Arbeitsrecht

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Arbeitsrecht

Zugang der Kündigung beim minderjährigen Auszubildenden / Unverzüglichkeit der Zurückweisung / Botenzustellung

Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass die Kündigung eines Berufsausbildungsverhältnisses gegenüber einem minderjährigen Auszubildenden, bei dem keine Ermächtigung seiner gesetzlichen Vertreter zur Eingehung oder Aufhebung eines Arbeitsverhältnisses vorliegt, gegenüber dessen gesetzlichen Vertreter erklärt werden muss. Das Kündigungsschreiben sollte in diesen Fällen an die gesetzlichen Vertreter als gesetzliche Vertreter des Auszubildenden adressiert werden.

Sachverhalt:

Der 1991 geborene Kläger schloss, vertreten durch seine Eltern, mit der beklagten Arbeitgeberin am 17.06.2008 einen Vertrag über eine am 01.08.2008 beginnende Ausbildung. Im Ausbildungsvertrag war eine Probezeit von drei Monaten vereinbart, ferner die Geltung des Tarifvertrages für Auszubildende des öffentlichen Dienstes (TVAöD) vom 13.09.2005. Wegen Wegfalls des Arbeitsplatzes kündigte die beklagte Arbeitgeberin das Ausbildungsverhältnis mit dem noch minderjährigen Auszubildenden mit Schreiben vom 31.10.2008 am letzten Tag der Probezeit. Das Kündigungsschreiben wurde per Boten am 31.10.2008, einem Freitag, um 08:30 Uhr in den gemeinsamen Briefkasten des minderjährigen Auszubildenden und seiner ihn gesetzlich vertretenen Eltern eingeworfen, nachdem trotz mehrmaligen Läutens niemand geöffnet hatte. Der minderjährige Auszubildende war an diesem Tag arbeitsunfähig erkrankt. Seine Eltern befanden sich nach seinen Angaben auf Reisen. Der Kläger nahm das Schreiben tatsächlich erst am 02.11.2008 zur Kenntnis. Noch am selben Tag informierte er hierüber telefonisch seine Mutter. Dieser lag nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nach ihrer Rückkehr aus dem Urlaub das Kündigungsschreiben am Montag, den 03.11.2008, vor. Mit Schreiben vom 12.11.2008, das der Beklagten am Donnerstag, den 13.11.2008, zuging und dem keine Originalvollmacht beigefügt war, rügte der Prozessbevollmächtigte des Klägers die fehlende Vertretungsmacht gemäß § 180 BGB und wies die Kündigung gemäß § 174 BGB zurück.

Der vom Kläger am 21.11.2008 angerufen Schlichtungsausschuss entschied durch Spruch vom 21.01.2009, dass die Kündigung unwirksam sei und das Ausbildungsverhältnis fortbestehe. Die Beklagte erkannte den Spruch nicht an. Mit seiner am 03.02.2009 beim Arbeitsgericht eingegangenen, Klage wendet sich der Kläger gegen die Kündigung vom 31.10.2008. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen und die Revision zugelassen. Das Bundesarbeitsgericht hat die Revision des Klägers wegen Unbegründetheit der Klage zurückgewiesen:

Eine gegenüber einem minderjährigen Auszubildenden auszusprechende Kündigungserklärung geht diesem zu, wenn die Kündigungserklärung von der Arbeitgeberin mit dem erkennbaren Willen abgegeben worden ist, dass sie den gesetzlichen Vertreter des Minderjährigen erreicht und wenn sie tatsächlich in den Herrschaftsbereich des gesetzlichen Vertreters gelangt. Daraus folgt, dass ein Kündigungsschreiben, das am Morgen des letzten Tages der Probezeit des Ausbildungsverhältnisses durch Boten in den gemeinsamen Hausbriefkasten des minderjährigen Auszubildenden und seine ihn gesetzlichen vertretenen Eltern geworfen wird, noch an diesem Tag zugeht. Wird ein solches Kündigungsschreiben von der Arbeitgeberin an den Auszubildenden, gesetzlich vertreten durch seine Eltern, adressiert, lässt dies den Willen des Ausbildenden, dass das Kündigungsschreiben die Eltern des minderjährigen Auszubildenden als dessen gesetzlicher Vertreter erreichen soll, noch hinreichend erkennen. Der Ausbildende trägt allerdings bei einer solchen Adressierung das Risiko, dass bei postalischer Übermittlung die Zusteller eines solchen Schreibens in einen eventuell vorhandenen eigenen Briefkasten des minderjährigen einwerfen. Will der Ausbildende dieses Risiko vermeiden, muss er das Kündigungsschreiben an die Eltern als gesetzliche Vertreter des Auszubildenden adressieren.

