Arbeitsrecht

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Arbeitsrecht

Zum falschen Zeitpunkt krank!?

Zum falschen Zeitpunkt kran?! – Zur unterschiedlichen Behandlung einer Krankheit während Urlaub und Freistellung

 

I. Ausgangslage

Es dürfte unter Arbeitnehmern wohl allgemein die Meinung vorherrschen: Habe ich frei und werde ich gleichzeitig krank, bleibt mein freier Tag erhalten und ich kann ihn später nachholen. Doch während § 9 Bundesurlaubsgesetz für den Fall einer Erkrankung während des Erholungsurlaubs die Nichtanrechnung auf den Jahresurlaub vorschreibt, ist die Situation bei einer bezahlten Freistellung höchst problematisch.

 

II. Ansichten der Rechtsprechung

Das Bundesarbeitsgericht hat sich bereits vor über 20 Jahren auf die Seite der Ar-beitgeber gestellt. In seinem Urteil vom 04.09.1985 (Az.: 7 AZR 531/82) urteilte das höchste deutsche Arbeitsgericht in einem Fall, in dem streitig war, ob der damalige § 17 Abs. 5 BAT eine Nachgewährung von Freizeitausgleich bei Erkrankung während einer Freistellung zuließ. Das Bundesarbeitsgericht verneinte diese Frage mit der Begründung, dass zum einen § 17 Abs. 5 BAT von seinem Wortlaut her eine solche Auslegung nicht zulasse. Zum anderen stützte es sich auf den Zweck von § 17 Abs. 5 BAT. Danach sei Ratio des § 17 Abs. 5 BAT gerade nicht, dem Arbeitnehmer mit dem Überstundenausgleich durch Arbeitsbefreiung einen dem Erholungsurlaub vergleichbaren Ausgleich zu gewähren. Mit ähnlicher Begründung verneinte auch das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz mit Urteil vom 03.05.2005 (Az.: 2 Sa 23/05) einen Nachgewährungsanspruch bzw. Ausbezahlung der verlorenen Überstunden. Aus § 17 Abs. 5 BAT ergäbe sich nicht, dass der Arbeitgeber über die Entbindung des Arbeitnehmers von der Arbeitspflicht hinaus die Verschaffung einer zu Erholungszwecken nutzbaren, arbeitsfreien Zeit schulde. Bemerkenswert an beiden Entscheidungen ist, dass die Gerichte jeweils nur die tarifvertragliche Bestimmung ausgelegt haben und nicht geprüft haben, ob dem Arbeitnehmer ggfls. ein individualrechtlicher Anspruch auf Nachgewährung von Freiausgleich bzw. Ausbezahlung der verlorenen Überstunden zusteht. Mit dieser Frage befasste sich hingegen das LAG München in seinem Urteil vom 16.01.1996 (Az.: 6 Sa 150/95). Darin begründete das bayerische Gericht die Ablehnung der Klage eines während des Überstundenabbaus erkrankten Arbeitnehmers auf weitere Gewährung von Freizeitausgleich unter Hinzuziehung der §§ 275, 325 BGB a.F. Der Arbeitgeber habe durch die Festlegung oder Vereinbarung des Ausgleichszeitraums seine Pflichten konkretisiert. Die auf Seiten des Arbeitnehmers eingetretene Unmöglichkeit habe der Arbeitgeber nicht zu vertreten. Es bleibt festzuhalten, dass zumindest in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung ganz herrschend die Meinung vertreten wird, dass eine Erkrankung während einer bezahlten Freistellung zum Nachteil des Arbeitnehmers wirkt und dieser nachträglich auf individualrechtlicher Basis keine Nachgewährung von Freizeitausgleich bzw. Ausbezahlung der verlorenen Überstunden verlangen kann. Vgl. insoweit auch LAG Berlin-Brandenburg vom 11.12.2008, Az.: 26 Sa 1686/08 unter Hinweis auf BAG vom 11.09.2003, Az.: 6 AZR 374/02 (dort allerdings erneut nicht zum Vorliegen eines individualrechtlichen Anspruchs).

 

III. Bewertung

Die herrschende Rechtsprechung erscheint ungerecht: Ein Arbeitnehmer muss bei Erkrankung während einer bezahlten Freistellung das Gefühl haben, zum falschen Zeitpunkt krank geworden zu sein. Obwohl das Erholungsbedürfnis sowohl bei „normalem“ Urlaub und bezahlter Freistellung als gleich zu bewerten ist, wird bei Erkrankung im ersten Fall der Urlaub nicht verbraucht, während im zweiten Fall der Arbeitnehmer seiner kostbaren Freizeit verlustig wird. Dies ist für einen Arbeitnehmer schon deshalb unverständlich, weil in der Praxis kein Unterschied zwischen normalem Urlaub und bezahlter Freistellung aufgrund Überstunden (z.B. GLAZ-Tag) gemacht wird. Daneben soll noch ein weiteres Argument zu Felde geführt werden: Bei Anhäufung von Überstunden besteht für viele Arbeitnehmer die Möglichkeit, sich diese vom Arbeitgeber auszahlen zu lassen. Macht ein Arbeitnehmer von seinem Recht Gebrauch, sich die Überstunden auszahlen zu lassen, würde er nicht mehr Gefahr laufen, bei einer späteren Erkrankung Nachteile zu erleiden. Derjenige, der seinen Arbeitgeber finanziell schont und lediglich bezahlte Freistellung verlangt, würde hingegen das volle Risiko bei einer Erkrankung tragen. Dieses Ergebnis erscheint schon auf den ersten Blick unbillig.

 

IV. Empfehlung

für die Praxis Da in der Rechtsprechung eine analoge Anwendung von § 9 Bundesurlaubsgesetz auf die Fälle bezahlter Freistellung nicht erwogen bzw. abgelehnt wird, kann bis zu einer Änderung der Rechtsprechung bzw. einem Machtwort des Bundesarbeitsge-richts nur folgender Ratschlag gegeben werden: Ein Anspruch auf Nachgewährung von Freizeitausgleich bzw. Ausbezahlung der verlorenen Überstunden im Fall der Erkrankung bei bezahlter Freistellung sollte ausdrücklich geregelt werden. Hierzu könnten sich die Parteien eines abzuschließenden Tarifvertrages an § 10 Abs. 4 TVÖD orientieren. Danach tritt eine Minderung des Zeitguthabens im Falle einer unverzüglich angezeigten und durch ärztliches Attest nachgewiesenen Arbeitsunfähigkeit während eines Zeitausgleichs vom Arbeitszeitkonto nicht ein. Eine ähnliche Regelung dürfte sich bei Abschluss einer Betriebsvereinbarung empfehlen. Schließlich ist jeder Arbeitnehmer gehalten, auf einer entsprechenden Regelung im Arbeitsvertrag zu bestehen.

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