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IV./2020 Newsletter Arbeitsrecht

Obwohl für den Betriebsrat vom Gesetzgeber in § 129 Abs. 3 S. 2 BetrVG begrenzt auf den Zeitraum z.Zt. bis zum 31.12.2020 die Möglichkeit geschaffen wurde, u.a. die Einberufung einer gem. § 43 Abs. 1 S. 1 BetrVG einmal in jedem Kalendervierteljahr einzuberufenden Betriebsversammlung auch mittels audivisueller Einrichtungen durchzuführen, bewegt sich der Betriebsrat nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts Hamm noch in dem ihm gesetzlich eröffneten Beurteilungsspielraum, wenn er sich unter Beachtung der aktuellen gesetzlichen Vorgaben namentlich zum Infektionsschutz bei einer Belegschaftszahl von ca. 360 Mitarbeitern für die Durchführung von bis zu drei Teilversammlungen außerhalb des Betriebs in einer nur wenige Kilometer entfernten Stadthalle entscheidet, weil es so zum Regelfall von Präsenzversammlungen kommt, die im Übrigen nach der derzeitigen Gesetzeslage ab dem 01.01.2021 wieder alternativlos zu erfolgen haben. Das Landesarbeitsgericht Hamm hat den Arbeitgeber in einem einstweiligen Verfügungsverfahren in dieser Situation nach § 40 Abs. 1 BetrVG für verpflichtet gehalten, dem Betriebsrat einen angemessenen Vorschuss zu zahlen, um damit die voraussichtlichen Kosten für die Überlassung geeigneter Räume außerhalb des Betriebsgeländes abdecken zu können.

LAG Hamm, 05.10.2020 – 13 TaBV Ga 16/20 – juris.

 

Eine mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung ist nach § 50 Abs. 1 i.V.m. § 111 S. 1 BetrVG mit dem Gesamtbetriebsrat zu beraten, wenn sich die geplante Maßnahme auf alle oder doch mehrere Betriebe auswirkt und einer einheitlichen Regelung bedarf. Maßgeblich ist, ob der Maßnahme ein einheitliches unternehmerisches Gesamtkonzept zugrunde liegt, das sich über mehrere Betriebe erstreckt und deshalb einer einheitlichen Regelung bedarf. Geht es um einen Personalabbau, so ist der Gesamtbetriebsrat für den Abschluss des Interessenausgleichs zu ständig, wenn dieser auf der Grundlage eines unternehmenseinheitlichen Konzeptes durchgeführt wird und mehrere Betriebe betroffen sind, sodass das Verteilungsproblem betriebsübergreifend gelöst werden muss.

LAG Düsseldorf, 15.10.2020 – 11 Sa 799/19 – juris.

 

Eine Arbeitnehmerin hat geltend gemacht, bei ihrer Arbeit statt eines Mund-Nasen-Schutzes einen Gesichtsschutzschirm tragen zu dürfen. Im eines einstweiligen Verfügungsverfahren hat das Arbeitsgericht die Pflicht zum Tragen eines vom Arbeitgeber bereitgestellten Mund-Nasen-Schutzes bestätigt. Den Arbeitgeber treffe die Pflicht, die Beschäftigten und Kunden vor Infektionen zu schützen. Ein von der Arbeitnehmerin bevorzugtes Gesichtsvisier für den Schutz Dritter sei weniger geeignet, als der hier arbeitgeberseitig vorgeschriebene Mund-Nasen-Schutz. Dass der Mitarbeiterin das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes aus gesundheitlichen Gründen nicht zumutbar sei, habe sie nicht hinreichend glaubhaft gemacht.

ArbG Berlin, 15.10.2020 – 41 Ga 13034/20 – juris.

 

Eine fristlose Änderungskündigung mit dem Ziel, eine Einführung von Kurzarbeit zu ermöglichen, kann im Einzelfall als betriebsbedingte Änderungskündigung nach § 626 BGB gerechtfertigt sein. Die Rechtsprechungsgrundsätze des Bundesarbeitsgerichts zur reinen Entgeltreduzierung durch Änderungskündigung sind auf eine Änderungskündigung zur Einführung von Kurzarbeit nicht übertragbar. Für die Frage der Verhältnismäßigkeit der Kündigung sind insbesondere eine entsprechende Ankündigungsfrist und eine Begrenzung der Dauer der (möglichen) Kurzarbeit von Bedeutung sowie der Umstand, dass Kurzarbeit nur dann eingeführt werden kann, wenn die entsprechenden Voraussetzungen zur Gewährung von Kurzarbeitergeld auch in der Person des Arbeitnehmers/ der Arbeitnehmerin vorliegen.

