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Arbeitsrecht

Unzureichende Information des Betriebsrates nach § 102 BetrVG

Bei der Unterrichtung über die Gründe für eine beabsichtigte Kündigung nach § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG darf der Arbeitgeber ihm bekannte Umstände, die sich bei objektiver Betrachtung zu Gunsten des Arbeitnehmers auswirken können, dem Betriebsrat nicht deshalb vorenthalten, weil sie für seinen eigenen Kündigungsentschluss nicht von Bedeutung waren.

BAG, Urteil vom 16.07.2015, Az. 2 AZR 15/15

Sachverhalt und Entscheidung:

Gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam. In dem zugrunde liegenden Rechtstreit stritten die Parteien über die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen ordentlichen krankheitsbedingten Kündigung. Der Kläger begründet seine Kündigungsschutzklage u.a. damit, die Beklagte habe den Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört. Im Rahmen eines der Kündigung vorausgehenden Gespräches über seine Fehlzeiten seien weder mögliche Ursachen am Arbeitsplatz noch konkrete Maßnahmen oder Abhilfemöglichkeiten angesprochen worden. Ein den gesetzlichen Bestimmungen entsprechendes betriebliches Eingliederungsmanagement (nachfolgend „bEM“) habe nicht stattgefunden. Seine Fehlzeiten aus der Vergangenheit sprächen zudem nicht für eine negative Gesundheitsprognose, sie seien zudem zum Teil ausgeheilt bzw. seien aufgrund der Einnahme von Medikamenten nicht mehr aufgetreten. Die Beklagte habe den Betriebsrat zudem in dem nach § 102 BetrVG durchgeführten Anhörungsverfahren bewusst falsch unterrichtet. Anders als dem Betriebsrat mitgeteilt, habe der Kläger die ihm empfohlene Therapie nicht abgebrochen. Anders als dem Betriebsrat mitgeteilt, habe ihm die Werksärztin nicht empfohlen, einen Spezialisten für Schmerztherapie aufzusuchen. Auch der Inhalt der sogenannten Rückkehrgespräche sei fehlerhaft wiedergegeben worden.

Das BAG weist in seinen Entscheidungsgründen zunächst darauf hin, dass es für den Betriebsrat von Wichtigkeit gewesen sei, zu wissen, ob der Kläger bereit gewesen sei, an Maßnahmen zur Verbesserung seines Gesundheitszustandes mitzuwirken. Wäre dies nicht der Fall gewesen, wäre eine mögliche Stellungnahme des Betriebsrats mit der Empfehlung an den Arbeitgeber, statt das Arbeitsverhältnis zu kündigen, zunächst weitere Erfolge der Schmerztherapie abzuwarten bzw. auf eine engmaschigere Betreuung des Klägers bei der Umsetzung der Therapie durch die Werksärztin hinzuwirken, von vorneherein zwecklos.

Der notwendige Inhalt der Unterrichtung nach § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG richtet sich nach dem Sinn und dem Zweck der Anhörung. Dieser bestehe darin, den Betriebsrat in die Lage zu versetzen, sachgerecht, d.h. ggf. zu Gunsten des Arbeitnehmers auf den Arbeitgeber einzuwirken. Das setze voraus, dass der Betriebsrat die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe überprüfen und sich über sie eine eigene Meinung bilden könne, zuletzt BAG, 23.10.2014 – 2 AZR 736/13 – juris, Rn. 15. Die Anhörung nach § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG solle dem Betriebsrat nicht die selbstständige – objektive – Überprüfung der rechtlichen Wirksamkeit der beabsichtigten Kündigung, sondern ggf. eine Einflussnahme auf die Willensbildung des Arbeitgebers ermöglichen.

Der Inhalt der Unterrichtung nach § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG sei deshalb grundsätzlich subjektiv determiniert, zuletzt BAG, 23.10.2014 – 2 AZR 736/13 – juris, Rn. 14. Das bedeute, dass der Arbeitgeber dem BR die Umstände mitteilen müsse, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt hätten.

Dem komme aber der Arbeitgeber nicht nach, wenn in dem Betriebsrat einen schon aus seiner eigenen Sicht unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt unterbreite, zuletzt BAG, 23.10.2014 – 2 AZR 736/13 – juris, Rn. 14. Schildere der Arbeitgeber dem Betriebsrat bewusst einen unrichtigen oder unvollständigen – und damit irreführenden – Kündigungssachverhalt, der sich bei der Würdigung durch den Betriebsrat zum Nachteil des Arbeitnehmers auswirken könne, sei die Anhörung unzureichend und die Kündigung unwirksam, zuletzt BAG, 31.07.2014 – 2 AZR 407/13 – juris, Rn. 46.

