Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat am 30.03.2012 entschieden, dass die Einladung zur Anhörung vor Ausspruch einer Verdachtskündigung den Gegenstand des Gespräches beinhalten und den Mitarbeiter in die Lage versetzen müsse, eine Vertrauensperson hinzuzuziehen.
LAG Berlin-Brandenburg, 30.03.2012 – 10 Sa 2272/11 – juris.
Sachverhalt:
Die in dem Rechtsstreit beklagte Arbeitgeberin hatte festgestellt, dass die von der Klägerin registrierten Arbeitszeiten von den tatsächlichen Arbeitszeiten in zwei Fällen zu ihren Gunsten abwichen. Daraufhin beobachtete die beklagte Arbeitgeberin den Beginn und das Ende der täglichen Arbeitszeit der Klägerin und stellte dabei tägliche Abweichungen zu den eingetragenen Arbeitszeiten zugunsten der Klägerin fest. Ohne der Klägerin zuvor den Gegenstand des Gespräches mitzuteilen, fand daraufhin ein ca. 30-minütiges Personalgespräch mit der Klägerin statt, an dem auf Seiten des Arbeitgebers zwei Vorstandsmitglieder, eine Abteilungsleiterin und eine Personalsachbearbeiterin teilnahmen. In diesem Gespräch wurde der Klägerin mitgeteilt, dass aufgrund des Anfangsverdachts eine tägliche Prüfung erfolgt sei und man tägliche Abweichungen ihrer Arbeitszeiten festgestellt habe. Dazu wurden der Klägerin einzelne Tage und Arbeitszeiten aufgezählt. Die Klägerin bestritt das Fehlverhalten mit Ausnahme der Abweichungen an zwei Arbeitstagen und erklärte, dass eine Manipulation der erfassten Zeiten durch andere nicht auszuschließen sei. Außerdem sei sie stark beeinträchtigt gewesen, da sie nach einer überstandenen Krebserkrankung im Rahmen einer Nachuntersuchung erneut einen unklaren Befund mitgeteilt bekommen habe. Im Anschluss an dieses Gespräch kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis der Klägerin außerordentlich fristlos und hilfsweise ordentlich.
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat die Berufung der Beklagten gegen das stattgebende Urteil erster Instanz zurückgewiesen. Es hält die Kündigung bereits deshalb für unwirksam, weil es beim Arbeitszeitbetrug eines langjährigen Arbeitnehmers grundsätzlich einer vorherigen Abmahnung bedürfe. Die außerordentliche Verdachtskündigung sei im konkreten Fall aber unabhängig davon bereits deshalb nicht gerechtfertigt, weil die Arbeitgeberin die Arbeitnehmerin bei der Einladung zu dem Anhörungsgespräch nicht auf den Gegenstand des Gesprächs hingewiesen habe. Formal bedeute das, dass ein Anhörungsgespräch im Rahmen einer Verdachtskündigung nicht so ausgestaltet werden dürfe, dass eine Arbeitnehmerin sich allein einer größeren Gruppe von Vorgesetzten gegenübersehe, ohne zuvor auf das Thema des Gesprächs hingewiesen worden zu sein. Die Arbeitgeberin habe bei der Einladung zum Anhörungsgespräch zumindest auf den Themenkreis, wie z. B. „Anhörung im Vorfeld einer beabsichtigten Kündigung wegen falscher Arbeitszeitaufzeichnungen“, hinzuweisen, damit die Arbeitnehmerin in den Stand versetzt werde, sich mental auf ein solches Gespräch vorzubereiten und ggf. eine Vertrauensperson, wie z. B. ein Betriebsratsmitglied oder eine Rechtsanwältin, hinzuzuziehen, vgl.: LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30.03.2012, 10 Sa 2272/11, juris.
