Auch Verstöße gegen arbeitsvertragliche Nebenpflichten können die Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen. Eine außerordentliche fristlose Kündigung gem. § 626 BGB kommt in der Regel in solchen Fällen aber erst in Betracht, wenn das Gewicht der Nebenpflichtverletzung durch besondere Umstände erheblich verstärkt wird. Solche besonderen Umstände können auch darin liegen, dass der Arbeitnehmer seine Nebenpflichten beharrlich verletzt oder er auf andere Weise deutlich gemacht hat, er werde die berechtigten Interessen des Arbeitgebers auch zukünftig nicht wahren.
BAG, Urteil vom 26.03.2015 – 2 AZR 517/14 -.
Sachverhalt (vereinfacht):
Zwischen den Arbeitsvertragsparteien herrschten seit längerer Zeit Spannungen, die sich u.a. auch in diversen Rechtstreitigkeiten entluden. Der Kläger war mit einem im Dezember 2000 liegenden Beschäftigungsbeginn bei dem beklagten IT-Unternehmen als Diplom-Ingenieur tätig. Nachdem der Kläger bereits seit längerer Zeit aufgrund diverser Rechtsstreitigkeiten nicht mehr gearbeitet hatte, versetzte ihn die Beklagte Anfang 2011 in eine andere Betriebsstätte und übertrug ihm die Arbeitsaufgabe, für sie ein Handbuch zu erstellen. Daraufhin erkrankte der Kläger und die Beklagte bewilligte ihm im Anschluss an seine Wiedergenesung bis Mitte Mai 2011 Erholungsurlaub. Seine am 26.04.2011 an die Beklagte gerichtete Bitte, ihn im Anschluss an seinen Erholungsurlaub von der Erbringung der Arbeitsleistung bis Anfang August 2011 freizustellen, lehnte die Beklagte mit der Begründung, dass er gegen seine Versetzung geklagte habe ab und forderte ihn auf, am 26.05.2011 am zugewiesenen Arbeitsplatz zu erscheinen. Am 28.04.2011 wurde der Kläger während einer ihn betreffenden Gerichtsverhandlung im Gerichtssaal verhaftet. Bei dieser Gerichtsverhandlung war eine Rechtsanwältin der Beklagten zugegen, die das Verfahren für die Beklagte beobachtete. Grund für die Verhaftung war ein Haftbefehl wegen des Verdachts der Erstellung falscher Lohnsteuerbescheinigungen und der unrechtmäßigen Vereinnahmung von Lohnsteuererstattungen durch den Kläger. Der Kläger wurde noch in der Gerichtsverhandlung in Untersuchungshaft genommen und in eine Justizvollzugsanstalt gebracht. Kontakt zur Beklagten nahm er in der Folgezeit nicht auf, obwohl er bis zu seiner Verurteilung am 08.11.2011 inhaftiert blieb. Die Beklagte hatte bereits am 30.05.2011 beim Integrationsamt die Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des mit dem Kläger bestehenden Arbeitsverhältnisses beantragt. Diese wurde der Beklagten für die beabsichtigte außerordentliche Kündigung mit Bescheid vom 10.06.2011 unter dem „Vorbehalt“ erteilt, dass im arbeitsgerichtlichen Verfahren die wirksame Versetzung des Klägers in die neue Betriebsstätte und somit die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Integrationsamtes gegeben sei. Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben am 20.06.2011 außerordentlich fristlos, dass dem Kläger in der JVA auch tatsächlich am 20.06.2011 zuging. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 11.07.2011 erneut außerordentlich fristlos, mit Schreiben vom 28.07.2011 zudem hilfsweise ordentlich zum „nächstzulässigen Termin“, den die Beklagte mit dem 29.02.2012 angab. Diesen Kündigungen hatte das Integrationsamt zuvor vorbehaltslos zugestimmt. Gegen all diese Kündigungen wehrte sich der Kläger mit jeweils fristgerecht beim Arbeitsgericht eingehender Klage mit der Begründung, dass für die außerordentliche Kündigung mit Schreiben vom 16.06.2011 ein wichtiger Grund i.S.v. § 626 BGB nicht vorgelegen habe und es darüber hinaus an einer ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrates und darüber hinaus an einer wirksamen Zustimmung des Integrationsamtes für die mit Schreiben vom 16.06.2011 fristlose Kündigung fehle. Die im Juli 2011 ausgesprochenen Kündigungen seien ihm darüber hinaus nicht zugegangen.
