Zwillingsträchtigkeiten bei Pferden führen fast immer zu einem Abort oder der Frühgeburt von nicht überlebensfähigen Fohlen. Bei Züchtern wie Pferdebesitzern sind sie daher äußert unerwünscht. Doch wer haftet, wenn eine Zwillingsträchtigkeit übersehen wird und es infolge dessen zu den oben beschriebenen Folgen kommt? Stellt sich eine Zwillingsträchtigkeit als allgemeines Lebensrisiko dar, so dass im Zweifel der Pferdebesitzer auf seinen Kosten sitzenbleibt? Oder muss der Tierarzt, der die Zwillingsträchtigkeit nicht erkannt hat, für den dem Züchter entstandenen Schaden aufkommen?
Ein Tierarzt haftet immer dann für einen Schaden, wenn dieser Schaden ursächlich auf ein dem Tierarzt vorzuwerfendes Fehlverhalten, sogenannter Behandlungsfehler, zurückzuführen ist. Bezüglich dieses Fehlverhaltens muss dem Tierarzt mindestens Fahrlässigkeit vorzuwerfen sein. Was ein Fehlverhalten ist, bestimmt sich nach den dem Tierarzt obliegenden Pflichten. Diese sind jeweils im Rahmen des konkreten Behandlungsauftrages zu bestimmen. Dabei kommt insbesondere der Frage, ob der vorliegende Vertrag als Werk- oder aber als Dienstvertrag ausgestaltet ist, eine maßgebliche Rolle zu. Während der Tierarzt bei einem Werkvertrag einen konkreten Erfolg schuldet, ist er bei Vorliegen eines Dienstvertrages lediglich zur Erbringung der angebotenen Dienste verpflichtet.
Ein Werkvertrag wird von der Rechtsprechung immer dann angenommen, wenn es um eine erfolgsbezogene medizinische Einzelleistung wie beispielsweise eine Ankaufsuntersuchung geht. Schuldet der Tierarzt demgegenüber leidglich die Behandlung des Tieres, nicht aber auch den Erfolg dieser Behandlung, wird der Vertrag als Dienstvertrag eingestuft.
Bei einer Trächtigkeitsuntersuchung wird im Gegensatz zur Ankaufsuntersuchung nicht die Erstattung eines Gutachtens geschuldet, sondern die Untersuchung selbst. Erstere ist daher als Dienstvertrag einzustufen.
Um den Tierarzt für eine übersehene Zwillingsträchtigkeit in Anspruch nehmen zu können, stellt sich zunächst die Frage, ob der Ausschluss einer solchen zu den Pflichten einer Trächtigkeitsun-tersuchung gehört, so dass nur bei positivem Ausschluss einer Zwillingsträchtigkeit von einer pflichtgemäß durchgeführten Trächtigkeitsuntersuchung gesprochen werden kann. Hieraus kann aber nicht geschlossen werden, dass bei Übersehen der Zwillingsträchtigkeit der Tierarzt stets für den entstandenen Schaden haftet. Wie bereits oben geschildert, schuldet der Tierarzt im Rahmen einer Trächtigkeitsuntersuchung nicht einen Erfolg. Er hat die Untersuchung vielmehr „lege artis“ durchzuführen.
Das bedeutet konkret, dass der Tierarzt nicht ein richtiges Untersuchungsergebnis schuldet, sondern vielmehr, die konkrete Untersuchung nach dem tierärztlichen Standard durchzuführen. Hierzu hat das Oberlandesgericht Jena im Jahre 2008 ausgeführt: „Für die zu der lege artis durchgeführten Trächtigkeitsuntersuchung gehörende Ausschlussuntersuchung einer Zwillingsgravidität ist es notwendig, dass die gesamte Gebärmutter (beide Hörner und der Corpus uteri) mittels Ultraschall erfasst werden. Der Nachweis bzw. Ausschluss einer Zwillingsgravidität ist so lange sicher möglich, bis durch das Fortschreiten der Trächtigkeit der Uterus nicht mehr sonographisch erfasst werden kann (ca. Ende des 4. Trächtigkeitsmonats).“
Voraussetzung für eine Haftung des Tierarztes ist also, dass er zumindest die Möglichkeit gehabt hätte, die Zwillingsträchtigkeit zu erkennen und die notwendigen Schritte einzuleiten. Zu beachten ist auch, dass unter Umständen eine Zwillingsträchtigkeit auf dem Ultraschallbild gar nicht darstellbar ist. Das LG Mannheim (Urteil vom 24.11.2011 – 11 O 61/10) hat zur Trächtigkeitsuntersuchung allgemein ausgeführt: „Nach den Ausführungen im schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. …, an dessen Kompetenz das Gericht aufgrund der mündlichen Anhörung keinerlei Zweifel hegt, ist bei einer Trächtigkeitsuntersuchung immer damit zu rechnen, dass auch bei sorgfältigem Vorgehen eine Fehldiagnose nicht ausgeschlossen werden kann. Dies liege in den Unwägbarkeiten, die sich aus der fehlenden vollständigen Beherrschbarkeit des lebenden Organismus ergeben.“ Aus diesem Grunde verneinte das LG Mannheim einen Schadensersatzanspruch des Tierhalters. Höchstgerichtlich entschieden wurde diese Frage bislang noch nicht.
Eine Haftung des Tierarztes kann ferner in Betracht kommen, wenn der noch unerfahrene Züchter das Erfordernis der Ausschlussuntersuchung einer Zwillingsträchtigkeit nicht kennt und vom Tierarzt auf dieses Erfordernis nicht hingewiesen wird. Das Oberlandesgericht Celle hat im Jahre 2011 die Pflichten eines Tierarztes im Rahmen eines Besamungsvertrages konkretisiert: „Der auf die Besamung einer Pferdestute gerichtete tierärztliche Behandlungsvertrag umfasst per se die Pflicht des Tierarztes, auf das Erfordernis einer weiteren Untersuchung zur Feststellung des (Nicht-)Vorliegens einer Zwillingsträchtigkeit hinzuweisen, um damit einen gesunden, risikoarmen Verlauf der Trächtigkeit zu gewährleisten.“ Das bedeutet, dass der Tierarzt den Züchter bereits bei Besamung darauf hinzuweisen hat, dass eine weitere Untersuchung zwecks Ausschluss einer Zwillingsträchtigkeit erforderlich ist. Unterlässt er dies und wird aufgrund dessen eine Zwillingsträchtigkeit nicht rechtzeitig erkannt, haftet er.
Abschließend bleibt festzuhalten, dass es zunächst einmal Sache des Züchters ist, wenn seine Stute eine Zwillingsträchtigkeit vorweist. Er kann seinen Tierarzt dann für den ihm entstehenden Schaden verantwortlich machen, wenn dieser seine Pflichten aus dem Behandlungsvertrag verletzt. Die Pflichten des Tierarztes umfassen den Hinweis auf die Notwendigkeit einer Anschlussuntersuchung zwecks Ausschluss der Zwillingsgravidität, die lege artis durchgeführte Ultraschalluntersuchung der gesamten Gebärmutter zwecks Ausschluss der Zwillingsgravidität sowie unter Umständen die Reduktion auf einen überlebensfähigen Einling bzw. den Abbruch der Trächtigkeit.