I./2023 Newsletter Arbeitsrecht

Nach § 78a Abs. 2 S. 1 ArbGG ist die Anhörungsrüge innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben. Maßgeblich für den Fristbeginn ist die positive Kenntnis des Betroffenen von der Verletzung des rechtlichen Gehörs. Damit ist die Kenntnis der maßgeblichen Fakten, nicht die der rechtlichen Bewertung als Gehörverstoß gemeint. Der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen.

Auf den Zeitpunkt der persönlichen Kenntnisnahme des Klägers von einem zurückweisenden Senatsbeschluss kommt es nicht an. Maßgeblich ist vielmehr ausschließlich die Kenntnisnahme seines Prozessbevollmächtigten, die sich der Kläger zurechnen lassen muss

BAG, 12.01.2023 – 6 AZN 678/22 (F)- juris

Bestimmende Schriftsätze können vor wirksam im sog. E-Mail-to-Fax-Verfahren an das Gericht gemäß § 130 Nr. 6 ZPO übermittelt werden, selbst wenn die Unterschrift des Bevollmächtigten in der übermittelten PPF-Datei nur eingescannt ist.

BAG, 17.01.2023 – 3 AZR 158/22 – juris

Die Abstufung der Darlegungslast beim Streit über das Vorliegen einer neuen Erkrankung iSv. § 3 Abs. 1 S. 1 und S. 2 EFZG, wonach der Arbeitnehmer Tatsachen vorzutragen hat, die den Schluss erlauben, es habe keine Fortsetzungserkrankung bestanden, begegnet weder unions- noch verfassungsrechtlichen Bedenken. Dem steht nicht entgegen, dass der hiernach erforderliche Vortrag im Regelfall mit der Offenlegung der einzelnen zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankungen im maßgeblichen Zeitraum verbunden ist.

BAG, 18.01.2023 – 5 AZR 93/22 – juris

Geringfügig Beschäftigte, die in Bezug auf Umfang und Lage der Arbeitszeit keinen Weisungen des Arbeitgebers unterliegen, jedoch Wünsche anmelden können, denen dieser allerdings nicht nachkommen muss, dürfen bei gleicher Qualität für die identische Tätigkeit keine geringere Stundenvergütung erhalten als vollbeschäftigte Arbeitnehmer, die durch den Arbeitgeber verbindlich zur Arbeit eingeteilt werden.

BAG, 18.01.2023 – 5 AZR 108/22 (BAG-Pressemitteilung Nr. 3/23)

Gemäß § 165 S. 4 SGB IX ist die Einladung eines schwerbehinderten Menschen zu einem Vorstellungsgespräch entbehrlich, wenn die fachliche Eignung offensichtlich fehlt.

Der Senat lässt es weiterhin offen, ob der öffentliche Arbeitgeber auch dann von der Einladungspflicht entbunden ist, wenn der schwerbehinderte Bewerber zwar nicht offensichtlich fachlich ungeeignet ist, ihm jedoch die persönliche Eignung in dem Sinne fehlt, dass er nicht über die charakterlichen Eigenschaften verfügt, die für die ausgeschriebene Stelle von Bedeutung sind. Dies könne allerdings nur dann in Betracht kommen, wenn sich die Einladung als bloße Förmelei erweise, weil die Besetzung der Stelle mit dem schwerbehinderten Bewerber wegen dessen charakterlicher Mängel, die ein offensichtliches Einstellungshindernis darstellen, nicht infrage komme.

Das Entschädigungsverlangen eines erfolglosen Bewerbers nach § 15 Abs. 2 AGG kann dem durchgreifenden Rechtsmissbrauchseinwand (§ 242 BGB) ausgesetzt sein. Dieser greift dann ein, wenn sich die Person beworben hat, um den Status als Bewerber nur mit dem Ziel zu erlangen, Schadensersatz- und/oder Entschädigungsansprüche geltend zu machen.

BAG, 19.01.2023 – 8 AZR 437/21 – juris

Einer Gewerkschaft steht bei einer Verletzung ihrer Koalitionsfreiheit durch tarifwidrige Betriebsvereinbarungen ein Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 9 Abs. 3 GG zu.

Mit Beendigung der Tarifgebundenheit entfällt die Beeinträchtigung der Koalitionsfreiheit als Voraussetzung eines negatorischen Unterlassungsanspruchs, der auf die Abwehr zukünftiger Störungen gerichtet ist.

