Wir sehen uns oben!

Arbeitsrecht

Die Freistellung zum Abbau von Plusstunden auf dem Arbeitszeitkonto bedarf einer ausdrücklichen Regelung oder Erklärung des Arbeitgebers

Nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) wird durch die in einem gerichtlichen Vergleich vereinbarte bezahlte Freistellung der Anspruch des Arbeitnehmers auf Freizeitausgleich zum Abbau des Arbeitszeitkontos nur dann erfüllt, wenn dies in dem Vergleich für den Arbeitnehmer hinreichend erkennbar zum Ausdruck kommt.

BAG, Urteil vom 20.11.2019 zum Az. 5 AZR 578/18

Sachverhalt:
Die Arbeitnehmerin war bei der Arbeitgeberin als Sekretärin beschäftigt. Die Arbeitgeberin führte für die Arbeitnehmerin ein (elektronisches) Arbeitszeitkonto. Sollten dort erfasste Arbeitsstunden ausgeglichen werden, war über das Zeiterfassungsprogramm ein Antrag auf Freizeitausgleich zu stellen, welcher von der Beklagten genehmigt werden musste. Nach Ausspruch einer arbeitgeberseitigen Kündigung schlossen die Parteien in dem arbeitsgerichtlichen Kündigungsschutzverfahren einen gerichtlichen Vergleich, wonach das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 31.01.2017 sein Ende finden sollte. In dem Vergleich wurde die Arbeitnehmerin bis zum Beendigungsdatum unwiderruflich von der Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung unter Fortzahlung der vereinbarten Vergütung freigestellt. Es wurde in dem Vergleich weiter geregelt, dass Urlaubsansprüche der Klägerin mit der Freistellung in Natur gewährt werden sollten. Eine allgemeine Abgeltungs- bzw. Ausgleichsklausel enthielt der Vergleich nicht.

Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses machte die Arbeitnehmerin gegenüber der Arbeitgeberin einen Anspruch auf Vergütung der auf dem Arbeitszeitkonto vor der Freistellung zu ihren Gunsten gutgeschriebenen 67,10 Arbeitsstunden geltend.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Arbeitgeberin die Klage abgewiesen. Das Bundesarbeitsgericht hat im Rahmen der zugelassenen Revision der Arbeitnehmerin das erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt.

Die Entscheidung des BAG:
Das Bundesarbeitsgericht hat in den Entscheidungsgründen ausgeführt, dass die Arbeitnehmerin einen Anspruch auf Abgeltung des Zeitguthabens auf dem geführten Arbeitszeitkonto habe, weil dieses Guthaben bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch Freizeitgewährung abgebaut worden sei. Die Klägerin könne aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen Ausgleich in Geld verlangen.

Nach den Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts hält ein Arbeitszeitkonto allgemein fest, in welchem zeitlichen Umfang der Arbeitnehmer seine Hauptleistungspflicht erbracht hat oder aufgrund eines Entgeltfortzahlungszeitbestandes nicht erbringen muss und deshalb Vergütung beanspruchen kann bzw. in welchem Umfang er noch Arbeitsleistungen für die vereinbarte und gezahlte Vergütung erbringen muss. Begehre der Arbeitnehmer die Abgeltung eines Guthabens auf seinem Arbeitszeitkonto mache er folglich (nur) den Vergütungsanspruch für vorgeleistete Arbeit geltend. Auf die Anspruchsvoraussetzungen für „echte“ Überstundenvergütung komme es deshalb nicht an. Auch die vom Bundesarbeitsgericht entwickelten Grundsätze zur Darlegungs- und Beweislast für die Leistung von Überstunden und deren arbeitgeberseitige Veranlassung und Zurechnung im Überstundenprozess spielten in der vorliegenden Fallkonstellation keine Rolle, weil der Arbeitgeber mit der vorbehaltslosen Ausweisung eines Saldos in einem für den Arbeitnehmer geführten Arbeitszeitkonto diesen Saldo streitlos stelle und damit regelmäßig zum Ausdruck bringe, dass bestimmte Arbeitsstunden tatsächlich und mit seiner Billigung geleistet wurden.

Der Abbau eines Arbeitszeitkontos richte sich nach der der Führung des Arbeitszeitkontos zugrunde liegenden Vereinbarung in einem Arbeitsvertrag, einer Betriebsvereinbarung oder einem Tarifvertrag. Vorliegend hatten die Parteien vereinbart, dass ein Ausgleich des Arbeitszeitkontos durch Freizeitgewährung erfolgen sollte. Die Parteien haben in der vorliegenden Konstellation keine Regelung darüber getroffen, wie mit einem Positiv- oder Negativsaldo auf dem Arbeitszeitkonto im Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses umzugehen ist. Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gehe jedoch regelmäßig die Schließung des Arbeitszeitkontos einher, ein Ausgleich durch bezahlte Freistellung sei nach dem Ausscheiden des Arbeitnehmers nicht mehr möglich. Wenn nicht ausdrücklich etwas anderes vereinbart sei, so enthalte die einvernehmliche Errichtung des Arbeitszeitkontos die konkludente Abrede, dass vorhandene Plusstunden spätestens mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses auszugleichen sind.

