Nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes steht das Europarecht der Fortgeltung im Arbeitsvertrag vereinbarter dynamischer Bezugnahmeklauseln nach einem Betriebsübergang nicht entgegen, sofern das nationale Recht des Mitgliedsstaates sowohl einvernehmliche, als auch einseitige Möglichkeiten für den Betriebserwerber vorsieht, die Vertragsbedingungen anzupassen.
EuGH, Urteil vom 27.04.2017, C-680/17, C-681/15
Sachverhalt:
Die Kläger waren Arbeitnehmer eines Krankenhauses, welches ursprünglich in kommunaler Trägerschaft betrieben wurde. Das Krankenhaus wurde anschließend an eine GmbH veräußert und ging in der Folgezeit im Wege eines Betriebsübergangs gem. § 613a BGB auf die KLS FM und schließlich auf die Beklagte über. Die KLS FM und auch die Beklagte waren nicht durch Mitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband an Tarifverträge gebunden. Die Arbeitsverträge zwischen der KLS FM und den Arbeitnehmern enthielten eine dynamische Verweisungsklausel auf die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes. Die Kläger erhoben Klage mit dem Ziel, festzustellen, dass aufgrund der im Arbeitsvertrag befindlichen dynamischen Inbezugnahmeklausel die öffentlichen Tarifverträge auch nach dem Betriebsübergang auf die Beklagte in ihrer jeweils gültigen Fassung auf die Arbeitsverhältnisse Anwendung finden.
Sowohl das Arbeitsgericht, als auch das Landesarbeitsgericht hatten der Klage statt-gegeben. Das BAG hat ausgeführt, dass ein Betriebserwerber nach einem Betriebsübergang an die von einem nicht tarifgebundenen Betriebsveräußerer vereinbarte dynamische Bezugnahme auf einen Tarifvertrag unverändert gebunden ist und diese Dynamik auch nicht entfällt, wenn der Betriebserwerber nicht durch Mitgliedschaft in einer tarifschließenden Koalition tarifgebunden ist und deshalb auf künftige Tarifverhandlungen kein Einfluss nehmen kann. Das BAG hat den Rechtsstreit jedoch zunächst nicht entschieden, sondern dem EuGH in diesem Zusammenhang die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob diese Auslegung von § 613 a Abs. 1 BGB mit Europarecht vereinbar ist (BAG vom 17.06.2005, Az. 4 AZR 61/14 (A)). Das BAG hat in dieser Vorlage weiter ausgeführt, dass es davon ausgehe, dass das nationale, also das deutsche Arbeitsrecht sowohl einvernehmliche, als auch einseitige Anpassungsmöglichkeiten im Hinblick auf die Arbeitsbedingungen für den Betriebserwerber vorsehe.
Der EuGH urteilte, dass die Geltung einer dynamischen Bezugnahmeklausel nach einem Betriebsübergang nicht entfalle. Es argumentierte in diesem Zusammenhang zum einen damit, dass die Vereinbarung einer dynamischen Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag auf einer freien, privatautonomen Entscheidung der Vertragsparteien beruhe. Zum anderen betonte der EuGH, dass das Europarecht nicht nur die Wahrung der Interessen der Arbeitnehmer, sondern auch den gerechten Ausgleich zwischen Arbeitnehmern und Betriebserwerbern bezwecke. Daraus folgert der EuGH, dass der Betriebserwerber aufgrund nationaler Regelungen in der Lage sein müsse, nach dem Betriebsübergang die für die Fortsetzung seiner Tätigkeit erforderlichen Vertragsanpassungen vorzunehmen. Der EuGH hat in diesem Zusammenhang die Vorgaben des BAG, wonach in Deutschland für den Betriebserwerber sowohl einseitige, als auch einvernehmliche Möglichkeiten bestünden, die bei Betriebsübergang geltenden arbeitsvertraglichen Regelungen anzupassen, einfach und ohne weitere Überprüfung unterstellt. Es hat vor diesem Hintergrund angenommen, dass der Betriebserwerber deshalb durch die Fortgeltung der dynamischen Bezugnahmeklausel nicht benachteiligt sei. Das Europarecht stehe im Ergebnis der Fortgeltung dynamischer Bezugnahmeklauseln nach einem Betriebsübergang daher nicht entgegen.
Bewertung der Entscheidung:
Zunächst ist festzustellen, dass die im Arbeitsvertrag vereinbarte hier streitgegenständliche Bezugnahmeklausel von einem Arbeitgeber vereinbart wurde, welcher bei Abschluss des Arbeitsvertrages selbst nicht tarifgebunden war. Eine Gleichstellungsklausel, welche lediglich die Gleichstellung von Nichtgewerkschaftmitgliedern mit Gewerkschaftsmitgliedern beabsichtigt, konnte bereits deshalb nicht vorliegen. Auf die Fallgestaltungen einer solchen Gleichstellungsabrede bezieht sich die genannte Entscheidung also nicht.
Bereits die vom EuGH nicht weiter überprüfte Vorgabe des BAG, wonach ein Betriebserwerber nach deutschem Recht sowohl einseitige, als auch einvernehmliche Möglichkeiten habe, die Vertragsbedingungen anzupassen, dürfte eher theoretischer Natur sein. Praktisch schwebte dem Bundesarbeitsgericht insoweit möglicherweise der Ausspruch einer Änderungskündigung bzw. die einvernehmliche Änderung der Arbeitsbedingungen mit ausdrücklicher Zustimmung des Arbeitnehmers vor. Diese Möglichkeiten bestehen allerdings praktisch im Regelfall nicht. Die Anforderungen des BAG an eine Änderungskündigung zur Abänderung einer dynamischen Bezugnahmeklausel dürften ähnlich hoch anzusiedeln sein, wie bei einer Änderungskündigung zur Entgeltreduzierung. Zur Wirksamkeit einer solchen Änderungskündigung fordert die Rechtsprechung, dass bei einer Aufrechterhaltung der bisherigen Personalkostenstruktur weitere, betrieblich nicht mehr auffangbare Verluste entstünden, die absehbar zu einer Reduzierung der Belegschaft oder sogar zu einer Schließung des Betriebes führen. Regelmäßig bedarf es nach der Rechtsprechung deshalb eines umfassenden Sanierungsplanes, der alle gegenüber der beabsichtigten Änderungskündigung milderen Mittel ausschöpft. Die Möglichkeit einer solchen Änderungskündigung sind daher im Regelfall nicht gegeben. Weiterhin dürfte es eher der Ausnahmefall sein, dass ein Arbeitnehmer sich ausdrücklich mit einer Entgeltreduzierung einverstanden erklärt.
Praxisfolgen:
Die Entscheidung des EuGH verdeutlicht einmal mehr, dass insbesondere bei der Formulierung arbeitsvertraglicher Inbezugnahmeklauseln besondere Vorsicht geboten ist. Bei der Formulierung solcher Inbezugnahmeklauseln ist bereits daran zu denken, welche Auswirkungen sich zum Beispiel nach einem Betriebsübergang oder nach einem Austritt des Arbeitgebers aus dem tarifschließenden Arbeitgeberverband ergeben.