Bei der „Geltendmachung“ im Sinne tariflicher Ausschlussfristen ist Sorgfalt geboten. Nach der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte wahrt die fristgemäße Geltendmachung auf der Grundlage eines Tarifvertrages nicht gleichzeitig auch die Ausschlussfrist für Ansprüche aus einem anderen Tarifvertrag.
Sächsisches LAG, Urteil vom 09.05.2014 – 3 Sa 665/13 –
Sachverhalt:
Der klagende Arbeitnehmer, der seit 1996 ver.di-Mitglied ist, schuldet als Müllwerker der Beklagten alle Tätigkeiten, die in deren Abfall- und Entsorgungsbetrieb anfallen. Die beklagte Arbeitgeberin war seit dem 01.05.1991 ordentliches Mitglied im BDE – Bundesverband der Deutschen Entsorgungswirtschafts e.V. Wirtschafts- und Arbeitgeberverband, der mit der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di Tarifverträge schloss.
Diese ordentliche Mitgliedschaft bestand aus einer in der BDE-Satzung festgelegten Doppelmitgliedschaft sowohl in der BDE-Untergliederung Arbeitgeberverband als auch in der BDE-Untergliederung Wirtschaftsverband.
Nachdem die Mitgliedschaft der beklagten Arbeitgeberin in der BDE-Untergliederung „Arbeitgeberverband“ mit Ablauf des 30.04.2002 beendet und sie gleichzeitig aus deren Mitgliederliste gestrichen worden war, blieb die Beklagte weiterhin Mitglied in der BDE-Untergliederung Wirtschaftsverband. Diese Mitgliedschaft sollte nach der BDE-Satzung keine mitgliedschaftliche Tarifbindung erzeugen. In den Folgejahren zahlte die Beklagte an den Kläger dann auch von diesem unbeanstandet eine Vergütung, die von den zwischen dem BDE und ver.di geschlossenen Entsorgungstarifverträgen zum Nachteil des Klägers abwich.
Zum Zeitpunkt des Austritts der Beklagten aus der BDE-Untergliederung Arbeitgeberverband mit Ablauf 30.04.2002 galt der zwischen dem BDE und ver.di am 31.10.2001 abgeschlossene und ab dem 01.01.2002 gültige BMTV, der in § 13 Jahressonderzahlung und in § 19 Ausschlussfristen u.a. folgendes bestimmt:
„§ 13 Jahressonderzahlung
(1) Als jährliche Sonderzahlung werden 100 % des Monatsentgelts bezahlt, dass sich aus dem Durchschnitt der aufgrund der tariflichen Regelungen gezahlten Entgelts der letzten vorausgegangenen 13 Wochen errechnet.
Für das Tarifgebiet Ost werden
– ab dem Jahr 2003 70 %
– ab dem Jahr 2006 75 %
des Monatsentgelts gezahlt, dass sich aus dem Durchschnitt des aufgrund der tariflichen Regelung gezahlten Entgelts der letzten vorausgegangenen 13 Wochen errechnet.
Besteht das Arbeitsverhältnis nicht während des gesamten Kalendermonats, so werden die Sonderzahlungen anteilig gekürzt. Der Zeitpunkt der Fälligkeit wird betrieblich geregelt (…).
§ 19 Ausschlussfristen
Alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis müssen innerhalb einer Frist von drei Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden. Ansprüche, die nicht innerhalb dieser Frist geltend gemacht worden sind, sind verwirkt. Diese Regelung gilt sowohl für Ansprüche des Arbeitnehmers als auf für Ansprüche des Arbeitgebers.“
Mit Wirkung ab dem 01.01.2009 vereinbarten der BDE und ver.di am 12.11.2008 einen bis zum Verkündungstermin geltenden neuen Bundesmanteltarifvertrag (BMTV), der u.a. folgende Bestimmungen enthält:
„§ 13 Jahressonderzahlung
(1) Als jährliche Sonderzahlung werden 100 %, in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen 75 % des Monatsentgelts bezahlt, das sich aus dem Durchschnitt des aufgrund der tariflichen Regelungen gezahlten Entgelts der letzten vorausgegangenen 13 Wochen errechnet.