ArbG Stuttgart, 22.10.2020 – 11Ca 2950/20 – juris.

 

Das Bundesarbeitsgericht hat die Frage aufgeworfen, ob tarifliche Bestimmungen, die eine zusätzliche Vergütung davon abhängig machen, dass dieselbe Zahl von Arbeitsstunden überschritten wird, ohne zwischen Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten zu unterscheiden, Fragen nach der Auslegung von Unionsrecht aufwerfen, es hat dem EuGH die Frage vorgelegt, ob für die Prüfung, ob Teilzeitbeschäftigte gegenüber Vollzeitbeschäftigten schlechter behandelt werden, weil eine zusätzliche Vergütung davon abhängt, dass eine einheitlich geltende Zahl von Arbeitsstunden überschritten wird, auf die Gesamtvergütung und nicht auf den Entgeltbestandteil der zusätzlichen Vergütung abzustellen ist. Außerdem hat es die Frage gestellt, ob eine mögliche schlechtere Behandlung von Teilzeitbeschäftigten gerechtfertigt werden kann, wenn mit der zusätzlichen Vergütung der Zweck verfolgt wird, eine besondere Arbeitsbelastung auszugleichen.

BAG, 11.11.2020 – 10 AZR 125/18 (A) – (BAG-Pressemitteilung Nr. 40/20)

 

Die tatsächliche Durchführung von Kleinstaufträgen („Mikrojobs“) durch Nutzer einer Online-Plattform („Crowdworker“) auf der Grundlage einer mit deren Betreiber („Crowdsourcer“) getroffenen Rahmenvereinbarung kann ergeben, dass die rechtliche Beziehung als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren ist. Die Entscheidung führt aus, dass die Arbeitnehmereigenschaft nach § 611a BGB davon abhängt, dass der Beschäftigte weisungsgebundene fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit leistet. Wenn die tatsächliche Durchführung eines Vertragsverhältnisses zeigt, dass es sich hierbei um ein Arbeitsverhältnis handelt, kommt es auf die Bezeichnung im Vertrag nicht an. Die dazu vom Gesetz verlangte Gesamtwürdigung aller Umstände könne ergeben, dass Crowdworker als Arbeitnehmer anzusehen sind. Für ein Arbeitsverhältnis spricht es, wenn der Auftraggeber die Zusammenarbeit über die von ihm betriebene Online-Plattform so steuert, dass der Auftragnehmer in Folge dessen seine Tätigkeit nach Ort, Zeit und Inhalt nicht frei gestalten kann. So lag der entschiedene Fall. Der Kläger leistete in arbeitnehmertypischer Weise weisungsgebundene und fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit. Zwar war er vertraglich nicht zur Annahme von Angeboten der beklagten Arbeitgeberin verpflichtet. Die Organisationsstruktur der von der Beklagten betriebenen Online-Plattform war aber darauf ausgerichtet, dass über einen Account angemeldete und eingearbeitete Nutzer kontinuierlich Bündel einfacher, Schritt für Schritt vertraglich vorgegebener Kleinstaufträge annehmen, um diese persönlich zu erledigen. Erst ein mit der Anzahl durchgeführter Aufträge erhöhtes Level im Bewertungssystem ermöglicht es den Nutzern der Online-Plattform, gleichzeitig mehrere Aufträge anzunehmen, um diese auf einer Route zu erledigen und damit faktisch einen höheren Stundenlohn zu erzielen. Durch dieses Anreizsystem wurde der Kläger dazu veranlasst, in dem Bezirk seines gewöhnlichen Aufenthaltsortes kontinuierlich Kontrolltätigkeiten zu erledigen. Hinsichtlich der vom Kläger geltend gemachten Vergütungsansprüche weist die Entscheidung darauf hin, dass ein solcher Crowdworker, der in Wirklichkeit Arbeitnehmer ist, nicht ohne Weitere Vergütungszahlung nach Maßgabe seiner bisher als vermeintlich freier Mitarbeiter bezogenen Honorare verlangen kann. Wenn sich ein vermeintlich freies Dienstverhältnis im Nachhinein als Arbeitsverhältnis darstellt, kann in der Regel nicht davon ausgegangen werden, die für den freien Mitarbeiter vereinbarte Vergütung sei der Höhe nach auch für eine Beschäftigung der Arbeitnehmer verabredet. Geschuldet ist die übliche Vergütung im Sinne von 612 Abs. 2 BGB, deren Höhe aufzuklären ist.

