III./2022 Newsletter Arbeitsrecht

Die Verlagerung der Aufgaben eines kaufmännischen Leiters in einem öffentlich-rechtlichen Zweckverband auf einen satzungsrechtlich neu zu bestellenden hauptamtlichen Verbandsvorsteher kann eine betriebsbedingte Kündigung bedingen.

Rechtsmissbrauch setzt voraus, dass ein Vertragspartner eine an sich rechtlich zulässige Gestaltung in einer mit Treu und Glauben unvereinbaren Weise nur dazu verwendet, sich zum Nachteil des anderen Vertragspartners Vorteile zu verschaffen, die nach dem Zweck der Norm oder des Rechtsinstituts nicht vorgesehen sind. Ist eine unternehmerische Entscheidung – auch – durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers motiviert, begründet dieser Umstand für sich genommen noch keinen Rechtsmissbrauch.

LAG Mecklenburg-Vorpommern, 14.07.2022 – 5 Sa 293/21 – juris

 

Macht ein ehemaliger Geschäftsführer nach Abberufung bei streitiger (Neu)Begründung eines Arbeitsverhältnisses Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall geltend und fehlt eine vertragliche Regelung zu einem solchen Anspruch, sodass er allein auf § 3 Abs.1 EFZG gestützt werden kann, begründet dieser Teil der Klage einen sog. sic-non Fall, indem allein auf Grund der doppelt relevanten Rechtsansicht des Klägers, im Streitzeitraum Arbeitnehmer gewesen zu sein, insoweit der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten begründet ist.

Werden neben der Entgeltfortzahlungsklage weitere Ansprüche geltend gemacht, ist für diese gesondert die Rechtswegzuständigkeit zu prüfen, denn sic-non-Fälle können keine Zusammenhangszuständigkeit nach § 2 Abs. 3 ArbGG begründen.

Schließen bislang durch einen Arbeitsvertrag verbundene Vertragsparteien einen schriftlichen Geschäftsführerdienstvertrag, wird damit das bisherige Arbeitsverhältnis, selbst wenn es in dem Vertrag keine Erwähnung findet, in der Regel formwirksam konkludent aufgehoben. Das gilt auch, wenn der Geschäftsführerdienstvertrag auf Arbeitnehmerseite durch einen Vertreter der Gesellschaft und nicht durch einen (anderen) Geschäftsführer unterzeichnet wird. Denn insoweit ist von einer Annexvertretungskompetenz der Gesellschafterversammlung und ihrer Vertreter auszugehen (Anschluss an LAG Hamburg vom 19.11.2008 – 4 Ta 20/08).

Zwar wandelt sich der Geschäftsführerdienstvertrag dann nach Abberufung als Geschäftsführer nicht automatisch wieder in einen Arbeitsvertrag um. Erklärt jedoch der Vertreter der Gesellschafter, dass man das bisherige Arbeitsverhältnis mit der dort geregelten Tätigkeit, jedoch dem Gehalt aus dem Geschäftsführerdienstvertrag fortsetzen wolle und setzen die verbleibende Geschäftsführung und der abberufene Geschäftsführer dies dann um, indem Letzterer entsprechend weiterbeschäftigt wird, liegt darin eine wirksame konkludente Neubegründung des früheren Arbeitsverhältnisses. Für die hieraus abgeleiteten Ansprüche ist der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten begründet.

LAG Düsseldorf, 19.07.2022 – 3 Ta 90/22 – juris

 

Das Tragen einer medizinischen Gesichtsmaske (sog. OP-Maske) auf Anweisung des Arbeitgebers im Zusammenhang mit Corona-Schutzmaßnahmen erfüllt nicht die Voraussetzungen für den Erschwerniszuschlag nach § 10 Nr. 1.2 des Rahmentarifvertrages für die gewerblichen Beschäftigten in der Gebäudereinigung vom 31.10.2019.

BAG, 20.07.2022 – 10 AZR 41/22 – (BAG-Pressemitteilung Nr. 27/22).

 

Das Bundesarbeitsgericht ersucht den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) um Auslegung des Unionsrechts zur Frage, ob ein der katholischen Kirche zugeordnetes Krankenhaus eine Arbeitnehmerin allein deshalb als ungeeignet für eine Tätigkeit ansehen darf, weil sie vor Beginn des Arbeitsverhältnisses aus der katholischen Kirche ausgetreten ist, auch wenn es von den bei ihnen tätigen Arbeitnehmern im Übrigen nicht verlangt, dass sie der katholischen Kirche angehören.