Besteht das Arbeitsverhältnis nicht während des gesamten Kalenderjahres, so werden die Sonderzahlungen anteilig gekürzt. Der Zeitpunkt der Fälligkeit wird betrieblich geregelt. […].
§ 19 Ausschlussfristen
Alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis müssen innerhalb einer Frist von drei Monaten nach Fälligkeit geltend gemacht werden. Ansprüche, die nicht innerhalb dieser Frist geltend gemacht worden sind, sind verwirkt. Diese Regelung gilt sowohl für Ansprüche des Arbeitnehmers als auch für Ansprüche des Arbeitgebers.“
Mit am 17.01.2012 bei der Beklagten eingehendem Schreiben machte der Kläger bei der Beklagten „gem. des noch nachwirkenden § 13 Bundesmanteltarifvertrag zwischen BDE und ver.di die Jahressonderzahlung für das Jahr 2011 geltend“. Mit seiner der Beklagten am 28.03.2012 zugestellten Klage hat der Kläger dann einen Anspruch auf Jahressonderzahlung 2011 nach dem ab 01.01.2002 geltenden § 13 Bundesmanteltarifvertrag vom 31.10.2001 – nachfolgend § 13 BMTV 2002 – von der Beklagten verlangt. Erst im weiteren Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens hat der Kläger sich dann in seinen Schriftsätzen darauf berufen, dass auf das Arbeitsverhältnis der Parteien kraft beiderseitiger Tarifbindung die jeweils gültigen Tarifverträge zwischen dem BDE und ver.di Anwendung fänden. Er hat dies damit begründet, die BDE-Satzung erfülle nicht die Anforderungen, die das Bundesarbeitsgericht an eine auch in tarifrechtlicher Hinsicht wirksame OT-Mitgliedschaft stelle. Die BDE-Satzung schließe insbesondere nicht hinreichend die tarifpolitischen Befugnisse der Nurmitglieder in der BDE-Untergliederung Wirtschaftsverband aus. Daher stünde ihm eine Jahressonderzahlung 2011 auch auf der Grundlage des ab 01.01.2009 geltenden § 13 BMTV 2009 zu.
Das Arbeitsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, ein etwaiger Anspruch auf Sonderzahlung nach § 13 BMTV 2009 sei verfallen, da der Kläger mit seinem bei der Beklagten am 17.01.2012 eingehenden Geltendmachungsschreiben eine Sonderzahlung nach § 13 BMTV 2002, nicht aber eine nach § 13 BMTV 2009, geltend gemacht habe. Zum Anspruch auf Sonderzahlung nach § 13 BMTV 2002 sei der klägerische Vortrag unschlüssig.
Die hiergegen eingelegte Berufung hat der Kläger im Wesentlichen damit begründet, dass er die ihm zustehende Jahressonderzahlung 2011 rechtzeitig und ausreichend geltend gemacht und darüber hinaus das Vorliegen seiner Voraussetzungen schlüssig dargetan habe.
Insbesondere habe er den Streitgegenstand nicht „eindeutig auf die Vorschrift des § 13 BMTV 2002 beschränkt“. Dergleichen sei nicht möglich, weil ein Streitgegenstand nach allen in Frage kommenden Anspruchsgrundlagen zu beurteilen sei.
Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen.