Eine zwar vermeidbare, aber unbewusst erfolgte, „bloß“ objektive Fehlinformation führe dagegen für sich genommen nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung, zuletzt BAG, 21.11.2013 – 2 AZR 797/11 – juris, Rn. 26. Dabei komme es dann auch nicht darauf an, ob der Arbeitgeber bei größerer Sorgfalt die richtige Sachlage hätte er-kennen können. Maßgeblich sei, ob er subjektiv gutgläubig und ob trotz objektiv falscher Unterrichtung dem Sinn und Zweck der Betriebsratsanhörung genüge getan sei. Dies sei bei einer unbewussten Falschinformation dann der Fall, wenn sich der Inhalt der Unterrichtung mit dem tatsächlichen Kenntnisstand des Arbeitgebers decke und der Betriebsrat damit auf derselben Tatsachenbasis wie dieser auf dessen Kündigungsabsicht einwirken könne.

An einer ordnungsgemäßen Unterrichtung über die Kündigungsgründe i.S.d. § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG fehle es wiederum dann, wenn der Arbeitgeber dem Betriebsrat für dessen Beurteilung bedeutsame, zu Gunsten des Arbeitnehmers sprechende, objektiv unzutreffende Tatsachen mitteile, von denen er selbst durchaus für möglich halte, dass sie nicht der Wahrheit entsprächen. Es handele sich in einem solchen Fall nicht um eine unbewusste Fehlinformation. In diesem Fall sei der Arbeitgeber nicht gutgläubig. Er stelle vielmehr seinen Kenntnisstand bewusst als umfassender dar, als er es in Wirklichkeit sei. Damit nehme er aber gleichzeitig in Kauf, dem Betriebsrat in unzutreffender Weise zu unterrichten.

Die subjektive Überzeugung des Arbeitgebers von der Relevanz oder Irrelevanz bestimmter Umstände sei für den Umfang der Unterrichtung nach § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG nicht maßgeblich, wenn dadurch der Zweck der Betriebsratsanhörung verfehlt werde. Der Arbeitgeber dürfe ihm bekannte Umstände, die sich bei objektiver Betrachtung zu Gunsten des Arbeitnehmers auswirken können, dem Betriebsrat nicht deshalb vorenthalten, weil sie für seinen eigenen Kündigungsentschluss nicht von Bedeutung seien, zuletzt BAG, 23.10.2014 – 2 AZR 736/13 – juris, Rn. 15. In diesem Sinne sei die Betriebsratsanhörung – ausgehend vom subjektiven Kenntnisstand des Arbeitgebers – auch objektiv, d.h. durch Sinn und Zweck der Anhörung determiniert.

Da das LAG in der Berufungsinstanz nicht festgestellt hatte, dass die Beklagte gewusst habe oder es zumindest für möglich gehalten habe, dass ihre Mitteilung an dem Betriebsrat, der Kläger habe die Schmerztherapie bereits nach kurzer Zeit ab-gebrochen, falsch oder irreführend war, hat das BAG den Rechtsstreit an das LAG zurückverwiesen. Der Beklagten müsse Gelegenheit gegeben werden, näher darzulegen, inwiefern ihre Falschangaben in dem Unterrichtungsschreiben möglicherweise auf einem Missverständnis beruhen konnten. Nach ihrem bisherigen Vortrag sei nicht nachvollziehbar, wie sie aufgrund der von ihr behaupteten Auskünfte der Werksärztin habe annehmen können, der Kläger habe die Schmerztherapie „abgebrochen“. Das LAG werde in diesem Zusammenhang auch zu prüfen haben, ob insoweit tatsächlich eine dem eigenen Kenntnisstand entsprechende, damit gutgläubig erteilte und nur objektiv fehlerhafte Information des Betriebsrates vorlag. Die Beweislast für seine Gutgläubigkeit trage dabei der Arbeitgeber, zuletzt BAG, 22.09.1994 – 2 AZR 31/94 – zu II 3 c) der Gründe.

Zudem stehe auch noch nicht fest, ob die Kündigung i.S.d. § 1 Abs. 1 und Abs. 2 KSchG sozial ungerechtfertigt sei.

