Arbeitsrecht

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Arbeitsrecht

Reformbedarf im Arbeitszeitrecht wegen der fortschreitenden Verzahnung der industriellen Produktion mit modernster Informtions- und Kommunikationstechnik (Arbeitswelt 4.0)?

Ausgangslage
Nach dem Wikipedia-Eintrag ist „Industrie 4.0“ ein Begriff, der auf die Forschungsunion der deutschen Bundesregierung und ein gleichnamiges Projekt in der Hightech-Strategie der Bundesregierung zurückgeht. Der um sich greifende digitale Fortschritt macht natürlich auch vor der Arbeitswelt nicht halt. Selbst komplexe Produktionsabläufe sind von fast jedem Ort der Welt aus rund um die Uhr steuerbar. Das führt natürlich dazu, dass die Regelungen im Arbeitszeitgesetz sich schon heute als nicht mehr zeitgemäß erweisen. In vielen Branchen entsprechen sie nicht mehr dem tatsächlichen Bedarf. Mit der fortschreitenden Vernetzung von Arbeitsabläufen wird sich diese offenkundige Diskrepanz zwischen der Arbeitswirklichkeit und der gesetzlichen Regelung weiter verstärken.

Jacobs zeigt mit überzeugenden Argumenten in seinem Beitrag „Reformbedarf im Arbeitszeitrecht“ in NZA 12/2016, Seite 733 f. auf, dass diese Entwicklung in der Arbeitswelt 4.0 gerade auch im Bereich des Arbeitszeitrechts das Erfordernis begründet, über Reformen mehr als nur nachzudenken. Jacobs stellt heraus, dass der überall bestehende hohe Reformbedarf vor allem die Bereiche Höchstarbeitszeit, Ruhezeit und das Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit betrifft. Auch wenn die europäischen Vorgaben keine umstürzenden Änderungen im deutschen Arbeitszeitrecht zuließen, sei eine behutsame Flexibilisierung ohne Einschränkung des Arbeitnehmerschutzes durchaus möglich.

(Jacobs, Reformbedarf im Arbeitsrecht, NZA 12/2016, Seite 733 f.)

1.
Der Verfasser weist in seinem genannten Beitrag zunächst darauf hin, dass betrieblich vorgesehene Strukturen mit festen Arbeitszeiten und Arbeitsorten in vielen Bereichen zunehmend verloren gehen. Die Folge von Digitalisierung und Automatisierung sei eine notwendige Flexibilisierung der Arbeitsprozesse. Hinzu komme die zunehmende und grenzenlose Vernetzung der Arbeitswelt. Laptop, Tablet und Smartphone ermöglichten in vielen Lebensbereichen die zeitlich und räumlich entgrenzte Möglichkeit zu arbeiten. Die Auswertung verschiedener Untersuchungen ergäbe, dass die weit überwiegende Zahl von Arbeitnehmern täglich mit mobilen Geräten, viele davon zumindest gelegentlich in ihrer Freizeit oder zu Hause arbeiteten. Das führe dazu, dass viele Arbeitnehmer faktisch für Kollegen, Vorgesetzte und Kunden per Handy oder E-Mail – zumeist immer – erreichbar seien.

2.
Die von Jacobs beschriebene Entwicklung zeigt nach seiner Meinung auf, dass auf Arbeitgeberseite und auf Arbeitnehmerseite ein großes Interesse an der weiteren Flexibilisierung im Arbeitszeitrecht bestehe. Auf Arbeitgeberseite gehe es in einer vernetzten Welt darum, möglichst schnell und unkompliziert auf die Veränderungen in digitalisierten Produktionsprozessen reagieren zu können. Anfallende Arbeiten müssten auch kurzfristig erledigt, Kundenanfragen schnell beantwortet, Reisezeiten effizient genutzt und Arbeiten mit Kollegen in anderen Zeitzonen ermöglicht werden. Das alles spare Kosten und nutze den Arbeitnehmern. Auf Arbeitnehmerseite stehe vor allem die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie im Vordergrund. Flexibilisierte Arbeitszeiten ermöglichten es Arbeitnehmern mit Familie, Arbeit und Freizeit an die eigenen Bedürfnisse anzupassen. Allerdings sei entgrenztes Arbeiten für den Arbeitnehmer auch gefährlich, weil die Grenzen zwischen Arbeitszeit und Freizeit verschwimmen würden. Das Gefühl ständiger Erreichbarkeit werde mitunter als belastend empfunden. Zudem eröffne eine freie Zeiteinteilung nicht nur Handlungsspielräume, sondern könne auch Last sein. Das gelegentliche Arbeiten abends oder am Wochenende, also in der typischen Freizeit, hindere unter Umständen die Regeneration. Zudem könne entgrenztes Arbeiten auch zu einer Verlängerung der tatsächlichen Arbeitszeit führen. Flexibilität stelle sehr hohe Anforderungen an die zeitliche Selbstorganisation, die nicht jeder erfülle.

