Arbeitsrecht

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Neue Hürde bei der Kündigung schwerbehinderter Arbeitnehmer

Am 16.12.2016 hat der Bundesrat dem vom Bundestag beschlossenen Bundesteilhabegesetz zugestimmt. Nach Unterzeichnung durch den Bundespräsidenten und Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt wird das Bundesteilhabegesetz in seinen wesentlichen Teilen am 01.01.2018 in Kraft treten. Das Bundesteilhabegesetz beinhaltet jedoch auch Änderungen des SGB IX, welche bereits jetzt in Kraft getreten sind. Zu diesen bereits in Kraft getretenen Regelungen gehört eine Änderung des § 95 SGB IX, welcher die Aufgaben der Schwerbehindertenvertretung regelt. Nach § 95 Abs. 2 Satz 1 hat der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die Schwerbehinderten Menschen als Gruppen berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören; der Arbeitgeber hat der Schwerbehindertenvertretung die getroffene Entscheidung unverzüglich mitzuteilen. Durch das Bundesteilhabegesetz wird mit Wirkung ab dem 01.01.2017 in § 95 Abs. 2 folgender Satz 2 eingefügt:

„Die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen, die der Arbeitgeber ohne eine Beteiligung nach Satz 1 ausspricht, ist unwirksam.“

Bislang war nach allgemeiner Ansicht in Rechtsprechung und Literatur davon auszugehen, dass eine Kündigung gegenüber einem Schwerbehinderten nicht dadurch unwirksam wurde, dass die Schwerbehindertenvertretung nicht oder nicht ordnungsgemäß gem. § 95 SGB IX beteiligt worden war. Die Sanktionswirkung der Regelung über die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung war damit begrenzt. Zwar konnte ein Verstoß möglicherweise eine Ordnungswidrigkeit darstellen, welche mit einer Geldbuße geahndet werden konnte. Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen die Verpflichtung zur Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung blieb aber im Regelfall folgenlos.

Durch die vorstehend aufgeführte Änderung des § 95 SGB IX kann an dieser allgemeine Ansicht zu den Folgen einer unterbliebenen Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung in Bezug auf eine ausgesprochene Kündigung nicht mehr festgehalten werden. Es ist im Gegenteil davon auszugehen, dass die Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers unwirksam ist, wenn die Schwerbehindertenvertretung nicht oder nicht ordnungsgemäß vor Ausspruch der Kündigung gem. § 95 SGB IX beteiligt worden ist. Die Verpflichtung zur Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung vor Ausspruch der Kündigung schwerbehinderter Arbeitnehmer ist damit deutlich gestärkt worden.

Die vorstehend aufgeführte Änderung des § 95 SGB IX wirft zudem eine Reihe weiterer Rechtsfragen auf.

Ist zum Beispiel eine ohne Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ausgesprochene Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers auch in den ersten 6 Monaten des Arbeitsverhältnisses rechtsunwirksam, obwohl in diesem Fall eine Zustimmung des Integrationsamtes gem. § 90 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX nicht erforderlich ist? In der Literatur* wird insoweit aufgrund der systematischen Stellung der Regelung über die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung gefolgert, dass auch in diesem Fall eine ohne Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ausgesprochene Kündigung bereits aus diesem Grund rechtsunwirksam ist.

Fraglich ist auch die Behandlung der Fälle, in denen der Arbeitgeber zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung die bestehende Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht kannte. Hier dürfte nach Meinung der Literatur* die Rechtsprechung des BAG im Hinblick auf die Erforderlichkeit der Zustimmung des Integrationsamtes entsprechend anzuwenden sein. Danach würde es der Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung nicht bedürfen, wenn der Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigung die Schwerbehinderung nicht kannte, diese auch nicht offensichtlich war und der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber die Schwerbehinderung auch nicht innerhalb von 3 Wochen nach Zugang der Kündigung nachträglich mitgeteilt hat. Die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung wird auf der Grundlage der Rechtsprechung des BAG betreffend die Zustimmung des Integrationsamt auch dann erforderlich sein, wenn der Arbeitnehmer den Antrag auf Anerkennung als Schwerbehinderter bzw. auf Gleichstellung wenigstens 3 Wochen vor dem Zugang der Kündigung gestellt hatte, der Arbeitgeber spätestens 3 Wochen nach Zugang der Kündigung von der Antragstellung Kenntnis erlangt hat und der später erteilte Bescheid auf den Zeitpunkt des Kündigungszugangs zurückwirkt.*

Die Neuregelung in § 95 Abs. 2 Satz 2 SGB IX enthält zudem keinerlei Fristen für eine Stellungnahme der Schwerbehindertenvertretung. Diese Lücke dürfte nach Ansicht in der Literatur* durch eine analoge Anwendung der Fristen des § 102 BetrVG zu schließen sein. Bereits vor Änderung des § 95 Abs. 2 SGB IX wurde in diesem Zusammenhang vertreten, dass der Schwerbehindertenvertretung in Anlehnung an § 102 Abs. 2 BetrVG bei einer ordentlichen Kündigung eine Äußerungsfrist von einer Woche und bei einer außerordentlichen Kündigung eine Äußerungsfrist von drei Tagen zugestanden werden sollte.

Es bleibt abzuwarten, wie die Rechtsprechung sich zu diesen Fragen positionieren wird.
*Bayreuther „Der neue Kündigungsschutz schwerbehinderter Arbeitnehmer“ in NZA 2017, 87 ff. m.w.N.

Praxisfolgen:
Bei der Kündigung schwerbehinderter Arbeitnehmer sollte – bei Bestehen einer Schwerbehindertenvertretung – besonders Augenmerk auf die ordnungsgemäße Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung gem. § 95 SGB IX gelegt werden. In diesem Zusammenhang sollten die Fristen des § 102 Abs. 2 BetrVG beachtet werden. Ein Arbeitgeber, welcher diese Vorgaben nicht einhält, kann im Kündigungsschutzprozess eine böse Überraschung erleben und wird sich mit der Unwirksamkeit der von ihm ausgesprochenen Kündigung allein wegen unzureichender Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung auseinanderzusetzen haben.

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