Arbeitsrecht

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Arbeitsrecht

Verdachtskündigung und Nachschieben von Kündigungsgründen

Nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts muss ein Arbeitgeber den betroffenen Arbeitnehmer vor dem Nachschieben von Kündigungsgründen auch dann nicht (erneut) anhören, wenn die Kündigung hinsichtlich der nachgeschobenen Gründe auf den Verdacht gestützt wird.

 

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23.05.2013 zum Az. 2 AZR 102/12

 

Sachverhalt:

Der klagende Arbeitnehmer war bei einem Arbeitgeber, welcher sich mit dem Betrieb von Tankstellen befasst, als Bezirksleiter für den Vertrieb im Außendienst beschäftigt. Im August 2010 entstand bei dem Arbeitgeber der Verdacht, der Kläger sei an betrügerischen Auftragsvergaben zu ihren Lasten beteiligt gewesen. Der Arbeitgeber hörte den Arbeitnehmer zu den aus seiner Sicht verdachtsbegründenden Umständen an. Der Arbeitnehmer bestritt die Vorwürfe. Mit Schreiben vom 05.10.2010 sprach die Arbeitgeberin gegenüber dem Arbeitnehmer eine außerordentliche hilfsweise ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus. Am 14.01.2011 kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis erneut außerordentlich. Der Arbeitnehmer erhob gegen beide Kündigungserklärungen Kündigungsschutzklage zum Arbeitsgericht. Den Kündigungsschutzklagen, welche in eigenständigen Verfahren geführt wurden, hat das Arbeitsgericht im Januar und März 2011 stattgegeben.

 

Am 28.07.2011 stellte der Arbeitgeber fest, dass der Arbeitnehmer sich im November 2009 gegenüber dem Arbeitgeber im Rahmen eines Bauprojekts abgerechnete Terassenplatten an sein Wohnstück hatte liefern lassen, wo diese sodann eingebaut wurden.

 

Die Arbeitgeberin hat gegen die stattgebenden Urteile des Arbeitsgerichts Berufung eingelegt und in den Berufungsverfahren den Verdacht, der Arbeitnehmer habe sich im Hinblick auf die Terassenplatten zu ihren Lasten betrügerisch bereichert, nachgeschoben, ohne den Arbeitnehmer zuvor zu diesem Verdacht anzuhören.

 

Das Landesarbeitsgericht hat über die beiden Berufungsverfahren an einem Tag gesondert verhandelt. In dem Kündigungsschutzverfahren betreffend die erste Kündigung hat es beschlossen, eine Entscheidung am Ende der Sitzung zu verkünden. In der sich anschließenden Verhandlung hat das Landesarbeitsgericht darauf hingewiesen, dass es sich bei der zweiten Kündigung nach Auffassung des Gerichts um eine unzulässige Wiederholungskündigung handele. Daraufhin hat der Arbeitgeber die gegen das erstinstanzliche Urteil betreffend die zweite spätere Kündigung eingelegte Berufung nach ausdrücklicher Zustimmung des Arbeitnehmers zurückgenommen. Sodann hat das Landesarbeitsgericht im Hinblick auf die erste Kündigung das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen.

 

Der Arbeitnehmer hat gegen dieses Urteil des Landesarbeitsgerichts Revision zum Bundesarbeitsgericht eingelegt und diese insbesondere damit begründet, dass aufgrund der Berufungsrücknahme durch die Arbeitgeberin in dem Berufungsverfahren betreffend die zweite Kündigung bereits durch die eingetretene Rechtskraft der erstinstanzlichen Entscheidung feststehe, dass bei Zugang der zweiten Kündigung noch ein Arbeitsverhältnis der Parteien bestand, welches dementsprechend nicht durch die erste Kündigung habe beendet worden sein können.

 

Das Bundesarbeitsgericht hat sich in seiner Entscheidung zunächst in erheblichem Umfang mit der Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils bezüglich der zweiten Kündigung auseinandersetzen müssen, bevor es sich der weiteren Frage widmen konnte, ob im Rahmen von Verdachtskündigungen der Arbeitnehmer vor dem Nachschieben von Kündigungsgründen im Kündigungsschutzprozess zu diesen nachgeschobenen Kündigungsgründen (erneut) anzuhören ist.

 

Das Bundesarbeitsgericht hat ausgeführt, dass sich die Rechtskraft eines der Kündigungsschutzklage stattgebenden Urteils grundsätzlich auch darauf bezieht, dass zwischen den Parteien zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung ein Arbeitsverhältnis besteht. Diese Rechtskraft schließe dann gem. § 322 ZPO im Verhältnis der Parteien zueinander eine hiervon abweichende gerichtliche Feststellung in einem späteren Verfahren grundsätzlich aus. Das Bundesarbeitsgericht hält diese Grundsätze in der vorliegenden Konstellation allerdings für nicht anwendbar, weil die Parteien vorliegend den Umfang der Rechtskraft eines stattgebenden Urteils auf die Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch die konkret angegriffene (zweite) Kündigung beschränkt und damit das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zum Zeitpunkt des Zugangs der (zweiten) Kündigung einer arbeitsgerichtlichen Entscheidung entzogen hätten. Das BAG verlangt für eine solche Beschränkung der Rechtskraft deutliche Anhaltspunkte, die sich aus dem Antrag bzw. der Entscheidung selbst ergeben müssten. Ausreichend sei vorliegend allerdings, dass das Landesarbeitsgericht am gleichen Tag über die erste und die zweite Kündigung entschieden habe. In einem solchen Fall sei regelmäßig davon auszugehen, dass der Kläger und auch das Gericht das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses bei Zugang der späteren Kündigung nicht zum Gegenstand des Rechtstreits und damit nicht zum Gegenstand der Rechtskraft einer stattgebenden Entscheidung machen wollen.