Bewertung der Entscheidung:
Auch wenn die vorstehend wiedergegebenen Ausführungen in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg missverständlich formuliert sind, stellt die Entscheidung bei einer Einladung des Arbeitgebers zur Anhörung des Arbeitnehmers vor Ausspruch einer Verdachtskündigung zwei formale und inhaltliche Anforderungen auf:
Der Arbeitgeber müsse in der Einladung den „Themenkreis“ mitteilen und den Arbeitnehmer gleichzeitig in die Lage versetzen, sich „mental vorzubereiten“ sowie eine Vertrauensperson hinzuzuziehen. Ohne dass dies vom Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg ausdrücklich erwähnt wird, dürfte damit auch gleichzeitig eine gewisse zeitliche Abfolge im Vorfeld von Verdachtskündigungen vorgegeben sein. Die Hinzuziehung einer Vertrauensperson, wie etwa die eines Rechtsanwalts, setzt nämlich zwangsläufig voraus, dass zwischen dem Zugang der Einladung und dem Anhörungstermin dafür ausreichend Zeit liegen muss. Die vom Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg vertretene Ansicht, die Einladung zur Anhörung vor Ausspruch einer Verdachtskündigung müsse den Gegenstand des Gespräches angeben und den Arbeitnehmer in die Lage versetzen, eine Vertrauensperson hinzuzuziehen, überzeugt nicht. Weder dem Gesetz noch der Rechtsprechung des BAG lassen sich solche Anforderungen entnehmen. Zwar steht dem bereits angehörten Mitarbeiter das Recht zu, sich über seinen Rechtsanwalt oder gemeinsam mit seinem Rechtsanwalt zu äußern. Nirgends ist jedoch geregelt, dass bereits die Einladung zu einem solchen Anhörungsgespräch solchen formalen Anforderungen entsprechen muss. Soweit ersichtlich, fordert die Rechtsprechung des BAG in diesem Zusammenhang bisher lediglich, dass der Arbeitgeber dem betroffenen Arbeitnehmer den Sachverhalt, den er der beabsichtigten Verdachtskündigung zugrunde legen will, während des Anhörungsgespräches so weit konkretisieren muss, dass der Arbeitnehmer sich darauf substantiiert einlassen kann. Ist dies geschehen und erklärt der Arbeitnehmer, dass er sich zu dem Vorwurf nicht weiter äußern will, muss der Arbeitgeber ihn nach der Rechtsprechung des BAG nicht weiter informieren. Kann oder will der Arbeitnehmer sich auf den ihm vorgeworfenen Sachverhalt in dem Anhörungsgespräch nicht sofort einlassen, erklärt er sich jedoch gleichzeitig bereit, zur Sachverhaltsaufklärung beizutragen, wird der Arbeitgeber hierauf eingehen und ggf. ein weiteres Anhörungsgespräch anberaumen müssen. Geht ein Arbeitgeber in seiner solchen Situation nicht auf die Bereitschaft des Arbeitnehmers, an der weiteren Sachverhaltsaufklärung mitzuwirken, ein, spricht die Verdachtskündigung aus, wird er sich im Rahmen des Rechtsstreits den Vorwurf gefallen lassen müssen, vor Ausspruch der Verdachtskündigung nicht alles getan zu haben, was zur Aufklärung des Sachverhaltes erforderlich ist. Dass der Arbeitnehmer in einer solchen Anhörungssituation einen Rechtsanwalt hinzuziehen darf, hat das BAG in seinem Urteil vom 13.03.2008, 2 AZR 961/06, Rz. 15, juris, bereits ausgeurteilt.
Praxisfolgen:
Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg stellt ohne nähere Begründung neue Hürden bei der Einladung zur Anhörung vor Ausspruch einer Verdachtskündigung auf, die mit Sinn und Zweck der Anhörung nicht im Einklang stehen. Alleiniger Sinn und Zweck der Anhörung vor Ausspruch einer Verdachtskündigung ist es nach der Rechtsprechung, dass der Sachverhalt aufgeklärt wird. Gegen die Entscheidung ist Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt.
Mittlerweile hat das BAG zu diesem Thema – entgegen der vorstehend zitierten Rechtsprechung des LAG Berlin-Brandenburg – erfreulich klar Position bezogen. Danach ist eine Unterrichtung des Arbeitnehmers über den beabsichtigen Gesprächsinhalt im Vorfeld eines Anhörungsgespräches nicht erforderlich. In seinem Urteil vom 12.02.2015 – 6 AZR 845/13 – setzt sich das BAG mit der in Rechtsprechung und Literatur geforderten Themenbekanntgabe vor der Anhörung auseinander. Das BAG gelangt im Kern zu dem Ergebnis, dass eine Mitteilung des beabsichtigten Gesprächsthemas gegenüber einem Auszubildenden nicht erforderlich ist, weil in Fällen des begründeten Verdachts die Gefahr einer Verdunkelung der Tat bestehe, welcher nicht immer mit den Mitteln der Beweissicherung zu begegnen sei. Zudem werde dem Anzuhörenden die Gelegenheit entzogen, sich möglichst unbefangen mit den Vorwürfen auseinanderzusetzen und möglicherweise schon mit seiner spontanen Reaktion eine Entlastung herbeizuführen (ebenso zur Anhörung eines Arbeitnehmers: ErfK/Müller/Glöge, 15. Auflage, § 626 BGB, Rn. 178 b)).
Das Bundesarbeitsgericht weist aber in diesem Zusammenhang zutreffend auch darauf hin, dass eine Gesprächssituation den Auszubildenden erkennbar überfordern kann, sei es in psychischer Hinsicht oder wegen der Komplexität des Sachverhaltes. Dann könne es der Rücksichtnahmepflicht des Ausbildenden entsprechen, das Gespräch von sich aus oder auf Wunsch des Auszubildenden abzubrechen und eine erneute Anhörung anzuberaumen, wenn der Auszubildende grundsätzlich zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Verdachtsmomenten bereit sei. Dadurch erhalte der Auszubildende die ggf. erforderliche Vorbereitungszeit. Diese müsse abhängig von den Umständen des Einzelfalls eine angemessene Dauer aufweisen (vgl. KR/Fischermeier, 10. Auflage, § 626 BGB, Rn. 20). Eine Unterbrechung der Anhörung sei auch geboten, wenn der Auszubildende die Beratung mit einer Vertrauensperson verlange. Der Ausbildende sei jedoch nicht verpflichtet, den Auszubildenden auf die Möglichkeit der Kontaktierung eines Rechtsanwalts hinzuweisen, vgl. Eylert/Friedrichs DB 2007, 2203, 2205. Dies gelte auch bezüglich sonstiger Vertrauenspersonen.
BAG, 12.02.2015 – 6 AZR 845/13 – juris, Rn. 58 ff.