Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat entschieden, dass ein vertraglicher Freiwilligkeitsvorbehalt, der alle zukünftigen Leistungen unabhängig von ihrer Art und ihrem Entstehungsgrund erfasst, den Arbeitnehmer regelmäßig unangemessen i.S.v. § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 BGB benachteiligt und deshalb rechtsunwirksam ist.
Sachverhalt:
Die Parteien des Rechtsstreits stritten über einen Anspruch des Klägers auf eine Sonderzahlung für das Jahr 2008 gegen seine Arbeitgeberin. Dem Arbeitsverhältnis lag ein schriftlicher Arbeitsvertrag zugrunde, der auszugsweise lautete:
„§ 4
Der Arbeitnehmer erhält eine Bruttovergütung in Höhe von DM 3.400,00, zahlbar spätestens am Ende eines jeden Monats. Die Zahlung erfolgt bargeldlos auf ein vom Arbeitnehmer anzugebendes Konto.
Mit der vereinbarten Vergütung sind alle anfallenden Überstunden pauschal abgegolten.
Sonstige, in diesem Vertrag nicht vereinbarte Leistungen des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer sind freiwillig und jederzeit widerruflich. Auch wenn der Arbeitgeber sie mehrmals und regelmäßig erbringen sollte, erwirbt der Arbeitnehmer dadurch keinen Anspruch für die Zukunft.
…
§ 15
Vertragsänderungen und -ergänzungen bedürfen der Schriftform“
Die Beklagte zahlte an den Kläger über 20 Jahre mit der Entgeltzahlung für den jeweiligen Monat November ein 13. Monatsgehalt aus. Aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten erfolgte die Zahlung für das Jahr 2006 in 12 monatlichen Raten nachträglich. Das 13. Monatsgehalt für das Jahr 2007 wurde dem Kläger durch rechtskräftiges Urteil des Arbeitsgerichts zugesprochen.
Wegen einer nach wie vor angespannten wirtschaftlichen Situation bot die Arbeitgeberin dem Kläger drei Modelle über eine verringerte Zahlung und/oder veränderte Auszahlungsmodalitäten an. Weil der Kläger ablehnte, erfolgte für das Jahr 2008 keine Zahlung.
Im Dezember 2008 forderte der Kläger die Beklagte unter Fristsetzung zur Zahlung auf und erhob nach Fristablauf Zahlungsklage gegen die Arbeitgeberin.
Entscheidung:
Die Klage war in allen drei Instanzen erfolgreich.
1.
Der Anspruch auf ein 13. Monatsgehalt sei – abgesehen von der Frage des arbeitsvertraglichen Vorbehalts – Bestandteil der arbeitsvertraglichen Regelungen der Parteien geworden.
Die seit mehr als 20 Jahren im November erfolgte Zahlung einer als 13. Monatsgehalt bezeichneten Zuwendung habe der Kläger unter Berücksichtigung der konkreten Einzelfallumstände, wie der Häufigkeit der Leistung, der Art der kommentarlosen Auszahlung und der Höhe der Sonderzahlung (ein Monatsgehalt), sowie unter Beachtung von Treu und Glauben nur so auffassen können, dass der Beklagte sich auch zur zukünftigen dauerhaften Leistung habe verpflichten wollen. Da der Beklagte bei den Zahlungen weder einen ausdrücklichen Freiwilligkeitsvorbehalt erklärt noch auf den vertraglich formulierten Vorbehalt Bezug genommen habe, müsse der Kläger auch nicht annehmen, die Sonderzahlung erfolge lediglich für das konkrete Jahr und ohne Rechtsbindungswillen für die Zukunft. Der Kläger habe vielmehr berechtigterweise auf eine fortdauernde Leistungsgewährung für die Folgejahre vertrauen können.
Dem Anspruch stehe die arbeitsvertraglich vereinbarte Schriftformklausel nicht entgegen. Eine einfache Schriftformklausel, nach der Änderungen und Ergänzungen des Vertrages der Schriftform bedürften, verhindere eine konkludente Vertragsänderung oder das Entstehen einer betrieblichen Übung nicht. Die Vertragsparteien seien schließlich befugt, das für eine Vertragsänderung vereinbarte Schriftformerfordernis jederzeit schlüssig und formlos aufzuheben. Das sei sogar dann möglich, wenn die Vertragsparteien bei ihrer mündlichen Abrede an die Schriftform überhaupt nicht gedacht hätten.
2.
