Für viele Gewerbetreibende stellte die Pandemielage insbesondere zu Zeiten des gesellschaftlichen Lockdowns ein finanzielles Desaster dar. Während die Umsätze des Einzelhandels aufgrund von öffentlichen Schließungsanordnungen wegfielen, blieben schuldrechtliche Verpflichtungen wie die monatliche Mietzinszahlung bestehen. Durch die zumeist langen Festlaufmietverträge stellten sich viele Gewerbetreibende die Frage nach einer Lösung.
Während der Gesetzgeber Übergangsregelungen in Art. 240 EGBGB aufnahm und damit Kündigungsvorschriften aussetzte sowie Stundungsmöglichkeiten schuf, blieben folgende wesentliche Fragen unbeantwortet:
Kann die Miete wegen eines Mangels gemindert werden, besteht eine rechtliche Unmöglichkeit und liegt eine Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB vor?
Entscheidung des BGH:
Hierzu hat nunmehr der BGH Anfang des Jahres in einem Urteil Stellung genommen (BGH, Urt. v. 12.01.2022 – XII ZR 8/21).
Sachverhalt:
Es ging um die Zahlung einer Gewerberaummiete für den Monat April 2020. Die Klägerin vermietete an die Beklagte Räumlichkeiten zum Verkauf und Lagern im Zusammenhang mit dem Betrieb eines Einzelhandelsgeschäfts für Textilien aller Art, sowie Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs. Aufgrund des sich verbreitenden Coronavirus erließ das Sächsische Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt am 18.03.2020 auf der Grundlage von § 28 I IfSG eine Allgemeinverfügung nach der in Sachsen grundsätzlich alle Geschäfte geschlossen wurden. Aufgrund dieser Allgemeinverfügung war das Textileinzelhandelsgeschäft der Beklagten im Mietobjekt vom 19.03.2020 bis einschließlich 19.04.2020 geschlossen. Für den Monat April zahlte die Beklagte daraufhin keine Miete. Diese begehrte die Klägerin nun klagweise.
Rechtliche Bewertung:
a. Kein Mangel
Der BGH konstatierte zunächst, dass eine staatlich angeordnete Geschäftsschließung keinen Mangel i.S.d. § 536 BGB darstelle. Denn Voraussetzung sei, dass die durch die gesetzgeberische Maßnahme bewirkte Gebrauchsbeschränkung unmittelbar mit der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage des Mietobjekts in Zusammenhang stünde. Andere gesetzgeberische Maßnahmen, die den geschäftlichen Erfolg beeinträchtigen, fielen dagegen in den Risikobereich des Mieters. Um eine solche handele es sich vorliegend.
b. Keine Unmöglichkeit
Die Beklagte könne sich aus denselben Gründen auch nicht auf das Leistungsbefreiungsrecht des § 326 Abs. 1 BGB berufen. Denn der Klägerin sei es sehr wohl möglich gewesen, den Gebrauch der Mietsache der Beklagten zu gewähren. Dass die Beklagte keinen Umsatz mit ihrem Geschäft erzielen konnte, sei nicht Teil der Leistungspflichten der Klägerin.
c. Störung der Geschäftsgrundlage nur im Einzelfall
Der BGH hält zunächst grundsätzlich fest, dass ein Anspruch auf Anpassung der Miete für den Fall, dass gewerblich genutzte Geschäftsräume wegen einer behördlichen Anordnung geschlossen werden, bestehen könne. Es bedürfe dafür aber einer kritischen Prüfung sämtlicher Anspruchsvoraussetzungen; es verbiete sich jede pauschale Anwendung.
§ 313 BGB setzt, damit eine Vertragsanpassung vorgenommen werden kann, voraus, dass ein Umstand zur Geschäftsgrundlage geworden ist (1), dieser sich nachträglich geändert hat (reales Element) (2), diese Änderung so schwerwiegend ist, dass die Parteien den Vertrag nicht oder mit einem anderen Inhalt geschlossen hätten (hypothetisches Element) (3), die Umstände nicht aus der Sphäre einer Partei herrühren und ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag der anderen Partei unter umfassender Abwägung nicht zumutbar ist (normatives Element) (4).
(1) Der BGH sieht als Geschäftsgrundlage, den Umstand, dass keine der Parteien bei Abschluss des Mietvertrags die Vorstellung gehabt hätten, während der vereinbarten Mietzeit werde es zu einer Pandemie und damit verbundenen erheblichen hoheitlichen Eingriffen in den Geschäftsbetrieb der Beklagten kommen.
(2) Die Umstände haben sich bekanntlich geändert.
(3) Weiter geht der BGH davon aus, dass die Parteien den Mietvertrag mit einem anderen Inhalt abgeschlossen hätten, wenn sie bei Vertragsabschluss die Möglichkeit einer Pandemie und die damit verbundene Gefahr einer hoheitlich angeordneten Betriebsschließung vorausgesehen und bedacht hätten. Es sei anzunehmen, dass redliche Mietvertragsparteien für diesen Fall das damit verbundene wirtschaftliche Risiko nicht einseitig zulasten des Mieters geregelt, sondern in dem Vertrag für diesen Fall eine Möglichkeit zur Mietanpassung vorgesehen hätten.
(4) Im Verhältnis zwischen Vermieter und Mieter trage grundsätzlich der Mieter das Verwendungsrisiko bezüglich der Mietsache. Beruhe die enttäuschte Gewinnerwartung des Mieters jedoch auf einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie wie einer Betriebsschließung für einen gewissen Zeitraum, gehe dies über das gewöhnliche Verwendungsrisiko des Mieters hinaus, sodass der Umstand aus der Sphäre keiner Partei herrühre.
Sodann beschäftigt sich der BGH mit dem letzten Kriterium, der Unzumutbarkeit des Festhaltens am unveränderten Vertrag für den Vertragspartner. Während die vorherige Instanz noch einen pauschalen Abschlag von 50 % auf die Miete angesetzt hatte, schieb der BGH dieser Pauschalisierung einen Riegel vor. Er verlangt, dass sämtliche konkrete Umstände in der Abwägung beleuchtet werden. So sei zunächst von Bedeutung, welche Nachteile dem Mieter durch die Geschäftsschließung und deren Dauer entstanden sind. Abzustellen sei auf das konkrete Mietobjekt und nicht auf einen möglichen Konzernumsatz. Zu berücksichtigen könne auch sein, welche Maßnahmen der Mieter ergriffen hat oder ergreifen konnte, um die drohenden Verluste während der Geschäftsschließung zu vermindern. Hier müssten sodann auch die finanziellen Vorteile berücksichtigt werden, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich dieser pandemiebedingten Nachteile erlangt habe. Erst dann könne eine Vertragsanpassung erfolgen.
Zusammenfassung