Der 10. Senat des Bundesarbeitsgerichtes hat nach Anhörung beim 5. Senat nunmehr endgültig entschieden, dass ein Arbeitnehmer nach § 106 S. 1 GewO, § 315 BGB nicht – auch nicht vorläufig – an eine Weisung des Arbeitgebers, die die Grenzen billigen Ermessens nicht wahrt (unbillige Weisung) gebunden ist,
– BAG, Urteil vom 18.10.2017 – 10 AZR 130/16 –.
Sachverhalt:
Unter dem 24.04.2013 sprach die beklagte Arbeitgeberin eine außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung des mit der Klägerin seit dem Jahre 2001 bestehenden Arbeitsverhältnisses wegen „Arbeitszeitbetrugs“ aus. Die hiergegen gerichtete Kündigungsschutzklage der Klägerin war in erster Instanz erfolgreich. Aufgrund der erstinstanzlichen Entscheidung wurde die Klägerin dann zunächst im Rahmen eines Prozessarbeitsverhältnisses bei der Beklagten weiter beschäftigt. Diese Weiterbeschäftigung der Klägerin führte dazu, dass sich eine Mitarbeiterin aus dem Team der Klägerin an den Betriebsratsvorsitzenden wandte und dem Betriebsrat dabei darauf hinwies, dass ihr Team eine Zusammenarbeit mit der Klägerin in der Zukunft ablehne. Die Klägerin wurde in diesem Zusammenhang von ihren Arbeitskolleginnen als unkollegial und unkooperativ beschrieben; sie habe teamübergreifende Aufgaben ignoriert und fehlerhaft ausgeführt und die Regelung zur Vertrauensgleitzeit stark missbraucht. Nachdem die Kündigungsschutzklage der Klägerin auch in zweiter Instanz erfolgreich war, teilte die Beklagte der Klägerin in einer Email mit, sie werde ab dem 01.11.2014 zunächst für sechs Monate in ihrem „Archiv-Projekt“ am Standort der Beklagten in Berlin eingesetzt. Außerdem erinnerte die Beklagte die Klägerin an die bereits erörterte Alternative, das Arbeitsverhältnis einvernehmlich aufzulösen. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin erhob Einwände gegen die Versetzungsankündigung und wies unter anderem auf die Verurteilung zur Weiterbeschäftigung hin. Die Beklagte erklärte daraufhin, sie schiebe die Versetzung für die Dauer des Prozessarbeitsverhältnisses auf. In weiteren Gesprächen konnten einvernehmliche Lösungen zwischen den Arbeitsvertragsparteien nicht erzielt werden.
Mit Schreiben vom 23.02.2015 teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie werde befristet für die Zeit vom 16.03.2015 bis zum 30.09.2015 am Standort der Beklagten in Berlin eingesetzt. Die Beklagte hörte dann den Betriebsrat zur Versetzung der Klägerin an. Dieser verweigerte seine Zustimmung zur Versetzung nach § 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG unter Hinweis auf Beschäftigungsmöglichkeiten in einem anderen Team der Beklagten in Dortmund. Ein daraufhin eingeleitetes Zustimmungsersetzungsverfahren wurde zwischenzeitlich für erledigt erklärt. Unter dem 31.03.2015 wurde dem Betriebsrat die vorläufige Umsetzung der Versetzungsmaßnahme gem. § 100 BetrVG angezeigt, die Klägerin wurde entsprechend unterrichtet. Der Betriebsrat gab zu der vorläufigen Maßnahme keine Stellungnahme ab.
Die Klägerin nahm die ihr in der Versetzungsanordnung vom 23.02.2015 durch die Beklagte zugewiesene Arbeit am Standort Berlin nicht auf, worauf sie von der Beklagten mit Schreiben vom 26.03.2015 wegen unerlaubten Fernbleibens von der Arbeit abgemahnt wurde. Sie wies daraufhin die Abmahnung mit anwaltlichem Schreiben vom 01.04.2015 zurück. Unter dem 22.04.2015 erging eine zweite Abmahnung.
Mit Schreiben vom 28.05.2015, zugegangen am selben Tag, sprach die Beklagte die fristlose, hilfsweise fristgemäße Kündigung zum 31.12.2015 wegen unerlaubtem Fernbleibens von der Arbeit aus. Das Arbeitsgericht hat der gegen diese Kündigung gerichteten Kündigungsschutzklage stattgegeben.
Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Die zugelassene Revision ist beim 2. Senat des BAG anhängig.
