Arbeitsrecht

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Arbeitsrecht

Außerordentliche Kündigung - Beleidigung eines Geschäftsführers - Fehlen einer Entschuldigung

Selbst in einem langjährigen Arbeitsverhältnis kann die Bezeichnung der Geschäftsführer als „soziale Arschlöcher“ in einem von der Familie geführten Kleinbetrieb ohne vorherige Abmahnung die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses gem. § 626 BGB rechtfertigen.

Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 24.01.2017 – 3 Sa 244/16 –

Sachverhalt (vereinfacht):
In dem Betrieb der Beklagten sind neben dem Kläger insgesamt drei Gesellen und die Mutter der Geschäftsführer als Büroangestellte sowie ein Auszubildender beschäftigt. Mit Schreiben vom 19.02.2016 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum Kläger außerordentlich fristlos sowie vorsorglich ordentlich und vorsorglich fristgerecht zum nächstzulässigen Kündigungstermin. Dieser Kündigung vorausgegangen war folgender Sachverhalt:

Der Kläger suchte am Ende eines Arbeitstages das Büro der beiden Geschäftsführer der Beklagten auf, um zwei auf einer aktuellen Baustelle aufgetauchte Fragen abzuklären. Zu diesem Zeitpunkt befand sich in dem Büro auch der Vater der beiden Geschäftsführer, der selbst ehemals Geschäftsführer der Beklagten war. Da einer der Geschäftsführer telefonierte wandte sich der Kläger an den Vater und fragte ihn, wie er eine Steuerleitung (Pneumaschlauch) verlängern könne, da sich die Pumpe und der dazugehörige Schaltschrank nicht in einem Raum befanden und Originalteile nicht vorhanden waren. Der Vater der Geschäftsführer verwies den Kläger – mit welcher Tonlage ist streitig – zunächst unter anderem an vorhandene Teile. Ob er dabei auch gesagt hat, zur Not solle der Kläger sich was „schnitzen“, ist in der Verhandlung streitig geblieben. Unstreitig gab der Vater dem Kläger aber im Verlauf des Gesprächs auch Recht, dass er vor einem objektiv bestehenden, von Lieferanten ungelösten Problem stehe. Auf die weitere Frage des Klägers, wie er den Schwimmer der Pumpe besser gegen „Absturz“ sichern könne, antwortete der Vater, dass dieser doch als ehemaliger Seemann verschiedene Knoten könne. Dies empfand der Kläger als sarkastische Provokation, weil s.E. ein Knoten in einem Stahlseil nicht hält und er die Anspielung auf die Seemannstätigkeit unpassend fand. Der weitere Verlauf dieser Besprechung ist streitig geblieben. Der Kläger sah das Gespräch dann mangels sachlich zutreffender Lösungsmöglichkeit als beendet an. Als er grußlos und mit nicht näher bezeichneten Worten den Raum verlassen wollte, kommentierte der ebenfalls anwesende Geschäftsführer das Ganze noch hörbar für den Kläger sinngemäß als „Kinderkram/ Sind wir im Kindergarten?“.