Nach § 77 Abs. 3 BetrVG können Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Das gilt nach § 77 Abs. 3 S. 2 BetrVG jedoch unter anderem dann nicht, wenn ein Tarifvertrag den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zulässt.

Die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 S. 1 BetrVG greift indes nicht, soweit es um Angelegenheiten geht, die nach § 87 Abs. 1 BetrVG der erzwingbaren Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegen. Ein solches Mitbestimmungsrecht setzt allerdings nach § 87 Abs. 1 Eingangshalbs.  BetrVG voraus, dass insoweit keine zwingende tarifliche Regelung besteht, an die der Arbeitgeber gebunden ist. § 77 Abs. 3 S. 1 BetrVG führt daher auch im Anwendungsbereich des §§ 87 Abs. 1 BetrVG dann zur – vollständigen oder partiellen – Unwirksamkeit einer betrieblichen Regelung, wenn dieser eine zwingende tarifliche Regelung entgegensteht.

Jede tarifliche Regelung, an die der Arbeitgeber gebunden ist, verdrängt das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats insgesamt auch hinsichtlich anderweitiger oder nichttarifgebundenen Arbeitnehmern und nicht nur für solche, die an den die Sperrwirkung auslösenden Tarifvertrag gebunden sind. Das gilt auch für tarifplurale Betriebe

BAG, 25.01.2023 – 4 ABR 4/22 – juris

Durch betriebliche Übung begründete Vertragsbedingungen stellen Allgemeine Geschäftsbedingungen iSv  §§ 305 ff. BGB dar, deren Auslegung durch das Berufungsgericht der vollen revisionsrechtlichen Nachprüfung unterliegt.

Lässt die Auslegung einer durch betriebliche Übung begründeten Vertragsbedingung – hier Zahlung eines Weihnachtsgeldes – unter Berücksichtigung aller wesentlichen Umstände mehrere Ergebnisse zu, ohne dass ein Auslegungsergebnis den klaren Vorzug verdient, besteht ein nicht behebbarer Zweifel iSv. § 305c Abs. 2 BGB. Der Arbeitgeber muss in diesem Fall die ihm ungünstige und für den Arbeitnehmer als Vertragspartner der günstigste Auslegungsmöglichkeit gegen sich gelten lassen. Das ist diejenige, die der Klage zum Erfolg verhilft.

Die Bezeichnung einer Leistung als „Weihnachtsgeld“ lässt neben einer möglichen Auslegung als arbeitsleistungsbezogene Sonderzuwendung auch die Deutung zu, dass der Arbeitgeber sich mit der Zahlung anlassbezogen an den zum Weihnachtsfest typischerweise erhöhten Aufwendungen der Arbeitnehmer beteiligen will. Im letzteren Fall hängt die Leistung regelmäßig nicht von der Erbringung einer bestimmten Arbeitsleistung ab.

Der Arbeitgeber ist nicht berechtigt, eine Sonderzahlung, welche nicht ausschließlich der Vergütung erbrachter Arbeitsleistung dient, aufgrund fortdauernder Arbeitsunfähigkeit nach Ablauf des Entgeltfortzahlungszeitraums einseitig zu kürzen. Vielmehr setzt eine Kürzung das Vorliegen einer individualrechtlichen oder kollektivrechtlichen Vereinbarung iSv. § 4a EntgFG voraus.

BAG, 25.01.2023 – 10 AZR 116/22 – juris

Bei Zahlung einer über das arbeitsvertraglich vereinbarte Gehalt hinausgehenden Vergütung ist durch Auslegung nach §§ 133, 157 BGB zu ermitteln, ob sich der Arbeitgeber nur zu der konkreten Leistung (beispielsweise Gratifikation im Kalenderjahr) oder darüber hinaus im Sinne einer betrieblichen Übung auch für die Zukunft verpflichtet hat. Für jährlich an die gesamte Belegschaft geleistete Gratifikationen ist insoweit die Regel aufgestellt worden, nach der eine zumindest dreimalige vorbehaltslose Gewährung zur Verbindlichkeit erstarkt, falls nicht besondere Umstände hiergegen sprechen oder der Arbeitgeber bei der Zahlung einen Bindungswillen für die Zukunft ausgeschlossen hat.

