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Arbeitsrecht

Keine zweite Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist im Bereich der Arbeitsgerichtsbarkeit

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat entschieden, dass eine zweite Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nach § 66 Abs. 1 Satz 4 ArbGG unzulässig ist. § 66 Abs. 1 Satz 4 ArbGG erlaube im Gegensatz zu § 519 Abs. 2 Satz 3 ZPO ausdrücklich nur die einmalige Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist. Eine zweite Verlängerung der Rechtsmittelbegründungsfrist sei nach § 66 Abs. 1 Satz 4 ArbGG auch dann nicht zulässig, wenn erst durch sie eine insgesamt einmonatige Fristverlängerung erreicht würde und zwar auch dann, wenn das erstinstanzliche Urteil noch nicht zugestellt ist, vgl. BAG vom 13.09.1995 – 2 AZR 855/94 und BAG vom 26.09.1991 – 2 AZR 62/91.

 

Sachverhalt:

Auf die von der Klägerin erhobene Kündigungsschutzklage, mit der ein Weiterbeschäftigungsanspruch und Zahlungsansprüche wegen der Vergütung nach Ausspruch der ordentlichen Kündigung verbunden waren, entschied das Arbeitsgericht am 26.05.1993 nach den Klageanträgen: Dieses Urteil gelangte erst am 18.11.1993 zur Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts und wurde der Beklagten am 26.11.1993 zugestellt. Bereits zuvor hatten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin aus diesem Urteil die Zwangsvollstreckung betrieben. Mit einem am 14.07.1993 beim LAG eingegangenen Schriftsatz legte das beklagte Land Berufung ein und beantragte in der Folgezeit Einstellung der Zwangsvollstreckung. Durch Beschluss vom 10.08.1993 wurde die Berufungsbegründungsfrist auf Antrag des beklagten Land vom 09.08.1993 bis zum 14.09.1993 (erstmals) verlängert. Da das erstinstanzliche Urteil bis zum 14.09.1993 noch nicht zugestellt war, beantragte das beklagte Land mit Schriftsatz vom 21.08.1993 erneut die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um einen weiteren Monat. Diesem Antrag wurde durch Beschluss des LAG vom 01.09.1993 stattgegeben und die Berufungsbegründungsfrist bis zum 18.10.1993 verlängert. Der erneute Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist vom 06.10.1993 wurde durch Verfügung vom 07.10.1993 abschlägig dahin beschieden, eine nochmalige Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist könne im Hinblick auf § 66 Abs. 1 Satz 4 ArbGG nicht erfolgen; es bleibe unbenommen, nach Zustellung des vollständig abgefassten erstinstanzlichen Urteils erneut Berufung einzulegen. Mit einem am 18.10.1993 beim LAG eingegangenen Schriftsatz begründete nunmehr das beklagte Land die bereits mit Schriftsatz vom 27.07.1993 angekündigten Anträge. Darin wird die nicht rechtzeitige Zustellung des vollständig abgesetzten erstinstanzlichen Urteils gerügt; ferner enthält diese Begründung Ausführungen zur ausgesprochenen fristlosen Kündigung vom 30.10.1992, zur Zahlungs- und Weiterbeschäftigungsverurteilung. Nachdem das am 26.05.1993 verkündete erstinstanzliche Urteil dem beklagten Land am 26.11.1993 zugestellt worden war, begründete das beklagte Land die Berufung weiter mit Schriftsatz vom 04.01.1994. Die Klägerin hat außer der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung geltend gemacht, die vom beklagten Land eingelegte Berufung sei unzulässig, weil einerseits die zweifache Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist unwirksam und andererseits eine Auseinandersetzung mit dem erstinstanzlichen Urteil in der Berufungsbegründung vom 18.10.1993 nicht enthalten sei. Die Klägerin hat zuletzt beantragt, die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des Arbeitsgerichts vom 26.05.1993 als unzulässig zu verwerfen. Das beklagte Land hat Klageabweisung beantragt und Widerklage auf Rückzahlung der erstinstanzlich ausgeurteilten Geldbeträge erhoben.

 

Das Landesarbeitsgericht hat durch Urteil vom 01.06.1994 die Berufung des beklagten Landes als unzulässig verworfen und die Revision zugelassen. Die Revision des beklagten Landes führte zur Aufhebung und zur Rückverweisung.