Es befasst sich in den Entscheidungsgründen zunächst mit dem am 17.01.2012 bei der Beklagten eingegangenen vorprozessualen Geltendmachungsschreiben und führt aus, dass die in diesem Schreiben enthaltenen Erklärungen des Klägers dahingehend auszulegen sind, dass der Kläger mit ihm nur eine Sonderzahlung nach dem § 13 BMTV 2002 geltend gemacht habe. Vor dem Hintergrund, dass zum damaligen Zeitpunkt der Geltendmachung durch den Kläger am 17.01.2012 die tarifrechtliche Wirksamkeit des Austritts der Beklagten aus der BDE-Untergliederung Arbeitgeberverband zum 30.04.2002 (noch) nicht im Streit stand und sich der Kläger dementsprechend auf den „noch nachwirkenden“ § 13 BMTV 2002 berufen habe, durfte die Beklagte die Erklärungen des Klägers nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte und aller für sie erkennbaren Umstände so verstehen, dass der Kläger seine Forderung auf § 13 BMTV 2002 stützen wolle. Für eine Nachwirkung des § 13 BMTV 2009 habe in dieser Situation auch nach Auffassung des Klägers kein Raum bestanden. Zudem sei § 13 BMTV 2009 in dem Jahr 2011, für das die Jahressonderzahlung geltend gemacht werde, noch in Kraft, so dass im Hinblick auf ihn nur ein unmittelbarer Anspruch gem. § 3 Abs. 1 bzw. Abs. 2 TVG in Betracht gekommen wäre. Eine Nachwirkung nach § 4 Abs. 5 TVG – wie sie der Kläger vorprozessual mit am 17.01.2012 bei der Beklagten eingehendem Schreiben geltend gemacht hatte – konnte nach Auffassung des SLAG nur aufgrund des Verbandsaustritts der Beklagten zum 30.04.2002 im Hinblick auf den BMTV 2002 eingetreten sein. Diese Auslegung der vorprozessualen Geltendmachung des Klägers werde auch durch sein Verhalten nach der Geltendmachung bestätigt. Auch in seiner Klage vom 19.03.2012 habe der Kläger seine Forderung zunächst ausdrücklich nur auf § 13 BMTV 2002 gestützt. Erst nach Wiederaufruf des Rechtsstreits habe der Kläger seine Forderung „auch“ auf eine bestehende Tarifbindung der Parteien gestützt. Das nachträgliche Verhalten könne zwar den objektiven Gehalt der Willenserklärung nicht mehr beeinflussen. Es könne aber im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, Urteil vom 29.07.2003 – 9 AZR 100/02 – Rz. 24 juris Anhaltspunkte für den tatsächlichen Willen des Erklärenden enthalten und damit für die Auslegung seiner Erklärungen von Bedeutung sein.
Da sich der Kläger in seinem bei der Beklagten am 17.01.2012 eingehenden Schreiben auf § 13 BMTV 2002 berufen habe, bestand für die Beklagte kein Anlass, zu prüfen, ob der Anspruch des Klägers möglicherweise noch aufgrund einer anderen tariflichen Bestimmung, insbesondere aufgrund des § 13 BMTV 2009 begründet sein konnte. Soweit der Kläger nunmehr die Ansicht vertrete, es sei klar gewesen, das er das ihm zustehende Entgelt habe verlangen wollen, könne dem nicht gefolgt werden. Entscheidend für die Auslegung seiner Erklärung sei der Empfängerhorizont und nicht sein Verständnis der Erklärung. Es sei in diesem Zusammenhang auch unerheblich, dass die Regelungen in § 13 des BMTV 2002 im entscheidungserheblichen Kern mit denen in § 13 BMTV 2009 übereinstimmten. Vor dem Hintergrund des zum 30.04.2002 erklärten Verbandsaustritts war es für die Verteidigung der Beklagten ein entscheidender Unterschied, ob sich der Kläger auf den BMTV 2002 oder BMTV 2009 berief, auch wenn die Beklagte im Ergebnis der Auffassung sei, nach beiden Tarifverträgen keine Sonderzahlung zu schulden.
Soweit der Kläger vorprozessual mit am 17.01.2012 bei der Beklagten eingehendem Schreiben eine Jahressonderzahlung 2011 auf der Grundlage von § 13 BMTV 2002 geltend gemacht habe, habe dies den Ablauf der tariflichen Ausschlussfrist im Sinne des § 19 BMTV 2002 nicht stoppen können, weil der Kläger im Rahmen seiner Geltendmachung nicht auf eine ausreichende Bezifferung seiner Forderung verzichten durfte. Der allein vorhandene Hinweis in seinem Geltendmachungsschreiben, das er „gemäß des noch nachwirkenden § 13 BMTV zwischen BDE und ver.di die Jahressonderzahlung für das Jahr 2011 geltend“ mache, reiche nicht aus.
