Sachverhalt:
Der klagende Arbeitnehmer war bei der Arbeitgeberin seit 16 Jahren als KFZ-Mechaniker beschäftigt. Im Juli 2012 traf er in den Sozialräumen seiner Arbeitgeberin auf eine ihm bislang unbekannte Mitarbeiterin eines externen Reinigungsunternehmens. Nachdem zwei Arbeitskollegen des Klägers diese Räumlichkeiten verlassen hatten und er mit der Mitarbeiterin des externen Reinigungsunternehmens allein war, führte er mit dieser Mitarbeiterin ein Gespräch, während er sich Hände und Gesicht wusch. Im Verlaufe dieses Gespräches sagte der Kläger zu der Mitarbeiterin des Reinigungsunternehmens, sie habe einen schönen Busen und berührte sie an einer Brust. Als die Mitarbeiterin daraufhin erklärte, dass sie dies nicht wünsche, ließ der Kläger sofort von ihr ab. Er zog sich daraufhin um und verließ den Sozialraum, während die Mitarbeiterin dort weiter arbeitete. Später schilderte die Mitarbeiterin den Vorfall ihrem Arbeitgeber, der seinerseits an die Geschäftsleitung der Beklagten herantrat. In einem kurz darauf geführten Personalgespräch gestand der Kläger den Vorfall gegenüber seinem Vorgesetzten ein und erklärte, „die Sache“ tue ihm furchtbar leid, er habe sich eine Sekunde lang vergessen. Der Kläger wies in dem Zusammenhang darauf hin, dass er sich schäme, so etwas werde sich nicht wiederholen. Gleichwohl kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum Kläger noch am gleichen Tage fristlos. Einige Tage nach Ausspruch dieser fristlosen Kündigung richtete der Kläger ein Entschuldigungsschreiben an die Mitarbeiterin des Reinigungsunternehmens und zahlte ihr ein Schmerzensgeld. Diese nahm seine Entschuldigung an und erklärte, dass sich die Angelegenheit damit für sie erledigt habe. Das gegen den Kläger eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
Mit seiner Kündigungsschutzklage gegen die außerordentliche Kündigung blieb der Kläger beim Arbeitsgericht ohne Erfolg, während ihm das Landesarbeitsgericht und zuletzt das Bundesarbeitsgericht Recht gaben und seiner Kündigungsschutzklage stattgaben.
Das Gericht hat ausgeführt, dass das Landesarbeitsgericht zunächst zu Recht einen „an sich“ wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Kläger angenommen habe, weil dieser seine arbeitsvertraglichen Pflichten in erheblicher Weise verletzt habe. Das Bundesarbeitsgericht führt dann unter Hinweis auf die Definition einer sexuellen Belästigung i.S.v. § 3 Abs. 4 AGG aus, dass der Kläger die Mitarbeiterin sowohl verbal als auch körperlich sexuell belästigt hat.
Das Bundesarbeitsgericht stellt dann in seiner Entscheidung weiter klar, dass es der Beklagten trotz dieser sexuellen Belästigung durch den Kläger zuzumuten war, ihn weiter zu beschäftigen, weil nach den Umständen des Streitfalls eine Abmahnung als Reaktion von ihrer Seite ausgereicht hätte.
Bei der Prüfung, ob der beklagten Arbeitgeberin eine Weiterbeschäftigung des Klägers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar gewesen wäre, sei in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen.
Zu berücksichtigen seien regelmäßig das Gewicht und die Auswirkung der Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Dabei sei zu berücksichtigen, dass eine außerordentliche Kündigung nur in Betracht komme, wenn es keinen angemessenen Weg gäbe, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar seien. Im Vergleich zu einer außerordentlichen fristlosen Kündigung kämen als milderes Mittel insbesondere eine Abmahnung oder eine ordentliche Kündigung in Betracht. Sie seien dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet seien, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck – nicht die Sanktion pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses – zu erreichen.
Insbesondere wenn die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers beruhe, sei grundsätzlich davon auszugehen, dass ein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden könne. Es sei gerade der Grund dafür, weshalb die ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung regelmäßig eine Abmahnung voraussetzt.
Außerdem werde der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz schon durch die Vorschrift des § 12 Abs. 3 AGG konkretisiert. Danach habe der Arbeitgeber bei Verstößen gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG, zu denen auch sexuelle Belästigungen i.S.v. § 3 Abs. 4 AGG gehörten, die geeigneten, erforderlichen und angemessenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen – wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung – zu ergreifen.
Vor diesem Hintergrund habe das LAG die Abwägung fehlerfrei vorgenommen, als es die Kündigung als unverhältnismäßig angesehen habe.
Bewertung der Entscheidung:
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes dürfte richtig sein. Es ist zutreffend davon ausgegangen, dass es sich um eine mehraktige sexuelle Belästigung durch den Kläger von sich steigernder Intensität gehandelt hat. Allerdings hat es dem Kläger zu Recht zu Gute gehalten, dass er sich über die Unerwünschtheit seines Verhaltens geirrt und dieses nach Erkennen seiner Fehleinschätzung sofort beendet hat. Daraus hat es u.E. zu Recht den Schluss gezogen, der Kläger werde in dieser Weise künftig nicht mehr vorgehen und genauer zwischen eigenen Beobachtungen und subjektiven Schlussfolgerungen unterscheiden. Insbesondere habe der Kläger nicht etwa notorisch Grenzen überschritten.
Der Kläger habe sein Fehlverhalten ohne Zögern eingeräumt, obwohl er es aufgrund der „Vier-Augen-Situation“ im Waschraum auch hätte abstreiten können. Bereits aus seiner Erklärung in dem Personalgespräch mit der Beklagten, der Vorfall tue ihm furchtbar leid und er schäme sich dafür, könne man den Schluss ziehen, dass eine Wiederholung einer solchen Pflichtverletzung bereits durch eine Abmahnung habe „ausgeschlossen“ werden können.
Praxisfolgen:
Bei der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes handelt es sich um einen Einzelfall, der nicht als Freibrief für sexuelle Belästigungen am Arbeitsplatz missverstanden werden darf.