 

Das BAG bekräftigt zunächst, dass die erneute Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist wegen Verstoßes gegen § 66 Abs. 1 Satz 4 ArbGG unwirksam ist. Das gelte sowohl dann, wenn erst durch die zweite Verlängerung eine einmonatige Fristverlängerung erreicht wird, als auch dann, wenn das erstinstanzliche Urteil bis zum Ablauf der ersten Verlängerung noch nicht zugestellt ist. Der abermalige Verlängerungsbeschluss des LAG vom 01.09.1993 war daher nichtig und hat deshalb nicht zu einer rechtlich wirksamen abermaligen Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist geführt. Angesichts der eindeutigen Gesetzeslage können die Prozessbevollmächtigten nicht auf die Wirksamkeit einer erneuten Verlängerung vertrauen.

 

Damit ist jedoch für die in erster Instanz unterlegene Partei noch nichts verloren. Sie kann nämlich nach Zustellung des arbeitsgerichtlichen Urteils erneut wirksam Berufung einlegen. Im arbeitsgerichtlichen Verfahren beginnt nämlich die einmonatige Berufungsfrist des § 66 Abs. 1. Satz 1 ArbGG mit Zustellung des in vollständiger Form abgefassten und mit einer Rechtsmittelbelehrung versehenen Urteils (§ 516 ZPO, § 9 Abs. 5 ArbGG). Daran ist die unterlegene Partei auch dann nicht gehindert, wenn die Berufungsbegründungsfrist nach der erstmaligen Einlegung der Berufung und ihrer Verlängerung bereits abgelaufen ist. Von einem Rechtsmittel, das der Partei gegen ein Urteil zusteht, kann sie nämlich mehrmals und solange Gebrauch machen, wie die Rechtsmittelfrist nicht verstrichen ist. Die Rechtsmittelschriftsätze, durch die das Rechtsmittel früher oder später nochmals eingelegt worden war, sind gegenstandslos. Es ist nur ein Rechtsmittel anhängig. Wird erst die wiederholte Berufungseinlegung wirksam, so richtet sich die Berufungsbegründungsfrist nach ihr.

 

Bewertung der Entscheidung:

Die Entscheidungen des BAG tragen maßgeblich zur Rechtssicherheit bei der Einlegung und Begründung von Berufungen gegen erstinstanzliche arbeitsgerichtliche Entscheidungen bei. Da nie voraussehbar ist, wann das erstinstanzliche Urteil in vollständig abgefasster Form und mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen, zugestellt wird, muss die Berufung immer einen Monat nach der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens jedoch mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung des erstinstanzlichen Urteils eingelegt worden sein. Sollte mangels Zustellung eines solchen Urteils eine Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen der ersten Instanz nicht möglich sein, kann eine ordnungsgemäße Berufungsbegründung auch dadurch erfolgen, dass sich die unterlegene Partei quasi im Vorgriff auf die ihr noch zuzustellende Entscheidung mit seinen Entscheidungsgründen befasst, in dem sie auch ohne konkrete Auseinandersetzung mit dem Urteil die für entscheidungserheblich gehaltenen Behauptungen aus erster Instanz vertieft und zum Beispiel mit weiteren Beweisantritten dazu ausführt. In jedem Fall sollte die unterlegene Partei aber nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten und mit einer Rechtsmittelbelehrung versehenen erstinstanzlichen Urteils erneut unter Wahrung der sich aus § 66 ArbGG ergebenden Fristen Berufung einlegen und diese begründen. Dabei kann die Berufungsbegründungsfrist – einmal – verlängert werden.

 

Praxisfolgen:

Ein Rechtsanwalt muss hinsichtlich der Beachtung der Berufungsformalitäten immer die oben angesprochene Frist zur Berufungseinlegung und die Rechtstatsache beachten, dass es eine zweite Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist im Bereich der Arbeitsgerichtsbarkeit nicht gibt. Im Rahmen der – ggf. erstmalig verlängerten – Berufungsbegründungsfrist hat eine – ggf. hypothetische – Auseinandersetzung mit dem Urteil der ersten Instanz zu erfolgen, wenn das Urteil nicht in der verlängerten Berufungsbegründungsfrist zugestellt wird. Nach Zustellung eines ordnungsgemäß abgefassten und mit einer Rechtsmittelbelehrung versehenen Urteils hat in jedem Fall erneut unter Beachtung der Fristen Berufungseinlegung und Berufungsbegründung zu erfolgen. Ist das erstinstanzliche Urteil zugestellt, ist nach rechtzeitiger Berufungseinlegung nur die einmalige Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist möglich, und zwar selbst dann, wenn die gegnerische Prozesspartei sich mit der erneuten Verlängerung einverstanden erklärt hat. Die Nichtbeachtung dieser Rechtslage kann dramatische Konsequenzen haben.

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