Arbeitsrecht

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Arbeitsrecht

Fristlose Kündigung wegen haltloser Strafanzeige gegen die Arbeitgeberin

Schaltet eine Arbeitnehmerin wegen eines vermeintlich strafbaren Verhaltens seiner Arbeitgeberin oder ihrer Repräsentanten die Staatsanwaltschaft ein, stellt dieses Verhalten als Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte – soweit nicht wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben gemacht werden – im Regelfall keinen Grund für eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses dar. Allerdings kann der Fall anders liegen, wenn sich die Strafanzeige als leichtfertig und unangemessen erweist. Die in Strafanzeigen enthaltenen Werturteile werden nicht in allen Fällen vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit im Sinne des Art. 5 Abs. 1 GG erfasst. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit steht nämlich unter dem Schrankenvorbehalt der allgemeinen Gesetze, sodass die schutzwürdigen Interessen der Arbeitgeberin immer wertend berücksichtigt werden müssen.

BAG, Urteil vom 15.12.2016 – 2 AZR 42/16, juris.

Sachverhalt:
Die Arbeitgeberin, die Trägerin des Fachbereiches Sozialversicherung der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung ist, hatte die von der Arbeitnehmerin, die bei ihr als Lehrbeauftragte beschäftigt war, abgehaltenen Lehrveranstaltungen nach Maßgabe einer für ihren Arbeitsplatz erlassenen Evaluationsordnung bewertet und diese Ergebnisse dann an andere Mitarbeiter weitergeleitet. Diese Maßnahmen waren aus Sicht der Arbeitnehmerin unrechtmäßig, weshalb sie bei der zuständigen Staatsanwaltschaft Strafantrag gegen unbekannt eingereicht hatte. Nachdem die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren im Juni 2012 eingestellt hatte, legte die Arbeitnehmerin bei der Generalstaatsanwaltschaft Beschwerde gegen diesen Einstellungsbeschluss ein, die ebenfalls noch im Juli 2012 von der Generalstaatsanwaltschaft zurückgewiesen wurde, die aber den Vorgang dann allerdings im November 2012 an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zur Prüfung mit der Frage ab gab, ob ein Bußgeldverfahren einzuleiten sei. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales unterrichtete die Arbeitgeberin dann mit Schreiben aus Juli 2013 darüber, dass wegen des in diesem Zusammenhang geschilderten vorhergehenden Sachverhaltes die Einleitung eines Bußgeldverfahrens geprüft werde. Im Dezember 2013 gab das Ministerium dann den Vorgang an die Arbeitgeberin als zuständige Verwaltungsbehörde ab, die keinen Verstoß gegen gesetzliche Datenschutzbestimmungen feststellte. Nach ordnungsgemäßer Beteiligung des Personalrats kündigte die Arbeitgeberin dann das Arbeitsverhältnis der Arbeitnehmerin im Mai 2014 zum 31.12.2014 mit der Begründung, der gegen sie gerichtete Strafantrag der Arbeitnehmerin stelle eine unverhältnismäßige Reaktion auf die vermeintlich rechtswidrig erfolgte Evaluation dar. Daraufhin reichte die Arbeitnehmerin beim zuständigen Arbeitsgericht Kündigungsschutzklage mit der Begründung ein, sie habe sich mit dem Strafantrag gegen eine Verletzung ihrer Rechte durch die von der Arbeitgeberin zu verantwortende Evaluation ihrer Lehrveranstaltungen und gegen die Weitergabe der erhobenen Daten wehren dürfen.

Alle Instanzen haben die Kündigungsschutzklage zurückgewiesen.

Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung ausgeführt:

Eine Kündigung sei iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers bedingt und damit sozial ungerechtfertigt, wenn dieser seine vertraglichen Haupt- und Nebenleistungspflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt habe, eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten stehe und dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers über die Kündigungsfrist hinaus in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile nicht zumutbar sei. In diesem Zusammenhang könne eine Kündigung auch durch eine erhebliche Verletzung der den Arbeitnehmer gem. § 241 Abs. 2 BGB treffenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt seien. Eine Kündigung scheide dagegen aus, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen von Seiten des Arbeitgebers – wie etwa eine Abmahnung – geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken. Bei einer Abmahnung bedürfe es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 i.V.m. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar sei, dass eine Verhaltensänderung auch nach Ausspruch einer Abmahnung nicht zu erwarten oder die Pflichtverletzung so schwerwiegend sei, dass selbst deren erstmalige Hinnahme durch den Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und offensichtlich (auch für den Arbeitnehmer erkennbar) ausgeschlossen sei, vgl.: BAG, 19.11.2015 – 2 AZR 217/15, juris Rn. 24.