 

Erst jetzt war der Weg frei für die Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts zum Nachschieben von Kündigungsgründen im Rahmen einer Verdachtskündigung. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgericht kann eine Kündigung auch auf den Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung gestützt werden, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen und die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören. Die Verdachtskündigung setzt als Korrektiv regelmäßig die Anhörung des betroffenen Arbeitnehmers vor Ausspruch der Kündigung voraus. Es entspricht weiter der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dass in einem Rechtsstreit über die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung nicht nur die dem Arbeitgeber bei Kündigungsausspruch bekannten Umstände von Bedeutung sind. So sind auch solche später bekannt gewordenen Umstände die den ursprünglichen Verdacht abschwächen oder verstärken zu berücksichtigen, wenn sie bei Kündigungszugang bereits vorliegen und der Arbeitgeber diese Umstände bei Zugang der Kündigung nicht kannte. Diese Zulässigkeit des Nachschiebens von Kündigungsgründen wird vom Bundesarbeitsgericht unter den genannten Voraussetzungen auch für solche Umstände zugelassen, die den Verdacht eines eigenständigen neuen Kündigungsvorwurfs begründen. Weiter gilt nach der Rechtsprechung des BAG für nachgeschobene Kündigungsgründe die 2-Wochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht.

 

Das Bundesarbeitsgericht stellt in seiner Entscheidung weiter klar, dass das Nachschieben von Kündigungsgründen, die den Verdacht eines eigenständigen neuen Kündigungsvorwurfs begründen, keine Anhörung des Arbeitnehmers zu diesen nachgeschobenen Gründen voraussetzt. Das ergebe sich aus dem Sinn und Zweck des Anhörungserfordernisses bei Verdachtskündigungen. Die grundsätzlich erforderliche vorherige Anhörung des Arbeitnehmers solle den Arbeitgeber vor voreiligen Entscheidungen bewahren und der Gefahr begegnen, dass ein Unschuldiger von der Kündigung betroffen werde. Beim Nachschieben von Kündigungsgründen sei die Kündigung dem Arbeitnehmer jedoch bereits zugegangen. Der Arbeitnehmer könne durch seine Ausführungen in einem Anhörungsgespräch den Ausspruch einer Kündigung also nicht mehr verhindern und seine Rechte gleichermaßen dadurch wahren, dass er sich im anhängigen Kündigungsschutzverfahren verteidige.

 

Bewertung der Entscheidung:

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist richtig, wenn auch die Begründung gerade im Hinblick auf die hier ausnahmsweise vorliegende Beschränkung der Rechtskraft eines der Kündigungsschutzklage stattgebenden Urteils hinsichtlich einer späteren Kündigung offensichtlich eines nicht unerheblichen dogmatischen Aufwands bedurfte. Problematisch an der Begründung des Bundesarbeitsgerichts könnte sein, dass zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung über die zweite Kündigung noch gar nicht feststand, dass das Landesarbeitsgericht beide Berufungsverfahren am gleichen Tag entscheiden würde.

 

Praxisfolgen:

Wenn auch die (erneute) Anhörung des Arbeitnehmers beim Nachschieben von neuen Kündigungssachverhalten im Rahmen einer Verdachtskündigung nicht erforderlich ist, so muss bei Bestehen eines Betriebsrates darauf geachtet werden, dass dessen Anhörung nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgericht demgegenüber sehr wohl erforderlich ist, bevor die neuen Tatsachen in dem Kündigungsschutzverfahren nachgeschoben werden können. Darauf weist auch das Bundesarbeitsgericht in der genannten Entscheidung ausdrücklich hin und begründet dies mit einer anderen Zielrichtung des Betriebsratsanhörungsverfahrens. Dieses diene – anders als die Anhörung des Arbeitnehmers – nicht nur der Aufklärung des Sachverhalts, sondern gebe dem Betriebsrat vielmehr Gelegenheit, auf den auf einem bestimmten Sachverhalt beruhenden Kündigungsentschluss des Arbeitgebers aktiv einzuwirken.

 

Weiter dürfte ein Arbeitgeber gut beraten sein, beim Nachschieben neuer Kündigungssachverhalte den vorsorglichen Ausspruch einer weiteren Kündigung zumindest in Betracht zu ziehen. Ist nämlich die erste Kündigung aus formellen Gründen, zum Beispiel wegen Zurückweisung gem. § 174 BGB oder auch wegen nicht ordnungsgemäßer (erster) Anhörung des Betriebsrates gem. § 102 BetrVG rechtsunwirksam, so dürfte diese Unwirksamkeit der Kündigung auch durch ein Nachschieben von neuen Kündigungsgründen nicht mehr geheilt werden können.

 

In der Praxis kommt es nicht selten vor, dass einer ersten Kündigung eine zeitlich nachgelagerte vorsorgliche weitere Kündigung folgt. Werden die vom Arbeitnehmer angestrengten Kündigungsschutzverfahren eigenständig geführt, muss immer auch auf die Rechtskrafterstreckung geachtet werden. Die hier vorliegende Konstellation, in welcher das angerufene Landesarbeitsgericht über beide eigenständigen Kündigungsschutzverfahren am selben Tag entscheidet, ist sicherlich eine Besonderheit des vorliegenden Rechtstreits.

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