Auch das Zurückweisungsschreiben nach § 174 BGB ist ein einseitiges Rechtsgeschäft im Sinne von § 174 BGB. Liegt diesem Schreiben keine Originalvollmacht bei, kann die Zurückweisungserklärung vom Kündigenden nach § 174 Satz 1 BGB zurückgewiesen werden. Die Zurückweisung einer Kündigungserklärung ist nach einer Zeitspanne von mehr als einer Woche ohne das Vorliegen besonderer Umstände des Einzelfalls nicht mehr unverzüglich i.S.d. § 174 Satz 1 BGB.

Fazit:

Bei einer Kündigung des Ausbildungsverhältnisses eines minderjährigen Auszubildenden in der Probezeit ist dringend anzuraten, dass der Ausbildende das Kündigungsschreiben an die Eltern als gesetzliche Vertreter des Ausbildenden adressiert und dafür sorgt, dass dieses Kündigungsschreiben tatsächlich und fristgerecht in den Herrschaftsbereich des Vertreters gelangt.

Allerdings muss in diesen Fällen zusätzlich beachtet werden, dass ein rechtzeitiger Zugang des Kündigungsschreibens nach der Rechtsprechung voraussetzt, dass das Kündigungsschreiben „in verkehrsüblicher Art“ in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers/des empfangsbereiten Dritten gelangt und für den Empfänger bzw. Dritten unter gewöhnlichen Umständen eine Kenntnisnahme des Kündigungsschreibens zu erwarten sein muss. Erreicht aber das Kündigungsschreiben die Empfangseinrichtung des Adressaten (d. h. den Briefkasten) zu einer Tageszeit, zu der nach den Gepflogenheiten des Verkehrs eine Entnahme oder Abholung durch den Adressaten nicht mehr erwartet werden kann, so ist die Willenserklärung an diesem Tag nicht mehr zugegangen. Umstritten ist dabei sogar, ob auf persönliche Verhältnisse des Arbeitnehmers, ob auf die gewöhnlichen Zustellungszeiten in seiner Straße oder ob allgemein auf Umstände der Zustellung im Bundesgebiet abzustellen ist.
Hierzu gibt es die nachstehenden Lösungsansätze aus der Rechtsprechung:

– LAG Nürnberg: Vormittagsstunden
– LAG Hamm: auch wenn 11:00 Uhr üblich ist, ist Zustellung bis 13:00 Uhr möglich
– LAG Köln: nach 16:00 Uhr zu spät; bis 14:00 Uhr O.k.; offen, was zwischen 14:00 Uhr und 16:00 Uhr gilt;
– LAG München: bis 18:00 Uhr;
– ArbG Frankfurt: nach 18:00 Uhr ist jedenfalls zu spät;
– LAG Berlin-Brandenburg: in Großstadt bis 18:00 Uhr;

Deshalb ist bei einer Botenzustellung an die Wohnadresse die Zustellung möglichst nicht am letzten Tag der Frist vorzunehmen. Ist dies nicht zu vermeiden, sollte in jedem Fall in den Morgenstunden zugestellt werden.

Ferner ist zu beachten, dass der Zugang einer verkörperten Willenserklärung unter Anwesenden auch dann als bewirkt gilt, wenn das Schriftstück dem Empfänger mit der für ihn erkennbaren Absicht, es ihm zu übergeben, angereicht und, sollte er die Entgegennahme ablehnen, so in seiner unmittelbaren Nähe abgelegt wird, das er es ohne Weiteres an sich nehmen und von seinem Inhalt Kenntnis nehmen kann. Die verkörperte Willenserklärung geht ihm in einer solchen Situation allerdings nicht zu, wenn sie dem Empfänger zum Zwecke der Übergabe zwar angereicht, aber vom Erklärenden oder Überbringer wieder an sich genommen wird, weil der Empfänger die Annahme abgelehnt hat. In diesem Fall ist das Schreiben zu keinem Zeitpunkt in dessen tatsächliche Verfügungsgewalt gelangt, vgl. BAG, Urteil vom 26.03.2015 – 2 AZR 483/14 –, juris, Rn. 20.

Verhindert der Empfänger allerdings durch sein eigenes Verhalten den Zugang einer Willenserklärung, muss er sich so behandeln lassen, als sei ihm die Erklärung bereits zum Zeitpunkt des Übermittlungsversuchs zugegangen. Es ist ihm in dieser Situation nach Treu und Glauben verwehrt, sich auf den späteren Zugang zu berufen, wenn er selbst für die Verspätung die alleinige Ursache gesetzt hat, vgl. BAG, Urteil vom 26.03.2015 – 2 AZR 483/14 -, juris, Rn. 21 m.w.N..

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