Die Erfüllung des Freizeitausgleichsanspruchs während des laufenden Arbeitsverhältnisses erfolge durch die Freistellung des Arbeitnehmers von seiner Pflicht, Arbeitsleistungen zu erbringen. Die Umsetzung erfolge dadurch, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zum Abbau eines vorhandenen Freizeitguthabens an Tagen, die für diesen an sich Arbeitstage wären, von der Erbringung der Arbeitsleistung befreit. Zwar sei die Arbeitnehmerin in dem geschlossenen gerichtlichen Vergleich unwiderruflich von der Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt worden. Dennoch habe der Arbeitgeber damit den Freizeitausgleichsanspruch der Arbeitnehmerin zum Abbau des Arbeitszeitkontos nicht erfüllt. Mit der Freistellung im Anschluss an den gerichtlichen Vergleich habe die Arbeitgeberin indes lediglich die Verpflichtung aus dem Vergleich erfüllt, nicht jedoch zugleich die ihr aus der Führung des Arbeitszeitkontos obliegende Leistung „Freizeitausgleich zum Abbau des Arbeitszeitkontos“ bewirkt. Dafür sei die bloße Freistellung als solche nicht ausreichend. Wegen der unterschiedlichen Rechtsfolgen, die eine Freistellung haben könne, müsse der Arbeitnehmer erkennen können, dass der Arbeitgeber ihn zur Erfüllung des Anspruchs auf Freizeitausgleich zum Abbau des Arbeitszeitkontos von der Arbeitspflicht freistellen will. Anderenfalls sei nicht feststellbar, ob der Arbeitgeber als Schuldner des Freizeitausgleichsanspruchs eine Erfüllungshandlung bewirken, den Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers ausschließen oder aus sonstigen Gründen als Gläubiger der Arbeitsleistung auf deren Annahme verzichten wolle. In dem geschlossenen Vergleich sei weder ausdrücklich noch konkludent und mit hinreichender Deutlichkeit festgehalten, dass die Arbeitnehmerin (auch) unter Anrechnung des Freizeitausgleichsanspruchs zum Abbau des Arbeitszeitkontos freigestellt werden sollte. Die Arbeitgeberin habe auch nicht bei Vollzug des gerichtlichen Vergleiches durch anderweitige Erklärung außerhalb des Vergleiches zum Ausdruck gebracht, dass die Freistellung zum Zwecke der Erfüllung des Freizeitausgleichsanspruchs erfolgen solle.

Der geschlossene gerichtliche Vergleich enthalte keine umfassende Abgeltungs- bzw. Ausgleichsklausel, wonach zumindest sämtliche finanziellen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und dessen Beendigung abgegolten sein sollten.

Das Bundesarbeitsgericht führt schließlich aus, dass der Abgeltungsanspruch der Klägerin auch nicht nach den arbeitsvertraglichen Ausschlussfristen verfallen sei. Sei wie im vorliegenden Fall zugunsten des Arbeitnehmers ein Saldo auf dem Arbeitszeitkonto vorbehaltlos ausgewiesen und bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch bezahlte Freizeit oder zusätzliches Entgelt abgebaut worden, seien die Guthabenstunden streitlos gestellt und müssten nicht innerhalb von Ausschlussfristen geltend gemacht werden. Die Notwendigkeit zur Geltendmachung des auf dem Arbeitszeitkonto ausgewiesenen Guthabens lebe auch nicht wieder auf, wenn sich dieses bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses in einen Zahlungsanspruch umgewandelt habe.

Bewertung der Entscheidung:
Die Entscheidung des BAG ist im Ergebnis richtig, wenn auch die Differenzierung zwischen einer bloßen Freistellung und der Freistellung zur Abgeltung von Plusstunden auf dem Arbeitszeitkonto in der Praxis schwer nachzuvollziehen sein dürfte. Fraglich bleibt, ob der Arbeitgeber bei der Vereinbarung einer unwiderruflichen Freistellung in einem gerichtlichen Vergleich noch nachträglich einen Freizeitausgleich ausdrücklich zur Abgeltung von Überstunden aus dem Arbeitszeitkonto anordnen kann. Diese Möglichkeit scheint das Bundesarbeitsgericht in der genannten Entscheidung zumindest anzudeuten.

Praxisfolgen:
Arbeitgeber müssen auch bei dem Abschluss gerichtlicher Vergleiche durch eine entsprechende Formulierung dafür Sorge tragen, dass bei einer geregelten Freistellung deutlich darauf hingewiesen wird, dass die Freistellung nicht nur zur Abgeltung der Urlaubsansprüche, sondern auch zur Abgeltung von Arbeitszeitguthaben auf dem Arbeitszeitkonto erfolgt.

Anschrift

Hafenweg 8, 48155 Münster
Postfach 3410, 48019 Münster
Parkmöglichkeiten in hauseigener Tiefgarage

Kontakt