Ebenso wenig stehe dem Anspruch der Vorbehalt aus § 4 Abs. 3 des Arbeitsvertrages entgegen. Diese als Allgemeine Geschäftsbedingung zu bewertende Klausel sei wegen der Kombination von Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt intransparent und verstoße gegen § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Darüber hinaus benachteilige ein derart weit gefasster Freiwilligkeitsvorbehalt den Arbeitnehmer unangemessen i.S.v. § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 + Nr. 2 BGB.
Nach der Rechtsprechung des Senats könne ein Freiwilligkeitsvorbehalt das Entstehen eines Anspruchs auf eine zukünftige Sonderzahlung zwar verhindern. Der Arbeitgeber könne – außer bei laufendem Arbeitsentgelt – einen Rechtsanspruch des Arbeitnehmers grundsätzlich ausschließen und sich eine Entscheidung vorbehalten, ob und in welcher Höhe er zukünftig Sonderzahlungen gewähre. Er bleibe grundsätzlich in seiner Entscheidung frei, ob und unter welchen Voraussetzungen er zum laufenden Arbeitsentgelt eine zusätzliche Leistung erbringen wolle. Gebe es einen klar und verständlich formulierten Freiwilligkeitsvorbehalt, der jeden Rechtsanspruch des Arbeitnehmers auf eine Sonderzahlung ausschließe, fehle es an einer versprochenen Leistung i.S.d. § 308 Nr. 4 BGB. In diesen Fällen werde eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Leistung der Sonderzahlung unabhängig von dem mit der Sonderzuwendung verfolgten Zweck von vornherein nicht begründet. Allerdings müsse ein solcher Freiwilligkeitsvorbehalt klar und verständlich i.S.d. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB formuliert worden sein, um den Rechtsanspruch des Arbeitnehmers auf eine Sonderzahlung eindeutig auszuschließen. Er dürfe insbesondere nicht in Widerspruch zu anderen Vereinbarungen der Arbeitsvertragsparteien stehen.
Die im Streitfall formulierte Kombination von Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt verstoße aber gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB.
§ 4 Abs. 3 Satz 1 des Arbeitsvertrages formuliere, dass im (schriftlichen) Vertrag nicht vereinbarte Leistungen freiwillig seien. Eine solche Bestimmung sei im Zweifel nur als Hinweis zu verstehen, dass der Arbeitgeber Leistungen erbringe, ohne dazu durch andere Regelungen gezwungen zu sein.
Allerdings enthalte § 4 Abs. 3 Satz 2 des Arbeitsvertrages darüber hinaus den für sich genommen klaren Hinweis, dass auch bei einer mehrmaligen und regelmäßigen Zahlung der Arbeitnehmer keinen Rechtsanspruch für die Zukunft erwerben solle. Einen solchen Vorbehalt hat der Senat als ausreichend angesehen, um einen Anspruch auf eine zukünftige Leistung auszuschließen.
Die Klausel in § 4 Abs. 3 des Arbeitsvertrages sei aber deshalb unklar und missverständlich, weil Satz 1 darüber hinaus eine Widerrufsmöglichkeit vorsehe. Der Beklagte habe eine freiwillige Leistung unter einen Widerrufsvorbehalt gestellt. Bei einem Freiwilligkeitsvorbehalt entstehe schon kein Anspruch auf die Leistung, bei einem Widerrufsvorbehalt hingegen habe der Arbeitnehmer einen Anspruch, der Arbeitgeber behalte sich aber vor, die versprochene Leistung einseitig zu ändern. Dem Landesarbeitsgericht sei in der Annahme zu folgen, dass in einer solchen Kombination von Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt regelmäßig ein zu Unwirksamkeit der Klausel führender Verstoß gegen das Transparenzgebot liege, so dass der Arbeitgeber sich auf den Freiwilligkeitsvorbehalt nicht berufen könne. Bei der Kombination von Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt werde vielmehr schon nach dem Vertragstext auch für den um Verständnis bemühten Vertragspartner nicht deutlich, ob nun jegliche zukünftige Bedingung ausgeschlossen oder lediglich eine Möglichkeit eröffnet werden solle, sich später wieder von einer vertraglichen Bindung loszusagen. Erfolgten dann mehrfache Zahlungen einer bestimmten Leistung ohne weitere Vorbehalte, so sei erst Recht nicht mehr erkennbar, ob ein Rechtsbindungswille für die Zukunft ausgeschlossen bleiben solle.