Am darauffolgenden Morgen betrat der Kläger wieder das Büro der Beklagten. Im Verlauf des Rechtsstreites war unstreitig geworden, dass sowohl er als auch die an-wesenden Geschäftsführer der Beklagten angespannt und gereizt waren. Der Kläger brachte das damit zum Ausdruck, dass von ihm das Gespräch vom Vortag keineswegs als „Kinderkram“ verstanden werde. Der Kläger beschwerte sich auch über eine Abmahnung vom 16.11.2015 aus Anlass einer von ihm verlangten, aber verweigerten Nachschulung. Dann kam es zu einem Wortgefecht, dessen Verlauf streitig ist. Unstreitig äußerte der Kläger aber nach seinem eigenen Vorbringen mindestens auch, dass einer der Geschäftsführer gerne den Chef raushängen lasse und dass sein Vater sich am Vortag ihm gegenüber wie ein „Arsch“ verhalten hätte. Der Geschäftsführer sei auf dem besten Wege, seinem Vater den Rang abzulaufen. Des Weiteren sagte der Kläger im Verlaufe dieses weiteren Gespräches mindestens: „Dann kündigt mich doch“, worauf der Geschäftsführer erwiderte: „Damit wir dann als soziale Arschlöcher dastehen“. Er erwähnte auch eine zurückliegende Tätigkeit des Klägers als „Taxifahrer“. Der Kläger erwiderte unstreitig, dass die Firma dies bereits sowieso schon sei. Daraufhin beendete der Geschäftsführer das Gespräch. Der Kläger nahm die Arbeit auf und wurde abends telefonisch zum Abbau des Arbeitszeitguthabens für drei Tage freigestellt. Anschließend wurde ihm Urlaub gewährt. Die Beklagte betrachtete die Äußerung des Klägers insgesamt als Beleidigung. Die Geschäftsführer warteten noch drei Tage ab, ob der Kläger entschuldigend an sie herantrete, was nicht geschah. Schließlich sprach die Beklagte die Kündigung aus. Den Versuch einer Entschuldigung unternahm der Kläger erstmals nach eindringlichem Anraten des Arbeitsgerichts im Kammertermin im Rahmen der Unterbrechung der Verhandlung. Der Kläger hat stets die Ansicht vertreten, er sei vom Seniorgeschäftsführer der Beklagten zu den Äußerungen provoziert worden. Auch am Folgetag habe er sich auch aufgrund der Äußerungen des Vortages in die Ecke gedrängt gefühlt, weswegen in ihm die Emotionen hochgekocht seien. Die Äußerung sei ein Augenblicksversagen, und ihm hätten die Worte, nachdem er sie ausgesprochen hätte, sofort Leid getan. Das Gespräch sei weiter eskaliert. Das sei ihm aber nicht anzulasten. Die Äußerungen, die ihm vorgehalten wurden, seien aus dem Affekt heraus getätigt worden, verursacht durch Provokationen der Aktuellen wie des ehemaligen Geschäftsführers der Beklagten. Die Beklagte hat gemeint, sie habe den Kläger nicht provoziert. Beide Geschäftsführer hätten dem Kläger vielmehr deutlich gemacht, dass sie das vom Kläger am Vortag dem Vater gegenüber an den Tag gelegte Verhalten nicht akzeptieren würden. Daraufhin sei der Kläger sehr unvermittelt massiv auffällig geworden. Ein Augenblicksversagen sei schon deshalb nicht gegeben, weil eine mehrstündige Unterbrechung zwischen der angeblichen Provokation und den Beleidigungen am Folgetage läge.

Das Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Kündigungsschutzklage des Klägers abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht führt aus, dass grobe Beleidigungen grundsätzlich eine fristlose Kündigung rechtfertigen können. Dabei sei die strafrechtliche Beurteilung kündigungsrechtlich nicht ausschlaggebend. Was als grobe Beleidigung anzusehen sei, müsse unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles entschieden werden. Zu berücksichtigen sei dabei, ob und inwieweit die Auseinandersetzung vom Arbeitgeber mitverursacht worden sei. Von Bedeutung seien weiterhin betriebliche bzw. der branchenübliche Umgangston und die Gesprächssituation. Bei Vorliegen einer groben Beleidigung des Arbeitgebers und/oder seiner Vertreter oder Repräsentanten, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den bzw. die Betroffenen bedeuten, könne sich der Arbeitnehmer nicht erfolgreich auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 GG berufen.

Maßgeblich abzustellen sei auf das Gespräch am zweiten Tag. Es könne dahingestellt bleiben, ob der Kläger den Geschäftsführer bzw. dessen Vater wörtlich als „grobe Arschlöcher“ bezeichnet habe. Denn unstreitig habe der Kläger mindestens gesagt, dass der Vater des Geschäftsführers sich ihm gegenüber „wie ein Arsch“ verhalten hätte und dass der Geschäftsführer auf dem besten Wege sei, seinem Vater den Rang abzulaufen. Dies war nach Überzeugung des Landesarbeitsgerichtes ein Frontalangriff auf den Geschäftsführer und dessen Vater. Des Weiteren habe der Kläger unstreitig auf den Satz des Geschäftsführers „damit wir dann als soziale Arschlöcher dastehen“ erwidert, dass die Firma dies bereits sowieso schon sei. Diese Äußerung stellten eine gezielte ehrverletzende, durch nichts gerechtfertigte Beschimpfung der Geschäftsführer und deren Vater, dem ehemaligen Geschäftsführer dar. Das Gespräch am Vorabend mit dem ehemaligen Geschäftsführer über eine Verlängerung der Steuerleitung sowie eine Sicherung des Schwimmers sei ebenfalls nicht geeignet, die oben genannten Äußerungen des Klägers abzumildern. Die Kammer vermochte schon in den Antworten des ehemaligen Geschäftsführers der Beklagten keine Provokation zu erkennen, selbst wenn sie ggf. teilweise in einem süffisanten Tonfall erfolgt sein sollten. Auch der Hinweis auf die ehemalige Seemannstätigkeit des Klägers sei noch im Rahmen der Sachlichkeit geblieben. Gleiches gelte für die vom Geschäftsführer erwähnte Formulierung „Kinderkram/Sind wir im Kindergarten?“, als der Kläger grußlos und mit nicht näher bezeichneten Worten den Raum verlassen wollte.