Ein auf Sonderzuwendungen beschränkter Freiwilligkeitsvorbehalt, der so ausgelegt werden kann, dass er auch spätere Individualabreden über die Zahlung beispielsweise von Urlaubs- und Weihnachtsgeld erfasst, benachteiligt den Arbeitnehmer unangemessen iSv. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB und ist deshalb unwirksam.

Ist die Höhe einer Sonderzahlung nach billigem Ermessen zu bestimmen, trägt die bestimmungsberechtigte Arbeitgeberin die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass sie bei der Leistungsbestimmung die Grenzen des ihr nach § 315 Abs. 1 BGB zustehenden Entscheidungsspielraums eingehalten hat. Reicht ihr diesbezüglicher Vortrag nicht aus, fehlt es an einer Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen (§ 315 Abs. 3 S. 1 BGB). In diesem Fall ist eine Ersatzleistungsbestimmung durch das Gericht auf der Grundlage des Vortrags der Parteien zu treffen (§ 315 Abs. 3 S. 2 BGB). Der den Tatsachengerichten dabei zustehende Beurteilungsspielraum kann vom Revisionsgericht nur eingeschränkt überprüft werden.

Nach § 108 Abs. 1 GewO ist dem Arbeitnehmer „bei Zahlung des Arbeitsentgelts“ eine Abrechnung in Textform zu erteilen. Wie bereits aus dem Wortlaut der Norm folgt, ist die Abrechnung erst bei tatsächlicher Zahlung des Entgelts zu erteilen. Die Abrechnung bezweckt die Information über die erfolgte Zahlung. Die Regelung dient der Transparenz. Der Arbeitnehmer soll erkennen können, warum er gerade den ausgezahlten Betrag erhält. Dagegen regelt § 108 GewO keinen selbstständigen Abrechnungsanspruch auf Vorbereitung eines Zahlungsanspruchs.

Wird der Abrechnungsanspruch zugleich mit dem Zahlungsanspruch bzw. in Abhängigkeit von diesem geltend gemacht, handelt es sich um eine Klage auf eine künftige Leistung. Ein auf die Vornahme einer künftigen Handlung gerichteter Antrag ist nach § 259 ZPO nur zulässig, wenn den Umständen nach die Besorgnis gerechtfertigt ist, der Schuldner werde sich der rechtzeitigen Leistung entziehen. § 259 ZPO ermöglicht aber nicht die Verfolgung eines erst in der Zukunft entstehenden Anspruchs. Es setzt vielmehr voraus, dass der geltend gemachte Anspruch bereits entstanden ist.

BAG, 25.01.2023 – 10 AZR 109/22 – juris

Der Antragsgrundsatz nach § 308 Abs. 1 S. 1 ZPO ist nicht nur dann verletzt, wenn einer Partei etwas zugesprochen wird, ohne dass sie dies beantragt hat, sondern auch dann, wenn ihr ein Anspruch aberkannt wird, den sie nicht zur Entscheidung gestellt hat.

Ob ein Arbeitsvertrag abweichende günstigere Regelungen gegenüber dem Tarifvertrag enthält, ergibt sich aus einem Vergleich zwischen der tarifvertraglichen und der arbeitsvertraglichen Regelung. Bei diesem sog. Günstigkeitsvergleich sind die durch Auslegung zu ermittelnden Teilkomplexe der unterschiedlichen Regelungen gegenüberzustellen, die in einem inneren Zusammenhang stehen, sog. Sachgruppenvergleich.

Verpflegungskostenzuschüsse sind regelmäßig Aufwendungsersatzleistungen und stellen kein Arbeitsentgelt dar. Ein Aufwendungsersatz wird nicht als Gegenleistung für geleistete Arbeit, sondern im Hinblick auf besondere Aufwendungen oder Auslagen gewährt, die dem Arbeitnehmer im Rahmen der Erbringung seiner Tätigkeit entstanden sind.

Gegenstand kollektiver Regelungen durch tarifvertragliche Inhaltsnormen ist die Festsetzung allgemeiner Mindestarbeitsbedingungen. Die Rechtsnormen eines Tarifvertrages haben dabei keine den Inhalt des Arbeitsverhältnisses gestaltende Wirkung. Deren unmittelbare und zwingende Wirkung hat lediglich zur Folge, dass eine ungünstigere Einzelvereinbarung keine Geltung entfalten kann, weil sie von der tariflichen Regelung verdrängt wird.