Eine mit häufigen (Kurz-)Erkrankungen des Arbeitnehmers begründete Kündigung sei sozial nur gerechtfertigt, wenn im Kündigungszeitpunkt Tatsachen vorgelegen hätten, die die Prognose stütze, es werde auch künftig zu Erkrankungen im bisherigen – erheblichen – Umfang kommen (1.Stufe). Die prognostizierten Fehlzeiten müssten außerdem zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen (2. Stufe). Diese Beeinträchtigungen könnten sowohl in Betriebsablaufstörungen, als auch in Entgeltfortzahlungskosten liegen, wenn diese für einen Zeitraum von mehr als 6 Wochen jährlich zu erwarten seien, zuletzt BAG, 20.11.2014 – 2 AZR 755/13 – juris, Rn. 16. Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung sei dann schließlich noch zu prüfen, ob die Beeinträchtigung vom Arbeitgeber angesichts der Belange des Arbeitnehmers gleichwohl hingenommen werden müsste (3. Stufe), zuletzt BAG, 20.11.2014 – 2 AZR 755/13 – juris, Rn. 15. Ohne Feststellung zu den zu erwartenden Beeinträchtigungen der betrieblichen Interessen könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Abwägung zwingend zu Lasten der Beklagten ausgehen müsse. Auch müsse daher auch noch aufgeklärt werden, ob als milderes Mittel gegenüber der Beendigungskündigung die Weiterbeschäftigung des Klägers auf einem anderen, leidensgerechten Arbeitsplatz in Betracht gekommen sei. Sollte darüber hinaus eine ausreichende Initiative zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM) i.S.d. § 84 Abs. 2 SGB IX mit dem auch im Jahre 2012 über 6 Wochen krankheitsbedingt arbeitsunfähigen Kläger nicht feststellbar sein, bestünden insoweit erhöhte Anforderungen an eine Darlegung von dessen objektiver Nutzlosigkeit durch die Beklagte, zuletzt BAG, 20.11.2014 – 2 AZR 755/13 – juris, Rn. 39 m.w.N..

Sollte die Beklagte in diesem Zusammenhang ihren Pflichten aus § 84 Abs. 2 SGB IX nicht ordnungsgemäß nachgekommen sein, werde ihr zudem Gelegenheit gegeben werden müssen, zur – möglichen – objektiven Nutzlosigkeit eines bEM vorzutragen, zuletzt BAG, 20.11.2014 – 2 AZR 755/13 – juris, Rn. 39 m.w.N.. Aufgrund ihrer – streitigen – Behauptung, der Kläger habe einen Arbeitsplatzbezug seiner Beschwerden verneint, könne nicht davon ausgegangen werden, auch eine Veränderung der Arbeitsbedingungen oder einen Wechsel des Arbeitsplatzes hätten keine leidensgerechte Beschäftigungsalternative dargestellt.

Bewertung der Entscheidung:

Die Entscheidung bestätigt die frühere Rechtsprechung des BAG zur Frage, wann eine unreichende Information des BR durch den Arbeitgeber nach § 102 BetrVG vorliegt. Eine bewusst unrichtige oder unvollständige Mitteilung der für den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers maßgebenden Kündigungsgründe ist nach dieser Rechtsprechung wie eine Nichtinformation des BR zu behandeln. Sie kann nach der bisherigen Rechtsprechung nicht nur in der Aufbereitung der mitgeteilten Tatsachen, sondern auch in der Weglassung gegen die Kündigung sprechender, den Arbeitnehmer entlastender Informationen bestehen und führte bereits nach dieser früheren Rechtsprechung zur Unwirksamkeit der Kündigung entsprechend § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG, wenn die bewusst irreführend dargestellten bzw. weggelassenen Tatsachen nicht nur einen unzutreffende Ergänzung oder Konkretisierung des mitgeteilten Sachverhaltes bewirkten. Eine bewusst unvollständige Information war nach dieser Rechtsprechung mit dem Grundsatz der subjektiven Determinierung nicht zu rechtfertigen, BAG, 22.09.1994 – 2 AZR 31/94 – II 3 a) der Gründe. Sind danach dem Arbeitgeber Tatsachen bekannt, die für den Arbeitnehmer sprechen, muss er diese dem BR mitteilen. In diesem Zusammenhang hat das BAG bereits entschieden, dass auch gegen die Glaubwürdigkeit von Belastungszeugen sprechende Umstände dem BR mitzuteilen sind, BAG, 22.09.1994 – 2 AZR 31/94 – II 3 a) der Gründe. Weiterhin hat das BAG in diesem Zusammenhang schon früher entschieden, dass der Arbeitgeber im Rahmen des Anhörungsverfahrens dem BR beim Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung auch eine vom zu kündigenden Arbeitnehmer verfasste Gegendarstellung zu erteilten Abmahnungen des Arbeitgebers mitzuteilen hat, BAG, 17.02.1994 – 2 AZR 673/93 – recherchiert nach juris. Hat der Arbeitgeber im Rahmen eins Anhörungsverfahrens dem BR beim Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung auch vom zu kündigenden Arbeitnehmer verfasste Gegendarstellung zu erteilten Abmahnung des Arbeitgebers nicht mitgeteilt, ist die ausgesprochene Kündigung wegen unzureichender Anhörung des BR bereits unwirksam.

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