Da die Beklagte die Klägerin bei der Sozialversicherung abgemeldet und ab April 2015 wegen des aus ihrer Sicht unerlaubten Fernbleibens von der Arbeit keine Gehaltszahlungen mehr vorgenommen hatte, erhielt die Klägerin ab dem 21.04.2015 Zahlungen der Bundesagentur für Arbeit. Parallel dazu war die Klägerin von der Beklagten wegen unerlaubtem Fernbleibens von der Arbeit mit Schreiben vom 15.04.2015 unter Fristsetzung zur Rückzahlung der für die Zeit vom 16.03.2015 bis 31.03.2015 geleisteten Vergütung in Höhe von 1.113,66 € aufgefordert worden. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Weisung vom 23.02.2015 sei unwirksam und sie habe sie nicht befolgen müssen. Deshalb seien auch die Abmahnungen unwirksam. Maßgeblich hinsichtlich des Arbeitsortes sei ausschließlich die arbeitsvertragliche Vereinbarung, die als Arbeitsort Dortmund vorsehe.
Die Klägerin hat unabhängig von der zur Zeit noch beim 2. Senat des BAG anhängigen Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht Dortmund u.a. Klage auf Feststellung erhoben, das sie nicht verpflichtet war, in der Zeit vom 16.03.2015 – 30.09.2015 ihre Arbeitsleistung gemäß Weisung der Beklagten vom 23.02.2015 am Standort der Beklagten in Berlin zu erbringen und darüber hinaus, die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnungen vom 26.03. und 22.04.2015 aus der Personalakte zu entfernen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Verweisungsanordnung vom 23.02.2015 sie rechtmäßig. Die Angabe des Arbeitsortes im Arbeitsvertrag sei rein deklaratorisch. Die Versetzungsklage entspräche inhaltlich § 106 GewO und halte einer Inhalts- und Transparenzkontrolle stand. Die Weisung vom 23.02.2015 entspräche billigem Ermessen.
Das ArbG Dortmund hat der Klage stattgegeben. Das LAG Hamm hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision begehrt die Beklagte beim 10. Senat des BAG eine vollständige Klageabweisung. Soweit die Vorinstanzen auch über Annahmeverzugsansprüche der Klägerin und über eine Widerklage der Beklagten auf Rückzahlung von Vergütung entschieden haben, hat der 10. Senat diesen Teil des Rechtsstreits im Hinblick auf die Vorgreiflichkeit des beim 2. Senats anhängigen Verfahrens abgetrennt und ausgesetzt. Allerdings hat der 10. Senat die Abmahnung vom 26.03.2015 und vom 22.04.2015 für unwirksam gehalten, weil die Klägerin der Verweisungsanordnung der Beklagten vom 23.02.2015 nicht habe nachkommen müssen. Die Weisung der Beklagten habe nämlich billigem Ermessen im Sinne von § 106 GewO, § 315 BGB nicht entsprochen. Deshalb sei die Klägerin auch nicht verpflichtet gewesen, dieser Weisung nachzukommen. Ein unerlaubtes Fernbleiben von der Arbeit liege daher nicht vor.
Bewertung der Entscheidung:
Der Entscheidung des BAG ist sowohl im Ergebnis, als auch in der sehr ausführlich und sorgfältig gearbeiteten Begründung zuzustimmen. Überzeugend arbeitet der 10. Senat heraus, dass den Regelungen § 106 S. 1 GewO, § 315 BGB keine – auch keine vorläufige – Bindung des Arbeitnehmers an unbillige Weisungen seines Arbeitgebers entnommen werden kann. Der 10. Senat begründet dies ausführlich damit, daß die in § 315 Abs. 3 S. 2 BGB vorgesehene gerichtliche Ersatzleistungsbestimmung im Anwendungsbereich des § 106 GewO nicht zum Zuge kommt. Das Bundesarbeitsgericht stellt dabei unter anderem überzeugend auf den Gedanken ab, dass ein Arbeitgeber bereits seiner Mitwirkungshandlung im Sinne von §§ 295, 296 BGB nicht nachkommt, wenn er keine billigem Ermessen entsprechende Weisung vornimmt. Ein Arbeitgeber, der keine billigem Ermessen entsprechende Weisung vornimmt, ermöglicht dem Arbeitnehmer damit gleichzeitig nicht, dass dieser die vertragsgemäße Leistung erbringen kann. Vor diesem Hintergrund hat der Arbeitgeber folgerichtig auch die Konsequenzen dafür zu tragen, dass der Arbeitnehmer ohne ordnungsgemäße Leistungserbringung seinen Vergütungsanspruch behält.
Praxisfolgen:
Der Arbeitnehmer, der eine Weisung seines Arbeitgebers als unbillig ansieht und sie deshalb nicht befolgt, trägt in dieser Situation das Risiko, ob ein Arbeitsgericht seine Ansicht teilt. Ist dies nicht der Fall, kann der Arbeitgeber Sanktionen aussprechen und der Arbeitnehmer verliert seinen Vergütungsanspruch. Denjenigen, der eine unbillige Weisung erteilt, trifft mit dieser Rechtsprechung das Risiko der Unwirksamkeit dieser Weisung. Dieses Risiko kann er nicht auf den Vertragspartner abwälzen.