Zur Geltendmachung im Sinne tariflicher Ausschlussfristen gehöre es, die andere Seite zur Erfüllung des Anspruchs aufzufordern. Dies brauche zwar nicht wörtlich, müsse jedoch hinreichend klar geschehen. Der Anspruchsinhaber müsse unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass er Inhaber einer bestimmten Forderung sei und auf deren Erfüllung bestehe. Die Geltendmachung setze deshalb voraus, dass der Anspruch seinem Grunde nach hinreichend deutlich bezeichnet und dessen Höhe, d.h. der Zeitraum, für den er verfolgt wird, mit der für den Schuldner notwendigen Klarheit ersichtlich gemacht werde. Der Sinn und Zweck der Ausschlussfristenregelung in § 19 BMTV 2002 bzw. § 19 BMTV 2009 bestünde darin, dem Kläger gegenüber den behaupteten Anspruch so zu kennzeichnen, dass er sich über Inhalt und Umfang klar werden könne und dem Gläubiger die Erhebung einer formellen Klage zunächst erspart werde. Deshalb müssten für den Arbeitgeber die Art des Anspruchs sowie die Tatsachen, auf die der Anspruch gestützt werde, erkennbar sein. Eine rechtliche Begründung sei in diesem Zusammenhang nicht erforderlich. Eine Bezifferung der Forderung sei nicht erforderlich, wenn dem Schuldner die Höhe der gegen ihn geltend gemachten Forderung bekannt oder diese ohne Weiteres errechenbar sei und die schriftliche Geltendmachung erkennbar davon ausgehe. Dies sei besonders bei Lohn- und Lohnfortzahlungsansprüchen regelmäßig der Fall. Hier sei der Arbeitgeber aufgrund seiner besonderen Sachkenntnis zur genaueren Bezifferung regelmäßig eher in der Lage als der Arbeitnehmer.
Vor dem Hintergrund aber, dass der Kläger im Jahre 2011 kein „aufgrund der tariflichen Regelungen gezahltes Entgelt“ erhalten habe, sei unklar gewesen, in welcher Höhe der Kläger eine Sonderzahlung verlangte. Dass der Kläger auf den Durchschnitt des tatsächlich gezahlten Entgelts abstellen wollte, konnte die Beklagte erst aus der Klageschrift erkennen.
Schließlich wahre die am 28.03.2012 zugestellte Klage weder die dreimonatige Ausschlussfrist des § 19 BMTV 2002 noch des § 19 BMTV 2009. Zum Zeitpunkt der Zustellung dieser Klage sei die Drei-Monats-Frist bereits abgelaufen. Das gelte sowohl für Ansprüche des Klägers auf der Grundlage des § 13 BMTV 2002 als auch auf der Grundlage des § 13 BMTV 2009.
Bewertung der Entscheidung:
Der Entscheidung des SLAG ist uneingeschränkt zuzustimmen. Sie liegt auf der Linie der Rechtsprechung des BAG, Urteil vom 20.04.2011, 4 AZR 467/09, juris Rn. 32-34.
Praxisfolgen:
Eine Arbeitsvertragspartei, die einen Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis geltend macht, muss unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass sie Inhaber einer bestimmten Forderung ist, auf deren Erfüllung sie besteht. Sie muss den Anspruch dabei so kennzeichnen, dass sich ihr Gegenüber über Inhalt und Umfang der geltend gemachten Forderung klar werden kann. Da eine rechtliche Begründung nicht erforderlich ist, sollten u.E. Begründungen, insbesondere auch die Nennung bestimmter Tarifverträge, ganz weggelassen werden. Da eine Bezifferung der Forderung immer nur dann nicht erforderlich ist, wenn der Gegenseite die Höhe bekannt oder diese von ihr ohne Weiteres errechenbar ist, sollte im Zweifel im Zusammenhang mit der Geltendmachung in enger Anlehnung an den Text der individuellen bzw. kollektiven Anspruchsgrundlage berechnet bzw. beziffert werden.