Entgegen der Auffassung der Beklagten könne die Klausel auch nicht so geteilt werden, dass lediglich ein wirksamer Freiwilligkeitsvorbehalt aufrechterhalten bleibe.
Die Aufrechterhaltung eines zulässigen Teils der Klausel komme hier grundsätzlich nicht in Betracht. Die Intransparenz der vertraglichen Regelung und damit ihre Unwirksamkeit nach § 307 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Satz 1 BGB folge gerade aus der Kombination zweiter Klauselteile, die jeweils für sich genommen ausreichend transparent sein mögen. Dies unterscheide die Fallgestaltung von den Fällen, in denen ein abgrenzbarer Teil der Vertragsklausel unwirksam sei. Nur in solchen Fällen sei eine Streichung des unwirksamen Teils möglich, ohne gegen das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion zu verstoßen.
Darüber hinaus benachteilige der in § 4 Abs. 3 des Arbeitsvertrages enthaltene Freiwilligkeitsvorbehalt, der alle zukünftigen Leistungen unabhängig von ihrer Art und ihrem Entstehungsgrund erfasse, den Kläger unangemessen i.S.v. § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 BGB und sei auch deshalb unwirksam.
Der Senat sei zwar bisher davon ausgegangen, dass nicht nur Freiwilligkeitsvorbehalte, die bei der jeweiligen Zahlung erklärt werden, sondern auch vertragliche Freiwilligkeitsvorbehalte dazu führen könnten, dass das spätere konkludente Verhalten des Arbeitgebers entgegen seinem gewöhnlichen Erklärungswert nicht als Angebot zur dauerhaften Leistungserbringung zu verstehen sei. Vertragliche Freiwilligkeitsvorbehalte würden grundsätzlich als wirksam im Hinblick auf eine Inhaltskontrolle nach § 305 ff. BGB angesehen. In den entschiedenen Fällen sei es jedoch jeweils um Ansprüche auf Leistungen, die als „Weihnachtsgeld“ oder „Weihnachtsgratifikation“ bezeichnet waren, gegangen, auch wenn die Vertragsklauseln teilweise auch andere Leistungen erfassten.
Der Senat habe aber Bedenken, ob ein solcher vertraglicher Vorbehalt dauerhaft den Erklärungswert einer ohne jeden Vorbehalt und ohne den Hinweis auf die vertragliche Regelung erfolgten Zahlung so erschüttern könne, dass der Arbeitnehmer das spätere konkludente Verhalten des Arbeitgebers entgegen seinem gewöhnlichen Erklärungswert nicht als Angebot zur dauerhaften Leistungserbringung verstehen könne. Der Senat ist der Auffassung, dass diese Rechtsprechung in den Fällen eingeschränkt werden müsse, in denen ein vertraglicher Freiwilligkeitsvorbehalt alle zukünftigen Leistungen unabhängig von ihrer Art und ihrem Entstehungsgrund erfassen soll. Ein solcher Freiwilligkeitsvorbehalt beziehe unzulässigerweise laufende Leistungen ein und verstoße sowohl gegen den in § 305 b BGB bestimmten Vorrang der Individualabrede als auch gegen den allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass vertragliche Regelungen einzuhalten seien.
Der Vorbehalt in § 4 Abs. 3 des Arbeitsvertrages lasse nämlich die Auslegung zu, wonach er alle zukünftigen, im Vertrag nicht unmittelbar vereinbarten Leistungen unabhängig von ihrer Art und ihrem Entstehungsgrund erfassen solle.
Der Vorbehalt beziehe sich nach seinem Wortlaut auf alle im schriftlichen Vertrag nicht vereinbarten Leistungen. Es werde nicht danach unterschieden, ob es sich um laufende Leistungen oder einmalige Sonderzahlungen handeln solle; eine Konkretisierung auf bestimmte Leistungen oder zumindest auf eine bestimmte Art von Leistungen sei nicht enthalten. Ebenso wenig werde auf den Entstehungsgrund der Leistung abgestellt. Der Wortlaut erfasse sowohl Fälle der betrieblichen Übung als auch konkludente, z.B. auf einer Gesamtzusage beruhende Vereinbarung und sogar ausdrückliche vertragliche Einzelabreden. Der vertragliche Freiwilligkeitsvorbehalt lasse sich nicht dahingehend auslegen, dass damit allein das Entstehen einer betrieblichen Übung hinsichtlich bestimmter Sonderzahlungen ausgeschlossen werden solle.