Arbeitszeitliche Grenzen des Arbeitens 4.0 nach geltendem und nach zukünftig gewünschtem Recht

Der Verfasser mahnt in seinem Beitrag an, dass bei der Abänderung des Arbeitszeitgesetzes die geschilderten Interessen der Beteiligten sorgsam miteinander abgewogen und zu einem angemessenen Ausgleich gebracht werden müssten. Vor allem dürfe der durch das Arbeitszeitrecht bezweckte Gesundheitsschutz bei solchen Änderungen nicht beeinträchtigt werden. Es gelte zudem, die europarechtlichen Vorgaben zu beachten. Die jüngere Vergangenheit habe nämlich gezeigt, dass derzeit aus Brüssel keine Veränderungen im Arbeitszeitrecht zu erwarten seien. Es sei deshalb sinnlos, diese aus dem Gemeinschaftsrecht vorgegebenen Maßgaben gegenwärtig in Frage zu stellen. Der Spielraum, der für mögliche Reformen im deutschen Recht bestehe, sei daher nicht all zu groß. Jacobs geht in seinem Beitrag dann in fünf ausgewählten und von ihm für besonders praxisrelevant gehaltenen Fragen des Arbeitszeitrechtes auf die geltenden rechtlichen Regelungen ein und schlägt in diesem Zusammenhang jeweils aus seiner Sicht erwünschte zukünftige Regelungsmöglichkeiten vor.

1.
Einleitend weist Jacobs in seinem Beitrag zunächst darauf hin, dass bestehender Reformbedarf im Bereich des Arbeitszeitrechts wohl nicht durch die Änderung des Arbeitnehmerbegriffes bewirkt werden könne. Maßgeblich bleibe der allgemeine arbeitsrechtliche Arbeitnehmerbegriff. Die dagegen in der juristischen Literatur vorgebrachten Vorschläge überzeugten nicht.

2.
Im Hinblick darauf, dass Arbeiten 4.0 die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen ließen, veranlasst Jacobs zu der Fragestellung, ob nicht genauer als bisher danach gefragt werden müsse, was überhaupt Arbeitszeit ist. Liege Arbeitszeit vor, wenn der Arbeitnehmer beispielsweise in seiner Freizeit erreichbar sei oder es sein müsse? Wie sei es zu beurteilen, wenn ein Mitarbeiter nach Feierabend noch einmal fünf Minuten dienstliche E-Mails lese oder schreibe? Arbeitszeit sei nach § 2 Abs. 1 Satz 1 ArbZG die Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne Ruhepausen. Nach der Rechtsprechung handele es sich um Arbeitszeit, wenn der Arbeitnehmer eine Tätigkeit erbringe, die als Arbeitsleistung zu qualifizieren sei, oder dem Arbeitnehmer insoweit zur Verfügung stehe oder wenn sich ein Mitarbeiter in Arbeitsbereitschaft oder im Bereitschaftsdienst befinde. Diese tatsächliche Entwicklung sei vor dem Hintergrund des geltenden Arbeitszeitrechts problematisch und es sei umstritten, wie die verschiedenen Konstellationen im Kontext von Arbeiten 4.0 arbeitszeitrechtlich einzuordnen seien.

a) Es könne keinem Zweifel unterliegen, dass es sich um Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes handele, wenn der Arbeitnehmer abends, am Wochenende oder im Zug auf einer Dienstreise – und sei es auch nur für 5 Minuten – dienstliche E-Mails verfasse. Nur wenn der Arbeitgeber ein solches Verhalten außerhalb der Arbeitszeit ausdrücklich untersage oder es sonst nicht dulde, dürfe ihn der Arbeitnehmer diese Arbeitsleistung nicht aufdrängen, sie sei dann dem Arbeitgeber arbeitszeitrechtlich nicht zuzurechnen.