BAG, 25.01.2023 – 4 AZR 171/22 – juris

Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs (§ 7 Abs. 4 BUrlG) unterliegt gemäß § 194 Abs. 1 BGB der Verjährung.

Die dreijährige Verjährungsfrist (§ 195 BGB) beginnt im Regelfall mit dem Schluss des Jahres, in dem das Arbeitsverhältnis rechtlich endet. Das gilt unabhängig davon, ob der Arbeitgeber zuvor seine Mitwirkungsobliegenheiten bei der tatsächlichen Gewährung von Urlaub im laufenden Arbeitsverhältnis genügt hat.

Endete das Arbeitsverhältnis vor der Verkündung der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 06.11.2018 (-C-684/16-[Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften]) und war es dem Arbeitnehmer im Hinblick auf die vormalige Rechtsprechung des Senats zum Verfall von Urlaubsansprüchen zuvor nicht zumutbar, Klage auf Abgeltung zu erheben, begann die Verjährungsfrist aufgrund des verfassungsrechtlichen Schutzes, den der Abgeltungsanspruch als dem Arbeitnehmer zugeordnete Eigentumsposition genießt (Art. 2 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG), nicht vor dem Ende des Jahres 2018.

BAG 31.01.2023 – 9 AZR 456/20 – juris

Bei einem richtlinienkonformen Verständnis des § 7 Abs. 1 S. 1 BUrlG und § 7 Abs. 3 BUrlG ist die Befristung des Urlaubsanspruchs nicht von der Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten abhängig, wenn es objektiv unmöglich gewesen wäre, den Arbeitnehmer durch Mitwirkung des Arbeitgebers in die Lage zu versetzen, den Urlaubsanspruch zu realisieren. War der Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres arbeitsunfähig, sind nicht Handlungen oder Unterlassungen des Arbeitgebers, sondern allein die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers für den Verfall des Urlaubs kausal.

BAG, 31.01.2023 – 9 AZR 85/22 – juris

Bei einer mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG konformen Auslegung von § 7 BUrlG bei Langzeiterkrankungen geltende 15-monatige Verfallfrist kann ausnahmsweise unabhängig von der Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten beginnen, wenn die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers so früh im Urlaubsjahr eintritt, dass es dem Arbeitgeber tatsächlich nicht möglich war, zuvor seinen Obliegenheiten nachzukommen.

BAG, 31.01.2023 – 9 AZR 107/20 – juris

Der gesetzliche Anspruch eines Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, nicht genommenen Urlaub nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses abzugelten, kann nach Maßgabe einer tarifvertraglichen Ausschlussfrist verfallen. Endete das Arbeitsverhältnis vor der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 06.11.2018 und oblag es dem Arbeitnehmer aufgrund der gegenläufigen Senatsrechtsprechung nicht, den Anspruch innerhalb der tarifvertraglichen Ausschlussfrist geltend zu machen, begann die Ausschlussfrist erst mit der Bekanntgabe des Urteils.

BAG, 31.01.2023 – 9 AZR 244/20 (BAG-Pressemitteilung Nr. 6/23)

Ein Text, der zur Erteilung einer „ordnungsgemäßen“ Abrechnung nach § 108 GewO verpflichtet, ist bestimmt genug und daher zur Zwangsvollstreckung geeignet

LAG Hamm, 08.02.2023 – 12 Ta 233/22 – juris

Nach § 15 Abs. 5 TzBfG gilt ein Arbeitsverhältnis als auf unbestimmte Zeit verlängert, wenn es nach Ablauf der Zeit, für das es eingegangen ist, mit Wissen des Arbeitgebers fortgesetzt wird und der Arbeitgeber nicht unverzüglich widerspricht. Die Fiktion eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses nach § 15 Abs. 5 TzBfG in der Fassung vom 21.12.2000 erfordert, dass der Arbeitnehmer die vertragsgemäßen Dienste nach Ablauf der Vertragslaufzeit tatsächlich ausführt.