BAG, 21.07.2022 – 2 AZR 130/21 (H) – (BAG-Pressemitteilung Nr. 28/22)

 

Von der Üblichkeit der Tarifvergütung kann ohne Weiteres ausgegangen werden, wenn mehr als 50 % der Arbeitgeber eines Wirtschaftsgebiets tarifgebunden sind oder wenn die organisierten Arbeitgeber mehr als 50 % der Arbeitnehmer eines Wirtschaftsgebiets beschäftigen. Wirtschaftsgebiet ist bei ortsgebundenen tätigen Unternehmen regelmäßig der räumliche Bereich, in dem die Betriebsstätte liegt und aus dem der wesentliche Teil des Personals stammt. Der räumliche Geltungsbereich eines Flächentarifvertrages kann über ein bestimmtes Wirtschaftsgebiet hin-ausgehen.

LAG Mecklenburg-Vorpommern, 26.07.2022 – 5 Sa 284/21 – juris

 

Eine Betriebsvereinbarung unterfällt der Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG, wenn sie die Zahlung einer stundenbezogenen und betragsmäßig bezifferten (Spätschicht-)Zulage unter denselben Tatbestandsvoraussetzungen vorsieht, unter denen nach dem einschlägigen Tarifvertrag ein prozentualer Zuschlag je Arbeits-stunde zu zahlen ist. Die Unzulässigkeit nach § 77 Abs. 3 S. 1 BetrVG erstreckt sich auf Regelungen einer Betriebsvereinbarung, die im Verhältnis zu denen des Tarifvertrages inhaltsgleich oder günstiger sind.

LAG Baden-Württemberg, 27.07.2022 – 19 Sa 6/22 – juris

 

Findet ein Tarifvertrag auf ein Arbeitsverhältnis aufgrund einer Globalverweisung im Arbeitsvertrag Anwendung, findet eine Kontrolle der tariflichen Bestimmungen anhand der §§ 305ff. BGB nicht statt, wenn der Tarifvertrag das Arbeitsverhältnis in seinem räumlichen, fachlichen und persönlichen Geltungsbereich erfasst. Verstößt eine in vertraglich in Bezug genommenen Tarifvertrag geregelte Ausschlussfrist gegen § 202 Abs. 1 BGB, ist die Regelung nur insoweit nichtig, als sie mangels ausdrücklicher anderweitiger Regelung auch Ansprüche einbezieht, die durch vorsätzliches Handeln verursacht worden sind. Im Übrigen bleibt sie wirksam.

LAG Baden-Württemberg, 10.08.2022 – 10 Sa 94/21 – juris

 

Erteilt der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer, der aus einem SARS-CoV-2-Risikogebiet zurückkehrt, 14-tägiges Betretungsverbot für das Betriebsgelände, obwohl der Arbeitnehmer entsprechend den verordnungsrechtlichen Vorgaben bei der Einreise aufgrund der Vorlage eines aktuellen negativen PCR-Tests und eines ärztlichen Attests über Symptomfreiheit keiner Absonderungspflicht (Quarantäne) unterliegt, schuldet der Arbeitgeber grundsätzlich Vergütung wegen Annahmeverzuges.

BAG, 10.08.2022 – 5 AZR 154/22 – (BAG-Pressemitteilung Nr. 29/22)

 

Der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichtes hat ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union gerichtet, um die Frage klären zu lassen, ob aus dem Unionsrecht die Verpflichtung des Arbeitgebers abzuleiten ist, einem Arbeitnehmer bezahlten Erholungsurlaub nachzugewähren, der zwar während des Urlaubs selbst nicht erkrankt ist, in dieser Zeit aber eine behördlich angeordnete häusliche Quarantäne einzuhalten hatte.

BAG, 16.08.2022 – 9 AZR 76/22 (A) – (BAG-Pressemitteilung Nr. 30/22)

 

Zahlt ein Arbeitgeber, der nicht dem Pflegebereich angehört, freiwillig an seine Beschäftigten eine Corona-Prämie, ist diese Leistung als Erschwerniszulage nach § 850a Nr. 3 ZPO unpfändbar, wenn ihr Zweck in der Kompensation eines tatsächlichen Erschwernisses bei der Arbeitsleistung liegt, soweit die Prämie den Rahmen des Üblichen nicht übersteigt.

