Das BAG hat entschieden, dass die Frage des Arbeitgebers nach der Schwerbehinderung im bestehenden Arbeitsverhältnis im Vorfeld einer arbeitgeberseitigen Kündigung jedenfalls nach sechs Monaten, also nach dem Erwerb des Sonderkündigungsschutzes für behinderte Menschen, zulässig ist.
Sachverhalt:
Der mit einem GdB von 60 schwerbehinderte Kläger war seit dem 01.11.2007 bei seiner Arbeitgeberin beschäftigt. Am 08.01.2009 wurde ein vorläufiger Insolvenzverwalter über das Vermögen der Arbeitgeberin bestellt. Dieser erhob gegenüber sämtlichen Mitarbeitern persönliche Daten, um später erforderliche Kündigungen vorzubereiten. In einem hierzu vorbereiteten Fragebogen verneinte der Kläger wahrheitswidrig die Frage nach einer bestehenden Schwerbehinderung. Am 26.05.2009 kündigte der Insolvenzverwalter dem Kläger. Dieser wies erst in der Klageschrift vom 09.06.2009 auf seine Schwerbehinderung hin und hielt die Kündigung wegen des Verstoßes gegen § 85 SGB IX für unwirksam. Das mit der Sache befasste Arbeitsgericht folgte der Argumentation des Klägers und gab seiner Klage statt. Das LAG Hamm dagegen wies die Klage des Klägers in der Berufungsinstanz ab mit dem Argument, er könne sich nicht auf den besonderen Kündigungsschutz als Schwerbehinderter berufen, da er die Frage nach der Schwerbehinderung wahrheitswidrig verneint habe. Das BAG bestätigte die Entscheidung des LAG Hamm. Nach Auffassung des BAG steht die Frage nach der Schwerbehinderung im Vorfeld einer vom Arbeitgeber beabsichtigten Kündigung im Zusammenhang mit der Pflichtenbindung des Arbeitgebers durch die Anforderung des § 1 Abs. 3 KSchG, der die Berücksichtigung der Schwerbehinderung bei der Sozialauswahl verlangt, sowie durch den Sonderkündigungsschutz nach § 85 SGB IX, wonach eine Kündigung der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes bedarf. Die Frage nach der Schwerbehinderung schildert der Arbeitgeber in der vorliegenden Konstellation gerade, um sich rechtstreu verhalten zu können. Die Frage diskriminiere behinderte Arbeitnehmer gegenüber solchen ohne Behinderung in der vorliegenden Situation dagegen nicht. In Folge der wahrheitswidrigen Beantwortung der ihm rechtmäßig gestellten Frage nach der Schwerbehinderung ist es dem Kläger nach Auffassung des BAG unter dem Gesichtspunkt widersprüchlichen Verhaltens verwehrt, sich im Kündigungsschutzprozess auf seine Schwerbehinderteneigenschaft zu berufen (BAG, Urteil vom 16.02.2012 – 6 AZR 553/10 – ).
Bewertung der Entscheidung:
Dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts ist zuzustimmen. Wenn der Gesetzgeber in § 1 Abs. 3 KSchG und in § 85 SGB IX dem Arbeitgeber bei einer Kündigung gerade aufgibt, eine bestehende Schwerbehinderung im Vorfeld einer anstehenden Kündigung besonders zu berücksichtigen bzw. vor Ausspruch der Kündigung zunächst die Zustimmung des Integrationsamtes einzuholen, muss es dem Arbeitgeber auch gestattet sein, den Arbeitnehmer nach einer bestehenden Schwerbehinderung zu fragen, da er anderenfalls den ihm vom Gesetz aufgegebenen Verhaltensobliegenheiten gerade nicht nachkommen kann. Es besteht im Vorfeld einer Kündigung im bestehenden Arbeitsverhältnis auch eine völlig andere Interessenlage als in einem Bewerbungsgespräch vor Begründung eines Arbeitsverhältnisses, wo die Frage nach einer bestehenden Schwerbehinderung von der Rechtsprechung als unzulässig betrachtet wird. Während die Frage nach einer Schwerbehinderung im Rahmen eines Bewerbungsgespräches für einen Schwerbehinderten ein Einstellungshemmnis darstellen und ihn diskriminieren kann, dient dieselbe Frage im Vorfeld einer Kündigung gerade der Feststellung einer besonderen Schutzbedürftigkeit und wirkt daher zu Gunsten des Schwerbehinderten.