b) Wenn der Arbeitnehmer aber in seiner Freizeit nach Vorgabe des Arbeitgebers erreichbar sein müsse, ähnele diese Situation der Rufbereitschaft und es stelle sich die Frage, ob sie deshalb auch wie Rufbereitschaft zu behandeln sei und Freizeit, in welcher der Arbeitnehmer erreichbar sein müsse, sei keine Arbeitszeit. Nur wenn er konkret eine Arbeitsleistung erbringen müsse, handele es sich für den Mitarbeiter um Arbeitszeit.

c) Wenn der Arbeitnehmer in seiner Freizeit nicht nach Vorgabe des Arbeitgebers erreichbar sein müsse, es aber faktisch so sei, begründe die bloße Erreichbarkeit nach Auffassung des Verfassers keine Arbeitszeit. Und auch hier gelte, dass erst dann Arbeitszeit vorliege, wenn konkret die Arbeitsleistung erbracht werde.

Die vorstehend genannten Beispiele zeigen nach Auffassung von Jacobs, dass man die bestehenden Konstellationen des Arbeitens 4.0 in die bestehenden arbeitszeitrechtlichen Kategorien einordnen könne, so dass ein neuer Arbeitszeitbegriff deshalb nicht erforderlich sei.

Gegen einen neuen Arbeitszeitbegriff spreche außerdem, dass dieser voraussichtlich beim EuGH keine Chance hätte. Nach dessen Rechtsprechung komme es für den Arbeitszeitbegriff weder auf die Intensität bzw. Dauer der Arbeitsleistung noch auf die konkrete Leistung des Arbeitnehmers an. Es gebe nach der Rechtsprechung des EuGH auch keine dritte Kategorie zwischen Arbeitszeit und Ruhezeit. Qualitative Schattierungen seien nach dieser Rechtsprechung des EuGH ausgeschlossen.

3.
Jacobs vertritt in seinem Beitrag ferner die Auffassung, dass der Gesetzgeber die Vorschläge der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) aufgreifen solle. Der BDA plädiere dafür, statt einer täglichen Höchstarbeitszeit zukünftig eine wöchentliche Höchstarbeitszeit in das Arbeitszeitgesetz aufzunehmen. Gefahren für den Gesundheitsschutz bestünden bei einer solchen Vorgehensweise seiner Meinung nach nicht. Vielmehr eröffneten sich so durch entsprechende Reformen für beide Arbeitsvertragsparteien neue Spielräume. So könne die Arbeitszeit im Einzelfall flexibler verteilt werden, wodurch nicht nur betriebliche Abläufe unterstützt würden, sondern auch den Arbeitnehmern im Einzelfall die Möglichkeit eröffnet werde, Beruf und Privatleben besser miteinander zu vereinbaren.

4.
Des Weiteren widmet sich Jacobs in seinem Beitrag den Regelungen zur gesetzlichen Ruhezeit im Arbeitszeitgesetz. Nach § 5 ArbZG müsse der Arbeitnehmer nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens 11 Stunden einhalten. Arbeite der Arbeitnehmer während des Mindestruhezeitraums, müsse der Arbeitgeber die volle Ruhezeit im Anschluss an die Unterbrechung neugewähren. Gerade § 5 ArbZG sei für bestimmte Konstellationen des Arbeitens 4.0 bei einer Wortlaut getreuen Anwendung dieser Vorschrift sehr problematisch. Wenn der Arbeitnehmer beispielsweise gegen 24 Uhr vor dem Einschlafen kurze eine berufliche E-Mail lese oder schreibe, unterbreche er bei Wortlaut getreuer Auslegung die Ruhezeit, die sodann neu zu laufen beginne. Er könne dann erst wieder gegen 11 Uhr am nächsten Vormittag mit der Arbeit beginnen. Jacobs weist in seinem Beitrag zu Recht darauf hin, dass dieses Ergebnis nicht sachgerecht und lebensfremd sei. Er empfiehlt dem Gesetzgeber, die derzeit geltende Regelung in § 5 ArbZG für geringfügige Arbeitsleistungen teleologisch zu reduzieren oder sie mit einer Erheblichkeitsschwelle zu versehen. Dann liege zwar Arbeitszeit vor, sie unterbreche aber die Ruhezeiten nicht. Das sei sogar richtlinienkonform, wenn man diese ebenfalls entsprechend teleologisch reduziere. Für eine teleologische Reduktion sei der Sinn der Regelung entscheidend. Der Arbeitnehmer solle vor gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch Überanstrengung bewahrt werden und sich von geleisteter Arbeit erholen können. Beide Zwecke würden durch geringfügige Unterbrechungen typischerweise nicht beeinträchtigt.