BAG, 01.12.2020 – 9 AZR 102/20 – (BAG-Pressemitteilung Nr. 43/20)

 

Eine tarifliche Regelung, nach der sich die Ausbildungsvergütung des Auszubildenden in Teilzeit entsprechend der Anzahl wöchentlicher Ausbildungsstunden vergleichbarer Auszubildender in Vollzeit berechnet, verstößt nicht gegen höherrangiges Recht. Teilzeitauszubildenden ist nach den Regelungen des in diesem Fall anwendbaren TVAöD eine Ausbildungsvergütung nur in dem Umfang zu gewähren, der dem Anteil ihrer Ausbildungszeit an der eines vergleichbaren Auszubildenden in Vollzeit entspricht. Nach § 8 Abs. 1 i.V.m. § 7 Abs. 1 S. 1 des Besonderen Teils des TVAöD (TVAöD-BT) ist die Höhe der Ausbildungsvergütung in Abhängigkeit von der Anzahl der wöchentlichen Ausbildungsstunden zu bestimmen. An Auszubildende, deren Berufsausbildung in Teilzeit durchgeführt wird, ist danach eine Ausbildungsvergütung zu zahlen, die dem Anteil ihrer Ausbildungszeit an der eines vergleichbaren Auszubildenden in Vollzeit entspricht. Dies steht im Einklang mit § 17 Abs. 1 S. 1 BBiG aF. Bei der Ermittlung der Höhe der Ausbildungsvergütung bleiben Zeiten des Berufsschulunterrichts außer Betracht. Sind Auszubildende von der betrieblichen Ausbildung freigestellt, um ihnen die Teilnahme am Berufsschulunterricht zu ermöglichen, besteht nach § 8 Abs. 4 TVAöD-BT – entsprechend der Regelung in §§ 15, 19 Abs. 1 Nr. 1 BBiG aF – allein ein Anspruch auf Fortzahlung der Ausbildungsvergütung.

BAG, 01.12.2020 – 9 AZR 104/20 – (BAG-Pressemitteilung Nr. 44/20)

 

Ist eine arbeitsvertragliche Bezugnahme von Tarifverträgen als Gleichstellungsabrede auszulegen, hat ein nicht tarifgebundener Arbeitgeber, der wiederholt eine Erhöhung der Löhne und Gehälter entsprechend der Tarifentwicklung in einem bestimmten Tarifgebiet gewährt, grundsätzlich nicht den Willen, sich für die Zukunft der Regelungsmacht der Verbände zu unterwerfen, denen er nicht angehört. Für das Vorliegen einer betrieblichen Übung dahin, dass er die Erhöhungen auf Dauer gewähren will, müssen deutliche Anhaltspunkte in seinem Verhalten sprechen.

LAG Mecklenburg-Vorpommern, 08.12.2020 – 5 Sa 143/20

 