Allein die einseitige Erfüllung von Leistungspflichten durch den Arbeitgeber nach Befristungsablauf ohne Entgegennahme der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers löst die in § 15 Abs. 5 TzBfG in der Fassung vom 21.12.2000 angeordnete Fiktion nicht aus. Insbesondere entsteht auf Grundlage von § 15 Abs. 5 TzBfG in der Fassung vom 21.12.2000 nicht dadurch ein unbefristetes Arbeitsverhältnis, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer für die Zeit nach Befristungsablauf Urlaub gewährt.

BAG, 09.02.2023 – 7 AZR 266/22 – juris

Die Dotierung eines – außerhalb eines Insolvenzverfahrens aufgestellten – Sozialplans ist für das Unternehmen regelmäßig nicht wirtschaftlich vertretbar, wenn die Erfüllung der sich aus ihm ergebenden Verbindlichkeiten zu einer Illiquidität, einer bilanziellen Überschuldung oder einer nicht mehr hinnehmbaren Schmälerung des Eigenkapitals führt. Aus den Vorgaben des §§ 123 InsO ergibt sich nichts Abweichendes

BAG, 14.02.2023 – 1 ABR 28/21 – juris

Eine Frau hat Anspruch auf gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit, wenn der Arbeitgeber männlichen Kollegen aufgrund des Geschlechts ein höheres Gehalt zahlt. Daran ändert nichts, wenn der männliche Kollege ein höheres Gehalt fordert und der Arbeitgeber dieser Forderung nachgeht. Zahlt der Arbeitgeber einer die gleiche Arbeit verrichtenden Arbeitnehmerin ein niedrigeres Grundentgelt als dem männlichen Kollegen, hat die Arbeitnehmerin deshalb einen Anspruch nach Art. 157 AEUV, § 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG. Der Umstand, dass die Arbeitnehmerin für die gleiche Arbeit ein niedrigeres Grundentgelt erhält als ihr männlicher Kollege, begründet die Vermutung nach § 22 AGG, dass die Benachteiligung aufgrund des Geschlechts erfolgt ist. Das führt nach § 15 Abs. 2 AGG zur Zahlung einer Entschädigung.

BAG, 16.02.2023 – 8 AZR 450/21 (BAG-Pressemitteilung Nr. 10/23)

Eine Regelung in einem Tarifvertrag, die für unregelmäßige Nachtarbeit einen höheren Zuschlag vorsieht als für regelmäßige Nachtarbeit, verstößt dann nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, wenn ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung gegeben ist, der aus dem Tarifvertrag erkennbar sein muss. Ein solcher kann darin liegen, dass mit dem höheren Zuschlag neben den spezifischen Belastungen durch die Nachtarbeit auch die Belastungen durch die geringere Planbarkeit eines Arbeitseinsatzes in unregelmäßiger Nachtarbeit ausgeglichen werden sollen.

BAG, 22.02.2023 – 10 AZR 333/20 (BAG-Pressemitteilung Nr. 11/23)

Die Tarifvertragsparteien können nicht nur für das Inkrafttreten von Tarifverträgen insgesamt eine aufschiebende Bedingung vereinbaren, sondern auch die Geltung einzelner Regelungen von einer solchen abhängig machen.

Unter einer Vertragsstrafe wird das Versprechen einer Zahlung (§ 339 BGB) oder einer anderen Leistung (§ 342 BGB) durch den Schuldner für den Fall verstanden, dass dieser eine Verbindlichkeit nicht oder nicht in gehöriger Weise, insbesondere nicht rechtzeitig erfüllt. Die Vertragsstrafe soll Ansprüche des Gläubigers durch Druck auf den Schuldner sichern und den Gläubiger vom Nachweis eines Schadens befreien. Maßgebend für die Abgrenzung, ob eine Vertragsstrafe vereinbart wurde, ist die primäre Zielrichtung der vertraglichen Abrede.

Eine Feststellungsklage muss nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs sowie einen bestimmten Antrag enthalten. Der Streitgegenstand und der Umfang der gerichtlichen Prüfungs- und Entscheidungsbefugnisse müssen klar umrissen sein, sodass die eigentliche Streitfrage mit Rechtskraftwirkung zwischen den Parteien entschieden werden kann.

Haben die Parteien, ebenso wie die Vorinstanzen, die Anforderungen an die Bestimmtheit des Klageantrages nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO erkennbar übersehen oder unzutreffend beurteilt, ist zur Wahrung des Anspruchs des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) und zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens die Sache insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurück zu verweisen.

