheidungen – auch zu erwarten. Diese Entscheidung bezieht sich zwar ausdrücklich nur auf den gesetzlichen Mindesturlaub. Eine anderweitige arbeitsvertragliche Regelung, wonach für den Zeitraum zwischen der rechtswidrigen Entlassung und der Wiederbeschäftigung kein übergesetzlichen Urlaubsanspruch entsteht, dürfte wohl als unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers unwirksam sein.
Praxisfolgen:
In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des BAG der Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung mit einer vorsorglichen Urlaubsgewährung für den Fall, dass die fristlose Kündigung unwirksam sei, grundsätzlich zulässig ist. In diesem Fall muss der Arbeitgeber allerdings dem gekündigten Mitarbeiter entweder sofort die Urlaubsvergütung zahlen oder zumindest vorbehaltlos zusagen.