Eine Regelung in einem Tarifvertrag, nach der sich der Zuschlag für Nachtarbeit halbiert, wenn sie innerhalb eines Schichtsystem geleistet wird, kann gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen. Der in dem Betrieb der Beklagten geltende Tarifvertrag sieht für Arbeit in der Nachtschicht von 22:00 Uhr – 06:00 Uhr einen Zuschlag von 25 % zum Stundenentgelt vor. Für Nachtarbeit, die in demselben Zeitraum außerhalb eines Schichtsystems erbracht wird, sieht der Tarifvertrag einen Zuschlag von 50 % vor. Der Kläger meint, die Halbierung des Zuschlags für Nachtschichtarbeit widerspreche den gesicherten arbeitsmedizinischen Erkenntnissen. Danach gehen von regelmäßiger Nachtschichtarbeit erheblich gravierendere Gesundheitsgefahren aus als von gelegentlich geleisteter Nachtarbeit. Mit seiner Klage will er festgestellt wissen, dass die Beklagte den Zuschlag von 50 % auch für die Nachtschicht zahlen muss. Die Beklagte verteidigt die Tarifnorm. Der höhere Zuschlag solle eine besondere Belastung der unvorbereitet zur Nachtarbeit herangezogenen Arbeitnehmer ausgleichen. Sie büßten die Dispositionsmöglichkeit über ihre Freizeit in der entsprechenden Nacht ein. Nach Auffassung des BAG sind Nachtarbeitnehmer und Nachtschichtarbeitnehmer miteinander vergleichbar. Da der in Rede stehende Manteltarifvertrag dem Arbeitgeber aufgibt, bei der Durchführung von Nachtarbeit außerhalb von Schichten auf private und kulturelle Wünsche der Beschäftigten weitgehend Rücksicht zu nehmen, kann der höhere Zuschlag für Nachtarbeiter nach Auffassung des Senats nicht den Zweck haben, deren Freizeit vor Eingriffen durch den Arbeitgeber zu schützen. Da andere sachliche Gründe, die die schlechtere Behandlung der Nachtschichtarbeitnehmer rechtfertigen könnten, dem Manteltarifvertrag nicht zu entnehmen seien, könne der Kläger den höheren Zuschlag verlangen, um mit den nicht regelmäßig nachts Arbeitenden gleichbehandelt zu werden (sog. Anpassung nach oben).

BAG, Urteil vom 09.12.2020 – 10 AZR 334/20 – (BAG-Pressemitteilung Nr. 47/20)

 

Das Arbeitsverhältnis des bei der beklagten Bank als Leiter der Abteilung Wohnbaufinanzierungen tätigen Klägers wurde mit der Begründung fristlos gekündigt, er habe in einigen Fällen Kredite pflichtwidrig und gegenüber dem Vorstand Kreditbewilligungen zu Unrecht befürwortet. Obwohl in diesem Zusammenhang nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts von erheblichen Pflichtverletzungen des Klägers auszugehen war, weil dieser die beanstandeten Immobilienkredite in seinem eigenen Kompetenzbereich bewilligt und elementare Schlüssigkeitsprüfungen im Hinblick auf das Eigenkapital und die Bonität der Kunden unterlassen habe, fiel die durchgeführte Interessenabwägung zugunsten des Klägers aus, weil dieser außerordentlich unkündbar war. Als milderes Mittel hätte nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts eine ordentliche Kündigung ausgereicht, die aber tarifvertraglich ausgeschlossen war. Wegen der darüber hinaus beanstandungsfreien Tätigkeit des Klägers über einen Zeitraum von 25 Jahren hinweg und dem Umstand, dass ähnliche Kreditbewilligungen auf Vorstandsebene erfolgt seien, habe die Interessenabwägung zugunsten des Klägers ausgehen müssen. Hinzu komme, dass die Beklagte selbst bewusst ein erhöhtes Risiko eingegangen sei, indem sie auf eine zweite Votierung verzichtet und vor der Kreditvergabe keine Begutachtung der Immobilien vorgenommen habe.

LAG Düsseldorf, 11.12.2020 – 6 Sa 420/20 – juris.

 

Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104/EG sieht vor, dass die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Leiharbeitnehmer während der Dauer ihrer Überlassung an ein entleihendes Unternehmen mindestens demjenigen entsprechen müssen, die für sie gelten würden, wenn sie von dem entleihendem Unternehmen unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz eingestellt worden wäre (Grundsatz der Gleichbehandlung). Zwar gestattet Art. 5 Abs. 3 der genannten Richtlinie den Mitgliedsstaaten, wie in § 8 Abs. 1 ArbGG geschehen, den Sozialpartnern die Möglichkeit einzuräumen, Tarifverträge zu schließen, die unter Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern beim Arbeitsentgelt und den sonstigen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen den Grundsatz der Gleichbehandlung abweichen. Da die Richtlinie eine Definition des „Gesamtschutzes“ nicht enthält und sein Inhalt und die Voraussetzungen für seine „Achtung“ im Schriftum umstritten sind, hat das BAG zur Klärung der im Zusammenhang mit der von Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2008/104/EG verlangten Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern aufgeworfenen Fragen dem Gerichtshof der Europäischen Union um eine Vorabentscheidung ersucht.

BAG, Beschluss vom 15.12.2020 – 5 AZR 143/19 (A) (BAG-Pressemitteilung Nr. 48/20)

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