BAG, 22.02.2023 – 4 AZR 68/22 – juris

Eine ernstliche Drohung des Arbeitnehmers mit Gefahren für Leib oder Leben u.a. von Vorgesetzten oder Arbeitskollegen und/oder deren Verwandten, für die kein allgemeiner Rechtfertigungsgrund eingreift, kommt „an sich“ iSv. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht.

Bei der Verwendung eines „Lügendetektors“ (polygrafische Untersuchung mittels Kontrollfragentests) handelt es sich – auch im arbeitsrechtlichen Verfahren – um ein völlig ungeeignetes Beweismittel.

Erfolgen die Falschangaben an den Betriebsrat zu den Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers lediglich versehentlich, fehlt es an einer bewusst unrichtigen oder irreführenden Unterrichtung über die Person des zu kündigenden Arbeitnehmers, die schon für sich genommen zur Unwirksamkeit der Kündigung führen könnte.

BAG, 28.02.2023 – 4 AZR 194/22 – juris

Ein dringendes „betriebliches“ Erfordernis, das einer Weiterbeschäftigung entgegenstehen, ist gegeben, wenn aufgrund der unternehmerischen Entscheidung ein Bedürfnis für die Beschäftigung des Arbeitnehmers im Betrieb entfallen ist. Der Arbeitgeber ist grundsätzlich nicht gehalten, nicht mehr benötigte Arbeitsplätze und Arbeitskräfte weiterhin zu besetzen bzw. zu beschäftigen.

Dabei kommt es de lege lata nicht darauf an, ob die dem Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses zugrundeliegende unternehmerische (Organisations-) Entscheidung ihrerseits – etwa aus wirtschaftlichen Gründen – „dringend“ war oder die Existenz des Unternehmens auch ohne sie nicht gefährdet gewesen wäre. Der Arbeitgeber ist – bis zur Grenze der Willkür – nicht gehindert, auch wirtschaftlich nicht zwingend notwendige Organisationsentscheidungen zu treffen.

Im Prozess hat der Arbeitnehmer die Umstände darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, aus denen sich ergeben soll, dass die beschlossene Organisationsmaßnahme offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist.

Zu der durch Art. 12, Art. 14 und Art. 2 Abs. 1 GG geschützten unternehmerischen Freiheit gehört u.a. das Recht festzulegen, ob bestimmte Arbeiten weiter im eigenen Betrieb ausgeführt oder an Drittunternehmen vergeben werden sollen. Dies gilt auch für die Aufgabenverlagerung zwischen Konzernunternehmen.

BAG 28.02.2023 – 2 AZR 227/22 – juris

Die Entscheidung des Arbeitgebers als solche, betriebliche Abläufe umzuorganisieren und Aufgaben an andere Beschäftigte zu übertragen, führt nicht per se dazu, dass die Beschäftigung eines bestimmten Arbeitnehmers unmöglich wird.

Im Verfahren nach § 888 ZPO kann der Einwand, eine konkrete Beschäftigungsmöglichkeit sei aufgrund einer unternehmerischen Organisationsentscheidung entfallen, nur Berücksichtigung finden, wenn dies unstreitig oder offenkundig ist.

BAG, 28.02.2023 – 8 AZB 17/22 – juris

Es bedarf vorliegend keiner Entscheidung, ob der allgemeine Feststellungsantrag des Klägers – was naheliegend ist – ohnehin nur als unechter Hilfsantrag anzusehen wäre, der nur für den Fall des Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag zur Einstellung anfallen sollte. In einem solchen Fall würde die Entscheidung des Arbeitsgerichts über den allgemeinen Feststellungsantrag angesichts der Abweisung der Kündigungsschutzklage gegen § 308 Abs. 1 S. 1 ZPO verstoßen.

Eine Verletzung des Antragsgrundsatzes liegt nicht nur dann vor, wenn einer Partei ohne ihren Antrag etwas zugesprochen wird, sondern auch, wenn ihr ein Anspruch aberkannt wird, den sie nicht zur Entscheidung gestellt hat. Dies führt dazu, dass das Berufungsgericht die Entscheidung des Arbeitsgerichts insoweit für gegenstandslos erklärt.