Darüber hinaus benachteilige der Ausschluss jeden Rechtsanspruchs für außerhalb der früheren vertraglichen Vereinbarung gezahltes laufendes Arbeitsentgelts den Arbeitnehmer entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen und sei deshalb gem. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.
Dem Arbeitgeber solle damit ermöglicht werden, vom Arbeitnehmer die vollständige Erbringung der geschuldeten Leistung zu verlangen und seinerseits über die von ihm geschuldete Gegenleistung zu disponieren. Damit verhindere der Ausschluss des Rechtsanspruchs die Verwirklichung des Prinzips der Vertragsbindung und löse die synallagmatische Verknüpfung der Leistungen beider Vertragsparteien. Die Möglichkeit, eine nach Zeitabschnitten bemessene Vergütung grundlos und noch dazu ohne jegliche Erklärung einzustellen, beeinträchtige die Interessen des Arbeitnehmers grundlegend. Dies gelte auch dann, wenn es bei den unter einem Vorbehalt stehenden Leistungen nicht um die eigentliche Grundvergütung, sondern um eine zusätzliche Abgeltung der Arbeitsleistung in Form einer Zulage oder sonstiger laufender Leistungen handele. Eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers liege schließlich auch darin, dass der vertragliche Vorbehalt sogar spätere Individualabreden i.S.v. § 305 b BGB erfasse.
Darüber hinaus weiche eine solche Regelung von dem allgemeinen Grundsatz „pacta sunt servanda“ ab. Jeder Vertrag und die sich aus ihm ergebenen Verpflichtungen seien für jede Seite bindend. Das gelte auch für nach Abschluss des ursprünglichen Vertrages im laufenden Arbeitsverhältnis eingegangene Verpflichtungen. Von diesen könne nicht unter Hinweis auf einen vertraglichen Freiwilligkeitsvorbehalt wieder Abstand genommen werden.
Schließlich gebe es auch keine objektiv feststellbaren Besonderheiten des Arbeitsrechts i.S.v. § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB, die eine abweichende Beurteilung rechtfertigen würden. Das gelte insbesondere, weil es dem Arbeitgeber unschwer möglich ist, bei der Erbringung der jeweiligen Leistung kontrollfrei zu bestimmen, ob es sich um eine einmalige Leistung handeln solle und ggf. einen entsprechenden Vorbehalt zu erklären. (BAG vom 14.09.2011 – 10 AZR 526/10)
Bewertung der Entscheidung:
Ein in einem Arbeitsvertrag geregelter Freiwilligkeitsvorbehalt macht nach dieser neuen Entscheidung des BAG nur noch dann Sinn, wenn er ausdrücklich klarstellt, dass selbst bei wiederholter Gewährung einer Leistung kein Anspruch für die Zukunft begründet und wenn gleichzeitig darauf hingewiesen wird, dass Individualvereinbarungen von dieser Klausel nicht erfasst werden. Dabei wird darauf zu achten sein, dass solche Klauseln zukünftig nicht irgendwo im Kleingedruckten versteckt werden, sondern im Zusammenhang mit der jeweils gewährten Leistung möglichst fettgedruckt geregelt sein müssen. Aber selbst diese Vorkehrungen in einem Arbeitsvertrag werden zukünftig nichts nützen, wenn eine Leistung trotz Freiwilligkeitsvorbehalt über viele Jahre hinweg ohne jeden weiteren Vorbehalt erbracht wird. Es erscheint fraglich, ob der von Hromadka empfohlene Versuch, es mit dem ausdrücklichen Zusatz zu versuchen, dass es die Parteien mit der Freiwilligkeit ernst meinen, weil sonst nach der Rechtsprechung eine Vertragsänderung durch bloßen Zeitablauf drohe, vor der Rechtsprechung Bestand haben wird, vgl. BAG, NZA 2012, 81 m.Anm. Hromadka DB 2012, 1037 und Hunold, DB 2012, 1096.
Dem Arbeitgeber kann man vor diesem Hintergrund nur empfehlen, mit freiwilligen Leistungen ab und zu auszusetzen oder sie der Höhe nach ständig zu variieren. Der Arbeitgeberseite wird man zudem empfehlen müssen, sich bei der Erbringung zuvor nicht vereinbarter Sonderleistungen über deren zukünftige Fortführung ausdrücklich und unmissverständlich zu erklären, um eine Bindung für die Zukunft zu verhindern.