Arbeitsrecht

Folgen eines Verstoßes gegen § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG im Massenentlassungsverfahren

Das Bundesarbeitsgericht hat den EuGH ersucht, die Frage zu beantworten, welchem Zweck die Übermittlungspflicht nach der europäischen Massenentlassungsrichtlinie dient. Abhängig hiervon ist nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts die Frage zu beantworten, ob § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG unionsrechtskonform dahingehend auszulegen ist, dass ein Verstoß hiergegen – ebenso wie ein Verstoß gegen andere, den Arbeitnehmerschutz (zumindest auch) bezweckende und deshalb als Verbotsgesetz gemäß § 134 BGB auszulegende Vorschriften im Massenentlassungsverfahren – zur Rechtsunwirksamkeit der im Anschluss ausgesprochenen Kündigungen führt.

BAG, Beschluss vom 27.01.2022 – 6 AZR 155/21 (A) -, bislang nur Pressemitteilung Nr. 4/22

Der Sachverhalt:

Der beklagte Insolvenzverwalter hatte nach dem Beschluss über die vollständige Einstellung des Geschäftsbetriebes der Insolvenzschuldnerin mit dem Betriebsrat Verhandlungen über den Abschluss eines Interessenausgleiches und Sozialplanes aufgenommen. In Verbindung mit dem Interessenausgleichsverfahren wurde auch das im Falle einer Massenentlassung erforderliche Konsultationsverfahren mit dem Betriebsrat gemäß § 17 Abs. 2 KSchG durchgeführt. Entgegen § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG unterließ der Insolvenzverwalter es allerdings, der zuständigen Agentur für Arbeit eine Abschrift der das Konsultationsverfahren einleitenden und an den Betriebsrat gerichteten Mitteilung nach § 17 Abs. 2 KSchG zu übermitteln. Nach entsprechender Massenentlassungsanzeige, deren Eingang die Agentur für Arbeit bestätigte, kündigte der Insolvenzverwalter sämtliche Arbeitsverhältnisse der Insolvenzschuldnerin.

Einer dieser gekündigten Arbeitnehmer begehrt wegen der Verletzung der Pflicht aus § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG die Feststellung der Rechtsunwirksamkeit der ihm gegenüber ausgesprochenen Kündigung. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.

Hinweis für die Praxis:

Das Massenentlassungsverfahren nach § 17 KSchG ist ein auch vor dem Hintergrund der europarechtlichen Implikationen äußerst kompliziertes und schwer durchschaubares Verfahren mit einer Vielzahl von potentiellen Fallstricken, die jeweils extreme Folgen nach sich ziehen können. Die Frage, ob ein formaler Verstoß gegen § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG, der Verpflichtung, eine Abschrift der Mitteilung an den Betriebsrat an die zuständige Agentur für Arbeit zuzuleiten, kündigungsrechtlich folgenlos bleibt oder die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung zur Folge hat, ist in der arbeitsrechtlichen Literatur umstritten. Diese Frage nun durch die zu erwartenden Entscheidungen des EuGH und nachgehend des BAG rechtsverbindlich zu klären, ist durchaus zu begrüßen. Es wäre wünschenswert, wenn die Richter bei ihrer Entscheidung berücksichtigen würden, welche extremen rechtlichen und damit wirtschaftlichen Folgen die Rechtsunwirksamkeit sämtlicher nachgehend ausgesprochenen Kündigungen mit sich bringen würde. Aus unserer Sicht erscheint die Rechtsunwirksamkeit sämtlicher Kündigungen wegen eines derartigen rein formalen Fehlers völlig unverhältnismäßig. In der Zwischenzeit bleibt nur dringend anzuraten, auch die Formalie des § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG im Massenentlassungsverfahren ernst zu nehmen und die Agentur für Arbeit gesetzeskonform einzubinden, da ansonsten dramatische Folgen, nämlich die Rechtsunwirksamkeit sämtlicher nach Abschluss des Massenentlassungsanzeigeverfahrens ausgesprochenen Kündigungen, drohen!

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