BAG, 28.02.2023 – 2 AZN 22/23 – juris

Der gerichtlich geltend gemachte Anspruch des Betriebsrats auf Freistellung von Kosten aus einer von ihm gibt getroffenen Honorarzusage für die anwaltliche Vertretung umfasst die gesetzlichen Anwaltsgebühren, soweit diese die Honorarvereinbarung nicht übersteigen. Es handelt sich insoweit nicht um verschiedene Verfahrensgegenstände.

Nach § 40 Abs. 1 BetrVG trägt der Arbeitgeber die durch die Tätigkeit des Betriebsrats entstehenden Kosten. Hierzu können Honorarkosten für einen Anwalt, dessen Heranziehung in einem Einigungsstellenverfahren der Betriebsrat in Wahrnehmung seiner betriebsverfassungsrechtlichen Rechte für erforderlich halten dürfte, gehören.

Der Freistellungsanspruch des Betriebsrats nach § 40 Abs. 1 BetrVG ist ein Befreiungsanspruch iSd. § 257 S. 1 BGB, der mit eingehender Verbindlichkeit entsteht, von der freizustellen ist.

  • 10 Abs. 1 S. 1 RVG tangiert nicht das Entstehen des anwaltlichen Vergütungsanspruchs, sondern betrifft die Frage, ob der Rechtsanwalt die Vergütung einfordern kann.

Der Freistellungsanspruch des Betriebsrats gegen den Arbeitgeber von Kosten nach § 40 Abs. 1 BetrVG verjährt nach § 195 BGB nach drei Jahren. Nach § 214 Abs. 1 BGB ist nur der Schuldner berechtigt, die Leistung wegen Verjährung zu verweigern. Es steht in seinem Ermessen, ob er hiervon Gebrauch macht.

Eine gegen das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit verstoßende Ausübung einer formalen Rechtsstellung durch den Betriebsrat kann wegen der Besonderheiten des durch die Wahrnehmung strukturell gegensätzlicher Interessen gekennzeichneten Rechtsverhältnisses der Betriebsparteien nur in besonders schwerwiegenden, eng begrenzten Ausnahmefällen angenommen werden.

Das Kostenschonungsinteresse des Arbeitgebers begründet keine grundsätzliche Verpflichtung des Betriebsrats, gegenüber der Forderung aufgrund einer von ihm eingegangenen Verbindlichkeit die Einrede der Verjährung zu erheben.

Für den Freistellungsanspruch des Betriebsrats von anwaltlichen Honorarkosten genügt es nicht, dass der Rechtsanwalt für den Betriebsrat tätig geworden ist. Vielmehr muss die Beauftragung des Anwalts auf einem ordnungsgemäßen Betriebsratsbeschluss beruhen

BAG, 08.03.2023 – 7 ABR 10/22 –

Stehen dem Arbeitnehmer im Kalenderjahr auf unterschiedlichen Anspruchsgrundlagen beruhende Ansprüche auf Erholungsurlaub zu, für die unterschiedliche Regelungen gelten, handelt es sich um selbstständige Urlaubsansprüche. Deshalb findet § 366 BGB Anwendung, wenn die Urlaubsgewährung durch den Arbeitgeber nicht zur Erfüllung sämtlicher Urlaubsansprüche ausreicht.

Nimmt der Arbeitgeber keine Tilgungsbestimmung i.S.v. § 366 Abs. 1 BGB vor, ist die in § 366 Abs. 2 BGB vorgegebene Tilgungsreihenfolge mit der Maßgabe heranzuziehen, das zuerst gesetzliche Urlaubsansprüche und erst dann den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigende Urlaubsansprüche erfüllt werden, um andernfalls eintretende systemwidrige und dem hypothetischen Parteiwillen widersprechende Ergebnisse zu vermeiden.

Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf den gesetzlichen Mindesturlaub, den er in einem Bezugszeitraum erworben hat, in dessen Verlauf er tatsächlich gearbeitet hat, bevor er aufgrund einer seitdem fortbestehenden Krankheit arbeitsunfähig geworden ist, kann bei einer richtlinienkonformen Auslegung des § 7 Abs. 1 und Abs. 3 BUrlG grundsätzlich nur dann nach eines Übertragungszeitraums von 15 Monaten erlöschen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer durch Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten rechtzeitig vor Krankheitsbeginn in die Lage versetzt hat, diesen Anspruch zu realisieren.

