IV./23 Newsletter Arbeitsrecht

Steht nach einer Beweisaufnahme fest, dass der bis zuletzt bestreitende Arbeitnehmer Schmiergeld entgegengenommen hat und muss sodann der eingetretene Schaden geschätzt werden, so ist der zu schätzende Betrag nicht auf einen Mindestschaden begrenzt. Es gibt keinen Grund einen Schädiger auf diese Weise zu privilegieren, insbesondere den pflichtwidrig schweigenden Täter, der entgegen der Wahrheitspflicht aus § 138 Abs. 1 ZPO seine Täterschaft bestreitet.

LAG Köln, 05.10.2023 – 6 Sa 152/22 – juris

1.

Für die Klage eines Arbeitnehmers gegen seinen Arbeitgeber auf Zahlung der Energiepreispauschale nach §§ 112 ff., 117 EStG ist der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten mangels bürgerlicher Rechtsstreitigkeit nicht eröffnet.

2.

Eröffnet ist vielmehr, da es sich um eine öffentlich-rechtliche Abgabenstreitigkeit handelt, bei der der Arbeitgeber lediglich als „Erfüllungsgehilfe“ bzw. „Zahlstelle“ der Finanzverwaltung fungiert, allein der Rechtsweg zu den Finanzgerichten nach § 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO.

LAG Düsseldorf, 05.10.2023 – 3 Ta 240/23 – juris

Vereinbaren Arbeitgeber und Arbeitnehmerarbeit auf Abruf, legen aber die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit nicht fest, gilt grundsätzlich nach § 12 Abs. 1 S. 3 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) eine Arbeitszeit von 20 Stunden wöchentlich als vereinbart. Eine Abweichung davon kann im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung nur angenommen werden, wenn die gesetzliche Regelung nicht sachgerecht ist und objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, die Parteien hätten bei Vertragsschluss übereinstimmend eine andere Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit gewollt.

BAG, 18.10.2023 – 5 AZR 22/23 – (BAG-Pressemitteilung Nr. 42/23)

Wird ein Arbeitnehmer im bestehenden Arbeitsverhältnis unter Erweiterung seines Arbeitsvertrages um die mit diesem Amt verbundenen Aufgaben zum Abfallbeauftragten bestellt, unterliegt seine nach dem Kreislaufwirtschaftsgesetz einseitig möglicher Abberufung, mit der der Arbeitgeber auch die Anpassung des Vertrags rückgängig machen will, einer gerichtlichen Überprüfung nach § 315 BGB.

BAG, 18.10.2023 – 5 AZR 68/23 – juris

Eine mangels Übermittlung der Tagesordnung verfahrensfehlerhaften Ladung zu einer Betriebsratssitzung kann durch die im Übrigen ordnungsgemäß geladenen Mitglieder und Ersatzmitglieder des Betriebsrats in der Betriebsratssitzung geheilt werden, wenn der Betriebsrat beschlussfähig iSd. § 33 Abs. 2 BetrVG ist und die Anwesenden einstimmig beschließen, über einen Regelungsgegenstand zu beraten und abzustimmen. Nicht erforderlich ist, dass an dieser Sitzung alle Betriebsratsmitglieder teilnehmen (Anschluss an BAG, 22.11.2017 – 7 ABR 46/16 – Rn. 14)

Hierbei ist es nicht erforderlich, über die Ergänzung der Tagesordnung getrennt abzustimmen. Vielmehr ist es ausreichend, dass niemand der Beschlussfassung über den neuen Tagesordnungspunkt widerspricht (Anschluss an BAG, 15.04.2014 – 1 ABR 2/13 – juris Rn. 37)

Thüringer Landesarbeitsgericht, 24.10.2023 – 1 TaBV 25/21 – juris

1.

Bei streitigem Fortbestand eines rechtsbeschwerdeführenden betriebsverfassungsrechtlichen Gremiums wird dessen Beteiligtenfähigkeit für die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde regelmäßig auch dann unterstellt, wenn dessen Existenz nicht Verfahrensgegenstand ist.

2.

Eine Betriebsratswahl, die unter Verkennung des Betriebsbegriffs durchgeführt wurde, ist in der Regel nicht nichtig, sondern allenfalls anfechtbar. Dies ist grundsätzlich auch dann der Fall, wenn im Zeitpunkt der Wahl bereits Streit über die Wirksamkeit einer von der gesetzlichen Betriebsverfassung abweichenden Vereinbarung iSv. § 3 BetrVG besteht.

