Arbeitsrecht

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Arbeitsrecht

Keine Arbeitsunfähigkeit bei Nachtdienstuntauglichkeit einer Krankenschwester

Nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist eine Krankenschwester nicht deshalb arbeitsunfähig erkrankt, weil sie aus gesundheitlichen Gründen keine Nachtschichten leisten kann. Sie hat vielmehr einen Anspruch auf Beschäftigung, ohne zu Nachtschichten eingeteilt zu werden

 

(Bundesarbeitsgericht, Urteil v. 09.04.2014, 10 AZR 637/13)

 

Sachverhalt:

Die klagende Arbeitnehmerin war seit über 20 Jahren als Krankenschwester in einem Krankenhaus der sogenannten Vollversorgung beschäftigt, welches einen Krankenhausbetrieb „rund um die Uhr“ zu gewährleisten hat. Das Krankenhaus verfügt über ca. 1.000 Betten und etwa 2.000 Arbeitnehmer. Nach dem auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifvertrag bestand eine Verpflichtung der Klägerin unter anderem zur Leistung von Arbeit in Nacht- und Wechselschicht. Sie wurde in der Vergangenheit ca. zweimal im Monat zum Nachtdienst eingeteilt. Die Arbeitnehmerin muss aus gesundheitlichen Gründen Medikamente einnehmen, die zum Einschlafen führen und einen nachtähnlichen Schlaf bewirken. Sie ist deshalb nicht mehr in der Lage, Nachtschichten zu leisten. Dies teilte die Arbeitnehmerin dem Arbeitgeber mit, welcher sich daraufhin auf den Standpunkt stellte, die Arbeitnehmerin sei arbeitsunfähig und die Annahme der von der Klägerin angebotenen Arbeitsleistung verweigerte. Die Arbeitnehmerin begehrte mit der erhobenen Klage tatsächliche Beschäftigung und Zahlung von Arbeitsvergütung.

Das erstinstanzliche Arbeitsgericht Potsdam und auch das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg haben der Klage stattgegeben. Diese Urteile hat nunmehr auch das Bundesarbeitsgericht bestätigt.

Das Bundesarbeitsgericht hat in den Entscheidungsgründen ausgeführt, die Arbeitnehmerin sei nicht deshalb arbeitsunfähig krank, weil sie aus gesundheitlichen Gründen Medikamente einnehmen müsse und deshalb keine Nachtdienste mehr leisten könne. Ob die Klägerin krank sei, hat das Bundesarbeitsgericht dahinstehen lassen, jedenfalls sei die Klägerin nicht arbeitsunfähig. Für den Begriff der Arbeitsunfähigkeit sei eine vom Arzt nach objektiven Maßstäben vorzunehmende Bewertung des Gesundheitszustandes maßgebend. Die Arbeitsunfähigkeit beurteile sich nach der vom Arbeitnehmer arbeitsvertraglich geschuldeten Leistung, wie sie der Arbeitgeber ohne die Arbeitsunfähigkeit als vertragsgemäß annehmen muss. Arbeitsunfähigkeit liege vor, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglich geschuldete Tätigkeit nicht mehr ausüben könne oder nicht mehr ausüben solle, weil die Heilung der Krankheit nach ärztlicher Prognose verhindert oder verzögert würde.

Das Bundesarbeitsgericht hat weiter ausgeführt, dass die Arbeitnehmerin unstreitig in der Lage sei, sämtliche von ihr als Krankenschwester geschuldeten Arbeiten auszuführen. Sie sei nach Art und Ort der Arbeitsleistung sowie der zeitlichen Dauer der Arbeit uneingeschränkt einsetzbar und unterliege Einschränkungen nur im Hinblick auf die Lage der Arbeitszeit und insoweit auch nur in Bezug auf die Nachtschichten. Das Bundesarbeitsgericht stellt weiter darauf ab, dass es dem Krankenhaus im Rahmen des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts gem. § 106 GewO ohne weiteres möglich sei, die Klägerin als Krankenschwester auch außerhalb der Nachtschichten zu beschäftigen. Entgegenstehende Gründe habe das Krankenhaus jedenfalls nicht nachvollziehbar vorgetragen. Eine vertragliche Festlegung der Arbeitszeit auf die Nachtzeit hätten die Arbeitsvertragsparteien gerade nicht vereinbart. Die tarifvertraglich verankerte Verpflichtung zur Leistung von Nachtschichten könne genauso wie eine Regelung in einer Betriebsvereinbarung zwar ein Recht des Krankenhauses zur Einteilung zur Nachtschicht begründen, jedoch nicht die Pflicht des Krankenhauses, einen solchen Einsatz vorzusehen.

Vorliegend sei auch kein Fall einer verminderten Arbeitsfähigkeit gegeben, in welchem die Rechtsprechung von Arbeitsunfähigkeit ausgeht und für den sie die Annahme einer teilweisen Arbeitsfähigkeit bzw. teilweisen Arbeitsunfähigkeit ausdrücklich ablehnt. Davon würden jedoch nicht die Fälle umfasst, in denen der Arbeitnehmer eine volle Arbeitsleistung erbringen könne und lediglich daran gehindert sei, der gesamten Bandbreite der arbeitsvertraglich an sich möglichen Leistungsbestimmungen gerecht zu werden. Vielmehr müsse der Arbeitgeber vorliegend im Rahmen der Ausübung seines arbeitgeberseitigen Direktionsrechts gem. § 106 GewO nach Möglichkeit berücksichtigen, dass der Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage ist, alle an sich geschuldeten Tätigkeiten auszuüben. Die Arbeitnehmerin könne demnach vom Krankenhaus verlangen, dass dieses das Direktionsrecht dergestalt ausübt, dass für die Arbeitnehmerin keine Nachtschichten anfallen.

Vor diesem Hintergrund hat das Bundesarbeitsgericht den geltend gemachten Beschäftigungsanspruch der Arbeitnehmerin und unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs auch den Anspruch auf Zahlung der Vergütung bejaht.

 

Bewertung der Entscheidung:

Mit seiner Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht auf den Unterschied zwischen Erkrankung und Arbeitsunfähigkeit hingewiesen. Diese Begriffe sind nicht zwangsläufig deckungsgleich. Ausgangspunkt für die Bewertung, ob eine Erkrankung auch zur Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers führt, ist die vertraglich geschuldete Tätigkeit. Kann diese zwar von Art und Umfang her vollständig jedoch zu bestimmten Zeiten nicht erfüllt werden, ist zu prüfen, ob der Arbeitgeber im Rahmen seines Direktionsrechts trotz der Einschränkung billigerweise eine Beschäftigung des Arbeitnehmer realisieren kann.

 

Praxisfolgen:

Mit seiner Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht die Rechte von Arbeitnehmern im Schichtdienst gestärkt. Arbeitgeber haben zukünftig mehr Rücksicht auf gesundheitliche Defizite ihrer Arbeitnehmer zu nehmen oder aber die Umschreibung der geschuldeten Tätigkeit im Arbeitsvertrag enger zu fassen. Wäre die Arbeitnehmerin im vorstehenden Fall nach dem Arbeitsvertrag als „Krankenschwester im Nachtdienst“ eingestellt worden, hätten die Arbeitsgerichte vermutlich anders entschieden. In diesem Fall wäre aber das arbeitgeberseitige Direktionsrecht entsprechend eingeschränkt gewesen.

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