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Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats zu Einstellungen wegen Verletzung der in § 81 Abs. 1 SGB IX geregelten Prüf- und Konsultationspflichten

Das Bundesarbeitsgericht hat zwischenzeitlich die Frage geklärt, ob und inwieweit der Betriebsrat seine Zustimmung zu einer vom Arbeitgeber beabsichtigten Besetzung eines freien Arbeitsplatzes mit einem nicht schwerbehinderten Menschen auf der Grundlage des § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG verweigern kann. Dabei ist zwischen einer Besetzung eines freien Arbeitsplatzes durch Einstellung eines neuen Mitarbeiters bzw. durch Versetzung eines Mitarbeiters zu unterscheiden, vgl. BAG, 23.06.2010, 7 ABR 3/09 (Einstellung); BAG, 17.06.2008, 1 ABR 20/07 (Versetzung).

Sachverhalt:

Die Ausgangssituationen sind jeweils dadurch gekennzeichnet, dass ein Arbeitgeber beabsichtigt, einen frei werdenden oder neu geschaffenen Arbeitsplatz zu besetzen. Soweit er dies durch Einstellung eines neuen Mitarbeiters oder von vorneherein durch eine interne Stellenbesetzung bewerkstelligen will, ist das Zustimmungsverfahren nach § 99 BetrVG mit jeweils ausreichender Unterrichtung beim Betriebsrat einzuleiten. In beiden Fällen fragt sich dann, ob der Betriebsrat gem. § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG einen Zustimmungsverweigerungsgrund deswegen hat, weil der Arbeitgeber der in § 81 Abs. 1 S. 1 SGB IX geregelten Prüfpflicht nicht nachgekommen ist, ob der freie Arbeitsplatz mit schwerbehinderten Menschen, insbesondere solchen, die bei der Agentur für Arbeit arbeitslos oder arbeitssuchend gemeldet sind, besetzt werden kann.

Hat in diesen Fällen der Arbeitgeber das in § 99 Abs. 1 BetrVG geregelte Zustimmungsverfahren ordnungsgemäß eingeleitet und den Betriebsrat ausreichend unterrichtet, muss der Betriebsrat nach § 99 Abs. 3 S. 1 BetrVG dem Arbeitgeber die Verweigerung der Zustimmung zur Einstellung eines Mitarbeiters innerhalb von einer Woche nach der Unterrichtung durch den Arbeitgeber unter Angabe von Gründen schriftlich mitteilen. Geht dem Arbeitgeber innerhalb der Frist keine ordnungsgemäße Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats zu, gilt dessen Zustimmung nach § 99 Abs. 3 S. 2 BetrVG als erteilt.

Nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG kann der Betriebsrat die Zustimmung zu einer vom Arbeitgeber beabsichtigten personellen Einzelmaßnahme verweigern, wenn diese gegen ein Gesetz verstoßen würde. Nach der Rechtsprechung gilt dies nur, wenn die Maßnahme selbst gegen ein Gesetz, einen Tarifvertrag oder eine solche Norm verstößt. Dabei ist zu differenzieren:

1) Besetzung eines freien Arbeitsplatzes durch Einstellung eines neuen Mitarbeiters, vgl. BAG, 17.06.2008 – 1 ABR 20/07 – juris, Rn. 24.

a)
Nach § 81 Abs. 1 S. 1 SGB IX sind Arbeitgeber, die einen freien Arbeitsplatz durch „Einstellung“ eines neuen Mitarbeiters besetzen wollen, verpflichtet, zu prüfen, ob dieser freie Arbeitsplatz mit schwerbehinderten Menschen, insbesondere mit solchen, die bei der Agentur für Arbeit arbeitslos oder arbeitssuchend gemeldet sind, besetzt werden können. Ein Arbeitgeber verstößt danach gegen seine aus § 81 Abs. 1 SGB IX folgende Prüf- und Konsultationspflichten, wenn er auf einen freien Arbeitsplatz einen nicht schwerbehinderten Menschen einstellt, ohne geprüft zu haben, ob der Arbeitsplatz mit einem schwerbehinderten Menschen besetzt werden könnte.

b)
Die Einstellung des nicht Schwerbehinderten Menschen verstößt in diesem Fall gegen ein Gesetz i.S.d. § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG. Der nach § 81 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB IX verfolgte Zweck kann nach Auffassung der Rechtsprechung nämlich nur dadurch erreicht werden, dass die endgültige Einstellung des nicht schwerbehinderten Menschen jedenfalls zunächst unterbleibt. Die Einstellung eines nicht schwerbehinderten Arbeitnehmers stellt sich in einer solchen Situation, in der eine freie Stelle durch Neueinstellungen von außen besetzt werden soll, als potentielle Benachteiligung der Gruppe arbeitsloser schwerbehinderter Menschen dar. Zudem wird nach Auffassung der Rechtsprechung dem Arbeitsmarkt durch die Einstellung des nicht schwerbehinderten Menschen ein zur Verfügung stehender Arbeitsplatz zu Lasten der Gruppe der schwerbehinderten Menschen „entzogen“, deren Beschäftigungsinteressen § 81 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB IX dienen.