BAG, 25.10.2023 – 7 ABR 25/22 – juris

1.

Regelmäßig trägt der Arbeitgeber für die Umstände, die nach § 1 Abs. 2 KSchG die Kündigung bedingen, die Darlegungs- und Beweislast (§ 1 Abs. 2 S. 4 KSchG). Das gilt auch für das Fehlen einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit.

2.

Ist der Arbeitgeber nicht zur Durchführung eines bEM gemäß § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX verpflichtet, kann er sich darauf beschränken zu behaupten, für den Arbeitnehmer bestehe keine alternative Beschäftigungsmöglichkeit. Diese pauschale Erklärung umfasst den Vortrag, Möglichkeiten zu leidensgerechten Anpassungen des Arbeitsplatzes sei nicht gegeben. Der Arbeitnehmer muss hierauf konkret erwidern, insbesondere darlegen, wie er sich eine Änderung des bisherigen Arbeitsplatzes oder eine anderweitige Beschäftigung vorstellt, die er trotz seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung ausüben könne. Erst dann ist es Sache des Arbeitgebers, hierauf zu erwidern und ggf. darzulegen, warum eine solche Beschäftigung nicht möglich sei. Das Gleiche gilt, wenn der Arbeitgeber entsprechend den Vorgaben des § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX ein betriebliches Eingliederungsmanagement ordnungsgemäß durchgeführt hat.

3.

Eine erweiterte Darlegungslast trifft den Arbeitgeber, der es unterlassen hat, entgegen den Vorgaben des § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX ein bEM durchzuführen. Er hat darzulegen, warum auch mit seiner Hilfe keine Möglichkeit erkannt worden wäre, die Kündigung durch angemessene mildere Maßnahmen zu vermeiden.

4.

Eine Weiterbeschäftigung nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen kommt als milderes Mittel nur in Betracht, wenn nach Durchführung der Umschulung ein entsprechender freier Arbeitsplatz, auf dem der Arbeitnehmer mit seiner erworbenen Qualifikation eingesetzt werden kann, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zur Verfügung steht.

LAG Hamm, 03.11.2023 – 13 Sa 453/23 – (Rechtsprechungsdatenbank NRW-E)

1.

Macht die Partei deutlich, dass auf jeden Fall ein unbedingter Antrag gewollt ist, kann nicht im Wege der Auslegung von einem Hilfsantrag ausgegangen werden.

2.

Ein Weiterbeschäftigungsantrag als unbedingter Antrag ist i.d.R. mutwillig i.S.d. § 114 Abs. 2 ZPO.

3.

Jedenfalls bei einer anwaltlich vertretenen Partei besteht keine Hinweispflicht des Gerichts.

LAG Sachsen-Anhalt, 08.11.2023 – 5 Ta 31/22 – juris

1.

Die tarifvertragliche Unterscheidung der Zuschläge für sonstige Nachtarbeit in § 7 Nr. 5.3 1. Spiegelstrich des Manteltarifvertrags zwischen der Tarifgemeinschaft der Brauereien in Niedersachsen und der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) vom 23.06.2010 (MTV) und Wechselschichtarbeit in der Nacht in § 7 Nr. 5.3 4. Spiegelstrich MTV hält einer Kontrolle am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG nicht stand. Arbeitnehmer, die Wechselschichtarbeit in der Nacht versehen, werden gegenüber Arbeitnehmern, die außerhalb vom Schichtsystemen sonstige Nachtarbeit leisten, gleichheitswidrig schlechter gestellt. Dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) kann nur dadurch genügt werden, dass der Arbeitnehmer für die im Rahmen von Wechselschichten in der Nacht geleistete Nachtarbeit ebenso wie ein Arbeitnehmer, der sonst Nachtarbeit iSv. § 7 Nr. 5.3 1. Spiegelstrich MTV leistet, behandelt wird. Er hat ergänzend zu dem gezahlten Nachtarbeitszuschlag nach § 7 Nr. 5.3 4. Spiegelstrich MTV Anspruch auf einen Zuschlag von weiteren 25 % zu seinem jeweiligen tatsächlichen Stundenentgelt für die von ihm geleisteten Stunden zur tariflichen Nachtzeit

2.

Setzen Tarifvertragsparteien Normen, so üben sie keine delegierte Staatsgewalt aus, sondern nehmen privatautonom ihre Grundrechte aus Art. 9 Abs. 3 GG wahr. Ihnen kommt dabei ein weiter Gestaltungs-, Beurteilungs- und Ermessensspielraum sowie eine Einschätzungsprärogative zu. Allerdings bildet der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) als fundamentale Gerechtigkeitsnorm eine ungeschriebene Grenze der Privatautonomie.