BAG, 25.08.2022 – 8 AZR 14/22 – (BAG-Pressemitteilung Nr. 31/22)

 

Für das Eingreifen des Sonderkündigungsschutzes im Sinne von § 38 Abs. 1 und Abs. 2 BDSG ist es ohne Bedeutung, dass die Kündigung während der im Arbeitsvertrag vereinbarten Probezeit von sechs Monaten sowie der Wartezeit (§ 1 Abs. 1 KSchG) zugegangen ist.

BAG, 25.08.2022 – 2 AZR 225/20 – juris

 

Der Betriebsrat hat nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG in sozialen Angelegenheiten nur mitzubestimmen, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht. Bei unionsrechtskonformer Auslegung von § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG ist der Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet, die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer zu erfassen. Dies schließt ein – gegebenenfalls mithilfe der Einigungsstelle durchsetzbares – Initiativrecht des Betriebsrats zur Einführung eines Systems der Arbeitszeiterfassung aus.

BAG, 13.09.2022 – 1 ABR 22/21 – (BAG-Pressemitteilung Nr. 33/22)

 

Arbeitgeber sind nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer zu erfassen, für die der Gesetzgeber nicht auf der Grundlage von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG eine von den Vorgaben in Art. 3, 5 und 6 Buchst. b dieser Richtlinie abweichende Regelungen getroffen hat.

Dem Betriebsrat steht kein – über einen Einigungsstellenspruch durchsetzbares – Initiativrecht zur Einführung eines elektronischen Systems zu, mit dem die tägliche Arbeitszeit solcher Arbeitnehmer erfasst werden soll.

Die unionsrechtlich vorgegebene Verpflichtung des Arbeitgebers, ein objektives, verlässliches und zugängliches System zur Messung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeiten einschließlich der Überstunden einzuführen, ist nicht zwingend auf eine elektronische Zeiterfassung gerichtet. Vielmehr können bspw. – je nach Tätigkeit und Unternehmen – Aufzeichnungen in Papierform genügen. Es ist auch nicht ausgeschlossen, die Aufzeichnungen der betroffenen Zeiten an die Arbeitnehmer zu delegieren.

BAG, 13.09.2022- 1 ABR 22/21 – juris

 

Bei einer vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung kann in einem Tarifvertrag der Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche abweichend von der gesetzlich zulässigen Dauer von 18 Monaten eine andere Überlassungshöchstdauer vereinbart werden. Diese ist auch für den überlassenen Arbeitnehmer und dessen Arbeitgeber (Verleiher) unabhängig von deren Tarifgebundenheit maßgebend.

BAG, 14.09.2022 – 4 AZR 83/21 – (BAG-Pressemitteilung Nr. 37/22)

 

Ist der anspruchsstellende Arbeitnehmer auf der Grundlage einer eigenverantwortlichen Entscheidung nicht in der Lage, die arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit vollumfänglich zu bewirken, so gerät der das unzureichende Arbeitsangebot ablehnende Arbeitgeber gemäß § 297 BGB nicht in Verzug.

LAG Mecklenburg-Vorpommern, 14.09.2022 – 3 Sa 46/22 – juris

 

Gemäß § 91 Abs. 2 Nr. 1 ZPO gehören zu den erstattungsfähigen Kosten die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei. Daraus ist zu entnehmen, dass ein Beteiligter eines Verfahrens, in dem diese Vorschrift Anwendung findet, einen Rechtsanwalt zur Hilfe nehmen darf und die dadurch entstandenen Kosten auch erstattungsfähig sind. Eine Einschränkung dieses Grundsatzes für die Fälle, in denen ein Rechtsmittel nur vorsorglich eingelegt wird, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Von der grundsätzlichen Anerkennung der Notwendigkeit der Beauftragung eines Rechtsanwalts zu unterscheiden ist die Frage, welche Maßnahmen der einmal bestellte Rechtsanwalt zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung für notwendig im Sinne von § 91 Abs. 1 Nr. 1 ZPO halten darf.

LAG Niedersachsen, 29.09.2022 – 4 Ta 143/29 – juris

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