2) Besetzung einer freien Stelle durch Einstellung eines Leiharbeitnehmers, vgl. BAG, 23.06.2010 – 7 ABR 3/09 -, juris, Rn. 27 ff.

Diese Grundsätze gelten nach der Rechtsprechung auch, wenn der Arbeitgeber beabsichtigt, einen freien Arbeitsplatz nicht mit einem eigenen Vertragsarbeitnehmer, sondern mit einem Leiharbeitnehmer zu besetzen. Auch in diesem Fall besteht die Prüfungspflicht des Arbeitgebers nach § 81 Abs. 1 S. 1 SGB IX.

Eine Verletzung der nach § 81 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB IX bestehenden Prüf- und Konsultationspflicht durch den Arbeitgeber berechtigt daher den Betriebsrat, auch bei der Einstellung eines Leiharbeitnehmers zur Verweigerung der Zustimmung nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG.

3) Besetzung einer freien Stelle im Wege einer betriebs- oder unternehmensinternen Versetzung, vgl. BAG, 17.06.2008 – 1 ABR 20/07 -, juris, Rn. 24 ff.

Diese Grundsätze gelten aber nicht für die Neubesetzung eines freien Arbeitsplatzes im Wege einer betriebs- oder unternehmensinternen Versetzung. Zwar sind nach Auffassung der Rechtsprechung hierbei insbesondere zu Gunsten der bereits beschäftigten Schwerbehinderten Arbeitnehmer die Bestimmungen in § 81 Abs. 2 S. 1 und Abs. 4 S. 1 SGB IX zu beachten und kann deren Verletzung die Zustimmungsverweigerung für den Betriebsrat begründen. Durch die Versetzung eines bereits im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmers auf einen freigewordenen oder neugeschaffenen Arbeitsplatz verwirklichen sich aber für arbeitslose Schwerbehinderte Menschen nach Auffassung der Rechtsprechung nicht die mit der Schwerbehinderung verbundenen erhöhten Schwierigkeiten bei der Suche nach einem anderen Arbeitsplatz.

Bewertung der Rechtsprechung:

Soweit nach dieser Rechtsprechung eine Prüf- und Konsultationspflicht für den Arbeitgeber in § 81 Abs. 1 SGB IX besteht, sind die in § 81 SGB IX vorgeschriebenen Verfahrensschritte unter Einschaltung der dort angesprochenen Beteiligten einzuhalten. Dazu gehört die Suche nach Schwerbehinderten oder gleichgestellten Interessenten für die Stelle. Obligatorisch gehört dazu eine spezifizierte Anfrage bei der Agentur für Arbeit und zusätzlich alles Weitere, was der Arbeitgeber bei Neueinstellungen zu unternehmen pflegt. Werden dem Arbeitgeber dann Schwerbehinderte oder gleichgestellte Interessenten für die zu besetzende Stelle bekannt, wird er einen Abgleich zwischen dem Leistungsprofil der schwerbehinderten Bewerber mit dem Anforderungsprofil am Arbeitsplatz anstellen müssen. Ergibt nicht bereits ein solcher Abgleich die Eignung eines schwerbehinderten Bewerbers, wird er weiterhin zu prüfen haben, inwieweit er durch Änderungen Deckungsgleichheit zwischen den Bewerbern herstellen kann. Hierbei wird es sich vor allen um die Maßnahmen handeln, die in § 81 Abs. 4 und 5 SGB IX genannt werden: Arbeitsgestaltung, Herstellung von Barrierefreiheit, Umorganisation zwecks Entlastung des Bewerbers, Reduktion der Arbeitszeit, etc.

Rechtsfolgen:

Die Rechtsfolgen der Nichtbeteiligung der Agentur für Arbeit ist in solchen Fällen nicht unerheblich. Das Verfahren nach § 81 Abs. 1 SGB IX wird durch Bußgeldvorschriften teilweise geschützt. Ordnungswidrig ist nach § 156 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX die Verletzung der Unterrichtungspflichten. Die Verletzung der Erörterungspflicht im Rahmen von § 81 Abs. 1 S. 7 SGB IX ist nach § 156 Abs. 1 Nr. 8 SGB IX bußgeldbewehrt. Bußgeldbewehrt sind gem. § 156 Abs. 1 Nr. 9 SGB IX wiederum die Verletzung der allgemeinen Informations- und Anhörungsrechte nach § 95 Abs. 2 S. 1 BetrVG. Nach dem BAG, 15.02.2005, 9 AZR 635/03 führt außerdem die unterlassene oder fehlerhafte Beteiligung der Agentur für Arbeit zu der Vermutung einer Benachteiligung wegen einer Schwerbehinderung, wenn die Stellenbewerbung eines schwerbehinderten Menschen erfolglos war.

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