Entscheidung des BAG:
Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage des Klägers umfassend stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Auf die vom Kläger eingelegte Revision wurde die Entscheidung des LAG aufgehoben und der Rechtsstreit an das LAG zurückverwiesen.
Das Bundesarbeitsgericht hat es zunächst dahinstehen lassen, ob die außerordentliche fristlose Kündigung mit Schreiben vom 16.06.2011 schon wegen fehlerhafter Anhörung des Betriebsrates unwirksam war. Es hat auch dahinstehen lassen, ob diese außerordentliche fristlose Kündigung mit wirksamer Zustimmung des Integrationsamtes erfolgt ist, insbesondere ob und ggf. welche Rechtsfolgen mit dem „Vorbehalt“ in diesem Zustimmungsbescheid verbunden waren.
Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts war die außerordentliche fristlose Kündigung mit Schreiben vom 16.06.2011 schon deshalb unwirksam, weil es dafür an einem wichtigen Grund fehle.
Gemäß § 626 Abs. 1 BGB könne das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorlägen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und bei Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden könne. Dafür sei zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, d.h. „typischerweise“ als wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB geeignet sei.
Die Umstände, anhand derer zu beurteilen sei, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar sei oder nicht, ließen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen seien aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkung einer Vertragspflichtverletzung – etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlustes und ihre wirtschaftlichen Folgen – der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung komme nur in Betracht, wenn dem Arbeitgeber angesichts der Gesamtumstände sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar seien. Eine außerordentliche Kündigung sei deshalb immer unwirksam, wenn schon eine ordentliche Kündigung geeignet gewesen sei, das Risiko künftiger Störungen zu vermeiden.
Der durch die Untersuchungshaft des Klägers bedingte Arbeitsausfall stelle keine Verletzung einer geschuldeten Hauptleistungspflicht dar. An deren Erfüllung sei der Kläger aufgrund der Inhaftierung objektiv gehindert gewesen. Eine schuldhafte Verletzung der Hauptleistungspflicht und damit ein Kündigungsgrund „an sich“ liege damit aufgrund allein dieses haftbedingten Arbeitsausfalles noch nicht vor.
Anhaltspunkte dafür, dass ein „an sich“ geeigneter „fristloser Kündigungsgrund“ etwa deshalb vorliege, weil Art und Ausmaß der betrieblichen Auswirkungen der haftbedingten Arbeitsunfähigkeit eine personenbedingte Kündigung rechtfertigen (für die Untersuchungshaft: BAG, Urteil vom 23.05.2013 – 2 AZR 120/12; für die Straftat: BAG, Urteil vom 24.03.2011 – 2 AZR 790/09 -) seien weder vorgetragen noch erkennbar. Es seien vorliegend darüber hinaus aber auch keine Anhalts-punkte dafür erkennbar, dass der durch die Untersuchungshaft bedingte Arbeitsausfall es dem Arbeitgeber i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB unzumutbar gemacht habe, das Arbeitsverhältnis auch nur bis zum Zeitpunkt einer ordentlichen Kündigung fortzusetzen. Dafür habe die Beklagte nichts vorgetragen.
Wenn ein Arbeitnehmer in Untersuchungshaft genommen werde, sei dieser zwar generell gem. § 241 Abs. 2 BGB gehalten, dem Arbeitgeber diesen Umstand unverzüglich anzuzeigen und ihn – im Rahmen des Möglichen – über die voraussichtliche Haftdauer in Kenntnis zu setzen. Aus diesem berechtigten Planungsinteresse des Arbeitgebers könne sich zudem auch die Pflicht des Arbeitnehmers ergeben, über anstehende Haftprüfungstermine seinem Arbeitgeber Auskunft zu erteilen. Denn die in § 241 Abs. 2 BGB geregelte Nebenpflicht des Arbeitnehmers bestehe grundsätzlich darin, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen. Diese Pflicht diene letztlich dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks. Aus ihr leite sich die allgemeine Pflicht des Arbeitnehmers ab, den Arbeitgeber im Rahmen des Zumutbaren unaufgefordert und rechtzeitig über Umstände zu informieren, die einer Erfüllung der Arbeitspflicht entgegenstehen.