Jacbos schlägt vor, dass das Arbeitszeitgesetz zukünftig Einzelheiten in diesem Zusammenhang einem Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung überlässt. Er weist darauf hin, dass es darüber hinaus sinnvoll sei, eine weitere Flexibilisierung durch die Tarif- oder Betriebspartner zu ermöglichen, indem die Öffnungsklausel in § 7 ArbZG auf alle Arten von Tätigkeiten erweitert werde, jedenfalls wenn die Lage der Arbeitszeit durch die Arbeitnehmer selbst bestimmt werde. In diese Richtung gehe auch der Vorschlag des Bundesverbandes der Arbeitsrechtler in Unternehmen (BVAU). Im Rahmen der angestrebten Reform des Arbeitszeitrechts sollten nach Auffassung des Verfassers die Tarif- und Betriebspartner zukünftig auch eine Kürzung der Ruhezeiten auf bis zu acht Stunden täglich regeln können, wenn die Ruhezeit im Durchschnitt von sechs Monaten werktäglich mindestens 11 Stunden betrage und die Ruhezeit unter Einbeziehung mindestens halbstündiger Pausen innerhalb eines Zeitraums von 24 Stunden eingehalten würde.

5.
Jacobs empfiehlt im Zusammenhang bei dem in § 9 ArbZG geregelten Verbot, an Sonn- und Feiertagen zu arbeiten, über eine Flexibilisierung nachzudenken. Der Gesetzgeber sei zwar nach dem Grundgesetz verpflichtet, einen Mindestschutz der Sonn- und Feiertagsruhe zu schaffen. In Bezug auf den Arbeitszeitschutz gehe es um den Schutz der Arbeitnehmer vor „werktäglicher Beschäftigung“. Dabei habe der Gesetzgeber aber einen weiten Gestaltungsspielraum. Was im Einzelnen mit der Sonn- und Feiertagsruhe verträglich sei, könne sich im Übrigen mit Blick auf die in der Gesellschaft verbreiteten Anschauungen, Gewohnheiten und Lebens- und Arbeitsbedingungen erheblich wandeln. Es sei deshalb diskussionswürdig, das Sonn- und Feiertagsarbeitsverbot bei der Tätigkeit in Call-Centern zu lockern oder aufzuheben. Ausnahmen vom Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit für Tätigkeiten im Home-Office, die einem individuellen Bedürfnis freier Zeiteinteilung entsprächen und die öffentliche Ruhe und Ordnung nicht berührten, würden eigenartigerweise im Schrifttum bisher kaum diskutiert. Jacobs weist darauf hin, dass solche Flexibilisierungen vielen Arbeitnehmern ermöglichen würde, über ihre persönliche Work-Life-Balance selbst zu bestimmen, indem sie am Sonntag arbeiten, jedenfalls ein wenig, um sich dadurch Spielraum für die Werktage zu verschaffen. Zu Recht weist Jacobs darauf hin, dass nicht einsichtig sei, was daran verkehrt sein soll.

Fazit:
Jacobs stellt überzeugend heraus, dass beim persönlichen Anwendungsbereich des Arbeitszeitgesetzes und beim Arbeitszeitbegriff kein Reformbedarf besteht. Er liegt unseres Erachtens richtig, wenn er dies bei der Höchstarbeitszeit, der Ruhezeit und dem Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit anders sieht. Hier weist er auf die Möglichkeit hin, behutsam Flexibilisierungen herbeizuführen, ohne den Arbeitnehmerschutz einzuschränken. In einem Schlusswort fordert er zu Recht dazu auf, entsprechende Reformen zu diskutieren, damit sie hoffentlich vom Gesetzgeber bald umgesetzt werden. Denn eins steht schon heute fest: Digitaler Fortschritt macht Arbeitnehmer zeitlich und örtlich flexibel. Dies stellt an das Arbeitsrecht Hausforderungen, die nicht zu unterschätzen sein dürften.

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