Die Einschaltung der Staatsanwaltschaft durch einen Arbeitnehmer wegen eines vermeintlich strafbaren Verhaltens des Arbeitgebers oder seiner Repräsentanten würden als Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte – soweit nicht wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben gemacht werden – im Regelfall keine eine Kündigung rechtfertigende Pflichtverletzung darstellen. Das könne allerdings anders zu beurteilen sein, wenn trotz richtiger Darstellung des angezeigten objektiven Sachverhalts für das Vorliegen der nach dem Straftatbestand erforderlichen Absicht keine Anhaltspunkte bestünden und die Strafanzeige sich deshalb als leichtfertig und unangemessen erweisen. Das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG sei nicht vorbehaltslos gewährt, sondern stünde gem. Art. 5 Abs. 2 GG unter dem Schrankenvorbehalt der allgemeinen Gesetze. Das erfordere eine fallbezogene Abwägung zwischen dem Grundrecht der Meinungsfreiheit und dem vom grundrechtsbeschränkenden Gesetz – hier § 241 Abs. 2 BGB – geschützten Rechtsgut. Die Anzeige des Arbeitnehmers dürfe sich deshalb mit Blick auf die schutzwürdigen Interessen des Arbeitgebers nicht als eine unverhältnismäßige Reaktion auf sein Verhalten oder das seiner Repräsentanten darstellen. Indizien für eine solche unverhältnismäßige Reaktion können sowohl eine fehlende Berechtigung zur Anzeige als auch die Motivation des Anzeigenden oder ein fehlender innerbetrieblicher Hinweis auf die angezeigten Missstände sein, vgl: BAG, 03.07.2003 – 2 AZR 235/02 -.

Wegen der sich aus der Pflicht zur Rücksichtnahme ergebende Pflicht zu Loyalität und Diskretion sei der Arbeitnehmer grundsätzlich gehalten, Hinweise auf strafbares Verhalten in erster Linie gegenüber Vorgesetzten oder anderen zuständigen Stellen oder Einrichtungen vorzubringen. Daher sei zu berücksichtigen, ob dem Arbeitnehmer andere wirksame Mittel zur Verfügung standen, um etwas gegen den angeprangerten Missstand zu tun, andererseits aber auch eine öffentliches Interesse an der Offenlegung der Information.

Eine unverhältnismäßige, die die vertragliche Nebenpflicht zur Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB verletzende Reaktion könne auch dann vorliegen, wenn der Arbeitnehmer einen Strafantrag stelle, weil er sich selbst als durch eine Straftat verletzt fühle. Einen Strafantrag des vermeintlich betroffenen könne sich insbesondere dann als unverhältnismäßig erweisen, wenn – trotz richtiger Darstellung des angezeigten objektiven Sachverhalts – der Vorwurf, es sei durch ein bestimmtes Verhalten ein Straftastbestand verwirklich worden, völlig haltlos sei. In einem solchen Fall bestünde für den Antragsteller objektiv kein Anlass, die staatliche Strafverfolgung zu initiieren. Eine Verletzung der Pflicht zur Rücksichtnahme gem. § 241 Abs. 2 BGB durch einen derart „überschießenden“ Strafantrag sei aber nur dann schuldhaft und damit der Arbeitnehmer vorwerfbar, wenn diesem die Haltlosigkeit des Vorwurf erkennbar gewesen sein. Wenn das der Fall sei, sei ein bloß vermeidbarer und damit verschuldeter Irrtum über die Voraussetzung der Strafbarkeit des angezeigten Verhaltens – unabhängig vom Grad des Verschuldens – im Rahmen der Interessenabwägung bei der Prüfung zu berücksichtigen, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz der Pflichtverletzung zumutbar sei.