Ein Verstoß gegen solche Nebenpflichten allerdings nicht ohne weiteres geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Diese komme regelmäßig erst dann in Betracht, wenn das Gewicht der Pflichtverletzung durch besondere Umstände erheblich verstärkt würden, etwa wenn der Arbeitnehmer seine Pflichten beharrlich verletze oder sein Verhalten anderweitig deutlich mache, dass er auch in Zukunft nicht bereit sei, ihnen nachzukommen.
Hier habe die Beklagte solche besonderen Umstände, die das Gewicht der Nebenpflichtverletzung erheblich verstärken, nicht vorgetragen.
Zwar habe der Kläger hier seine vertraglichen Nebenpflichten schon dadurch verletzt, dass er es im Kündigungszeitpunkt schon über Wochen unterlassen habe, die Beklagte über seine Arbeitsverhinderung und deren Ursachen zu unterrichten. Diese Unterrichtungspflicht sei auch nicht deshalb entbehrlich gewesen, weil zwischen den Parteien Streit über die Wirksamkeit der Versetzung des Klägers in eine andere Betriebsstätte bestanden habe. Die Unterrichtungspflicht bestehe auch dann, wenn die Versetzung nicht vom Direktionsrecht der Beklagten gedeckt gewesen sein sollte. Die Mitteilungspflicht des Klägers sei auch nicht deshalb entfallen, weil der Beklagten seine Verhaftung als solche bekannt war, denn nach den Feststellungen des LAG hatte die Beklagte hier keine Kenntnis von dem Grund der Festnahme. Insbesondere war ihr hier nicht positiv bekannt, dass der Kläger in Untersuchungshaft genommen war.
Allerdings sei dem LAG nicht darin zu folgen, dass die Verletzung der nebenvertraglichen Unterrichtungspflicht durch den Kläger hier besonders schwerwiegend gewesen sei, sodass dies die mit Schreiben vom 16.06.2011 ausgesprochen außerordentliche fristlose Kündigung rechtfertigen könne. Zwar sei die Pflichtwidrigkeit für den Kläger erkennbar gewesen, es stehe aber nicht fest, ob dies vorsätzlich und beharrlich geschehen sei oder auf Nachlässigkeit beruhe.
Bei diesen Ausführungen nimmt das Bundesarbeitsgericht Bezug auf eine frühere Entscheidung vom 17.06.1992 – 2 AZR 568/91 -, juris. In dieser Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes vom 17.06.1999 wird ausgeführt, dass für die Annahme eines wichtigen Grundes i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB eine beharrliche und hartnäckige Pflichtverletzung erforderlich sei. Eine beharrliche Verletzung der Pflichten setze in der Person des Arbeitnehmers eine Nachhaltigkeit im Willen voraus. Der Arbeitnehmer müsse diese obliegende Pflicht bewusst und nachhaltig nicht leisten wollen, wobei Beharrlichkeit allerdings nicht notwendigerweise wiederholte Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers voraussetze. Auch eine einmalige Pflichtverletzung könne das Merkmal der Beharrlichkeit erfüllen, wenn daraus der nachhaltige Wille des Arbeitnehmers erkennbar wäre, seinen Pflichten nicht nachkommen zu wollen.
Da sich aus dem Parteivortrag zu diesem rechtlichen Gesichtspunkt nichts Wesentliches ergab, ist das Bundesarbeitsgericht im Ausgangsfall auf diesen rechtlichen Gesichtspunkt im weiteren Verlauf seiner Entscheidungsgründe nicht weiter eingegangen. Es hat vielmehr die mit Schreiben vom 16.06.2011 ausgesprochene Kündigung insgesamt als rechtsunwirksam angesehen und den Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen und ihm dabei aufgegeben, zu prüfen, ob das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung vom 11.07.2011 bzw. durch die weiter mit Schreiben vom 28.07.2011 ausgesprochenen ordentlichen Kündigungen beendet worden ist.
Bewertung der Entscheidung:
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zeigt, wie akribisch ein betroffener Arbeitgeber recherchieren und vortragen muss, damit eine Kündigung wegen Verletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten erfolgreich ist. Das Bundesarbeitsgericht deutet an, dass selbst ein einmaliger Verstoß gegen arbeitsvertragliche Nebenpflichten die Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen kann. Im Fall der Inhaftierung eines Mitarbeiters ist es u.E. deshalb immer sinnvoll, von Anfang an fachanwaltliche Unterstützung bei Vorbereitung, Vollzug und nachträglicher Rechtfertigung einer solchen Kündigung wegen der Verletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten hinzuzuziehen