Von besonderem Gewicht sei vorliegend auch, dass nahezu 16 Stunden zwischen der vom Kläger behaupteten Provokation durch den ehemaligen Geschäftsführer und den ehrverletzenden wiederholten Beleidigungen der Geschäftsführer und ihres Vaters liegen. Wie das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt habe, seien die Äußerungen gerade nicht unmittelbar aus einer Affektsituation nach einer – streitigen – Provokation erfolgt. Vielmehr habe der Kläger einen ganzen Abend und eine ganze Nacht Zeit, sich zu beruhigen und auf sachlicher Ebene das zu formulieren, was ihn an der Gesprächsführung des Vorabends gestört habe. Das aber habe er grade nicht getan, vielmehr die Geschäftsführung erst Stunden später nach der behaupteten Provokation als „soziale Arschlöcher“ bezeichnet. Angesichts dessen bestehe kein Raum, für eine erfolgreiche Berufung auf das Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 GG.

Die streitbefangene fristlose Kündigung erweise sich auch nicht wegen Fehlens einer vorherigen Abmahnung als unwirksam. Im Hinblick auf die Schwere der Pflichtverletzung habe es einer Abmahnung des Klägers nicht bedurft. Das Verhalten des Klägers zeige nach der Überzeugung des Landesarbeitsgerichtes vielmehr ein hohes Risiko weiterer Vertragsverletzungen. Der Kläger sei selbst im Kammertermin noch nicht einsichtsfähig gewesen. Er habe überhaupt nicht einsehen können, dass er Grenzen überschritten habe und dass er auf die Geschäftsführer der Beklagten hätte zugehen müssen. Auch im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung sei das Arbeitsgericht zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass hier die außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung der mehr als 23-jährigen Betriebszugehörigkeit des Klägers und seiner aktuellen Rentennähe wirksam sei. Von besonderer Bedeutung war in diesem Zusammenhang für das Landesarbeitsgericht, dass nach wie vor eine Entschuldigung des Klägers fehle. Zu berücksichtigen sei, dass der Geschäftsführer der Beklagten vor Ausspruch der Kündigung drei Tage gewartet habe, ob der Kläger ggf. auf sie zukomme und versuche, die verbale Entgleisung zu bereinigen. Das sei nicht geschehen. Zu berücksichtigen sei ferner, dass es sich um einen kleinen Familienbetrieb handele, in dem sich die agierenden Personen nicht ausweichen können und in dem man viel mehr emotionale Nähe habe, als in einem Großbetrieb. Die hohe und nachhaltige Betroffenheit der vier im Betrieb arbeitenden Mitglieder der Geschäftsführerfamilie würde durch die in jeder Hinsicht sachlichen Schilderungen der beiden Geschäftsführer in der Berufungsverhandlung ganz besonders deutlich. Sie fühlten sich und ihre Betriebsphilosophie immer noch komplett in Frage gestellt und hätten jegliches Vertrauen in den Kläger und ein gedeihliches Miteinander verloren. Obgleich der Kläger bei Ausspruch der Kündigung bereits 62 Jahre alt war und bereits 23,5 Jahre lang in einem Beschäftigungsverhältnis zur Beklagten stand, war unter Abwägung aller Faktoren es nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts der Beklagten nicht zumutbar, das Arbeitsverhältnis auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist von 7 Monaten zum Monatsende fortzusetzen.

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