Die Frist von 3 Monate zur Stellung eines Strafantrags gem. § 77b Abs. 1 StGB stehe der Annahme, ein Strafantrag könne gegen die Pflicht zur Rücksichtnahme gem. § 241 Abs. 2 BGB verstoßen, nicht entgegnen. Für den Beginn der Frist sei nach § 77 Abs. StGB die Kenntnis von der Tat und der Person des Täters erforderlich. Gäbe es lediglich Hinweise auf eine Straftat, laufe die Antragsfrist nicht. Außerdem könne es dem Arbeitnehmer im Einzelfall zumutbar sein, auch innerhalb einer vermeintlich bereits laufenden Antragsfrist zunächst zu versuchen, die Berechtigung eines Vorwurfs anderweitig zu klären.

Bewertung der Entscheidung:
Der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes ist uneingeschränkt zuzustimmen.

Die Arbeitnehmerin hat mit der Stellung des Strafantrages ihre Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen ihrer Arbeitgeberin gem. 241 Abs. 2 BGB erheblich verletzt. Sie hat ihren Strafantrag zwar wegen einer Straftat nach § 44 Abs. 1 BDSG gestellt und in diesem Zusammenhang keine falschen Angaben gemacht. Jedoch setzt eine solche Straftat zusätzlich zu einem vorsätzlichen Verstoß gegen gesetzliche Datenschutzbestimmungen auch voraus, dass die Handlung gegen Entgelt oder in der Absicht begangen wurde, sich oder einen anderen zu bereichern oder einen anderen zu schädigen. Für das Vorliegen dieser Voraussetzungen gab es zwar weder nach dem von der Arbeitnehmerin der Staatsanwaltschaft unterbreiteten noch nachdem in dem Arbeitsrechtsstreit vorgetragenen Sachverhalt irgendeinen Anhaltspunkt. Daneben wäre es der Arbeitnehmerin auch zumutbar gewesen, zunächst eine weitere innerbetriebliche Klärung der vermeintlichen Rechtswidrigkeiten der Evaluation z.B. durch die Befassung der Fachbereichsleitung vorgesetzten Mitarbeiter, des Referats für Datenschutz und/oder des Justiziariats einschließlich des Datenschutzbeauftragten herbeizuführen. Die Arbeitnehmerin konnte es auch nicht entlasten, den Strafantrag gegen „unbekannt“ gerichtet zu haben, denn aus ihren im Strafantrag angeführten Angaben, insbesondere durch die Bezugnahme auf ganz bestimmte Handlungen konkret benannter Mitarbeiter der Arbeitgeberin hat die Klägerin einen klar erkennbaren Zusammenhang des Strafantrags mit Repräsentanten ihrer Arbeitgeberin hergestellt.

Insbesondere hat es die Klägerin entgegen der ihr durch § 276 Abs. 2 BGB gebotene Sorgfalt unterlassen, die den mit der Evaluation befassten Personen unterstellte Schädigungsabsicht im Sinne des § 44 Abs. 1 BDSG kritisch zu hinterfragen. Sie hat ohne weiteres auf einem ihrer Ansicht nach rechtwidrigen Vorgehen auf eine Schädigungsabsicht geschlossen. Dass dieser Schluss nicht richtig sein konnte, war für die Klägerin als Volljuristin auch erkennbar.

Einem Verschulden stand auch nicht entgegen, das sich die Klägerin bei Stellung des Strafantrages anwaltlich vertreten ließ. Sie hatte nämlich in dem Rechtsstreit weder behauptet, dass Gegenstand der anwaltlichen Beratung die ihr als Arbeitnehmerin obliegenden Pflichten zur Rücksichtnahme auf die Interessen der beklagten Arbeitgeberin gewesen sein, noch hatte sie in dem Rechtsstreit dargelegt, welcher rechtlicher Auskunft sie über die Voraussetzungen einer Strafbarkeit nach § 44 Abs. 1 BDSG erhalten habe.

Zu Recht ist das BAG davon ausgegangen, dass es hier auch nicht an einer vorausgegangenen Abmahnung fehlte, weil die Pflichtverletzung so schwer wog, dass selbst deren erstmalige Hinnahme durch die beklagte Arbeitgeberin erkennbar ausgeschlossen gewesen sei.

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