BAG, 28.03.2023 – 9 AZR 488/21 – juris

Der Arbeitgeber kann Annahmeverzug nach dem Ausspruch einer unwirksamen Kündigung nicht dadurch vermeiden, dass er dem Arbeitnehmer der äußeren Form nach eine Prozessbeschäftigung anbietet, ohne dass sein tatsächlicher Wille auf eine solche Beschäftigung gerichtet ist. Kündigt er dem Arbeitnehmer verhaltensbedingt fristlos und begründet dies mit einer Unzumutbarkeit der weiteren Beschäftigung, verhält er sich widersprüchlich, wenn er dem Arbeitnehmer eine Prozessbeschäftigung zu gleichen Bedingungen anbietet, weshalb es zu vermuten steht, dass dieses Angebot nicht ernsthafter Natur war.

Wird eine Kündigung auf verhaltensbedingte Gründe gestützt, spricht dieser Umstand eher für die Unzumutbarkeit der vorläufigen Weiterarbeit für den Arbeitnehmer im Betrieb. Die Obliegenheit des Arbeitnehmers, während des Kündigungsschutzprozesses unter Umständen auch beim kündigenden Arbeitgeber zu dessen finanzieller Entlastung arbeiten zu müssen, findet dort ihre Grenze, wo sich der Arbeitgeber selbst in einer Art und Weise widersprüchlich verhält, indem er, zur Minderung seines finanziellen Risikos eine Arbeitsleistung einfordert, obwohl er, unter dem Vorbringen schwerer Vorwürfe, eine zukünftige Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers für unzumutbar erachtet

BAG, 29.03.2023 – 5 AZR 255/22 – juris

Geschäftsführer einer GmbH haften gegenüber den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern der GmbH nicht deshalb auf Schadensersatz nach § 823 Abs. 2 BGB, weil sie im Einzelfall nach § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG iVm. § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG für Verstöße der GmbH gegen ihre Verpflichtung aus § 20 MiLoG, ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein Arbeitsentgelt mindestens in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns zu zahlen, bußgeldrechtlich verantwortlich sind. Der Bußgeldtatbestand des §§ 21 Abs. 1 Nr. 9 iVm. § 20 MiLoG stellt – ungeachtet des § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG – kein Schutzgesetz iSv. § 823 Abs. 2 BGB zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der GmbH in ihrem Verhältnis zu dem/den Geschäftsführer/n der Gesellschaft dar.

BAG, 30.03.2023 – 8 AZR 120/22 – juris

Ein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB liegt vor, wenn die zulässige Rechtsausübung des Arbeitnehmers der tragende Beweggrund, d.h. das wesentliche Motiv für die benachteiligende Maßnahme ist. Es reicht nicht aus, dass die Rechtsausübung nur den äußeren Anlass für die Maßnahme bietet.

Wo die Bestimmungen des KSchG indes nicht greifen, sind die Arbeitnehmer nach den zivilrechtlichen Generalklauseln (§ 138 Abs. 1, § 242 BGB) von einer sitten- oder treuwidrigen Kündigung des Arbeitgebers geschützt. Im Rahmen dieser Generalklauseln ist auch der objektive Gehalt der Grundrechte zu beachten.

Das mit der Kündigung verfolgte Motiv, einen möglich umfassenden Gesundheitsschutz für Patienten und die Belegschaftsangehörigen durch die Beschäftigung von gegen das Coronavirus geimpften Arbeitnehmern zu erreichen, verfolgt einen legitimen Zweck und ist daher nicht willkürlich.

Der Rechtsträger eines Krankenhauses durfte davon ausgehen, dass eine Impfung gegen das Coronavirus bei Personen, die im medizinischen Bereich eines Krankenhauses tätig sind, zum bestmöglichen Schutz des Lebens und der Gesundheit vulnerabler Menschen beitragen kann.

Der Schutz vor ungerechtfertigten Entlassungen wird durch unionsrechtlich nicht vollständig determiniertes innerstaatliches Recht – wie vorliegend beispielsweise § 612a BGB und die §§ 138, 242 BGB – gewährleistet. Prüfungsmaßstab sind daher die zivilrechtlichen Generalklauseln und (mittelbar) die Grundrechte des Grundgesetzes.

BAG, 30.03.2023 – 2 AZR 309/22 – juris

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