3.

Dies gilt grundsätzlich auch für Regelung in einem Tarifvertrag, die die durch Nachtarbeit entstehenden Belastungen ausgleichen sollen. Solche tariflichen Ausgleichsregelungen vermögen allerdings den gesetzlichen Anspruch nach § 6 Abs. 5 ArbZG nur dann zu verdrängen, wenn sie dem Zweck der Norm genügen und die gesundheitlichen Belastungen, die durch Nachtarbeit entstehen, hinreichend kompensieren. Bei der näheren Ausgestaltung angemessener Kompensationsregelungen sind die Tarifvertragsparteien hingegen freier als der unmittelbar an § 6 Abs. 5 ArbZG gebundene Arbeitgeber.

4.

Ob die Belastungen der Nachtarbeit durch die Regelung in einem Tarifvertrag hinreichend kompensiert werden und der gesetzliche Ausgleichsanspruch nach § 6 Abs. 5 ArbZG somit verdrängt wird, ist nicht im Wege der Gesamtbetrachtung des persönlichen Geltungsbereichs des Tarifvertrags zu überprüfen, sondern anhand der jeweils betroffenen Arbeitnehmergruppe sowie der konkreten Arbeitssituation. Dabei kommt es nicht darauf an, ob andere Arbeitnehmer einen höheren Ausgleich bekommen.

5.

Erhalten Arbeitnehmer, die Wechselschichtarbeit in der Nacht leisten, und Arbeitnehmer, die sonstige Nachtarbeit versehen, dafür unterschiedlich hohe Zuschläge, sind beide Arbeitnehmergruppen miteinander vergleichbar und werden ungleich behandelt. Die Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern, die Wechselschichtarbeit in der Nacht leisten, gegenüber Arbeitnehmern, die sonstige Nachtarbeit leisten, ist auch nicht durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt. Ein solcher lässt sich den maßgeblichen Regelungen des MTV nicht entnehmen.

BAG, 15.11.2023 – 10 AZR 473/21 – juris

Die Pflicht des öffentlichen Arbeitgebers zur Einladung schwerbehinderter Menschen zu einem Vorstellungsgespräch nach § 165 S. 3 SGB IX beinhaltet auch das Erfordernis einen Ersatztermin anzubieten, wenn der sich bewerbende schwerbehinderte Menschen seine Verhinderung vor der Durchführung des vorgesehenen Termins unter Angabe eines hinreichend gewichtigen Grundes mitteilt und dem Arbeitgeber die Durchführung eines Ersatztermins zumutbar ist

BAG, 23.11.2023 – 8 AZR 164/22 – juris

Dem persönlichen Anwendungsbereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AGG unterfallen auch Praktikanten, die iSv. § 26 BBiG eingestellt werden, um berufliche Fertigkeiten, Kenntnisse, Fähigkeiten oder berufliche Erfahrung zu erwerben.

BAG, 23.11.2023 – 8 AZR 212/22 –

Erkrankt der Arbeitnehmer in einen Zeitraum, für den – wirksam – Kurzarbeit „null“ eingeführt worden ist, sind die ausgefallenen Arbeitstage bei der Berechnung des Urlaubsumfangs nicht Zeiten mit Arbeitspflicht gleichzustellen.

BAG, 05.12.2023 – 9 AZR 364/22 –

Der Beweiswert von (Folge-) Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen kann erschüttert sein, wenn der arbeitsunfähige Arbeitnehmer nach Zugang der Kündigung eine oder mehrere Folgebescheinigungen vorlegt, die passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfassen, und er unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufnimmt.

BAG 13.12.2023 – 5 AZR 137/23 – (BAG-Pressemitteilung Nr. 45/23)

Der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts hatte den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV um eine Auslegung des Unionsrechts zu der Frage ersucht, ob ein der katholischen Kirche zugeordnetes Krankenhaus eine Arbeitnehmerin allein deshalb als ungeeignet für eine Tätigkeit ansehen darf, weil sie vor Beginn des Arbeitsverhältnisses aus der katholischen Kirche ausgetreten ist (vgl. Pressemitteilung Nr. 28/22).

Die der Caritas angeschlossene Beklagte hatte nach der mündlichen Verhandlung vor der Großen Kammer des Gerichtshofs der Europäischen Union die Revisionsanträge der Klägerin anerkannt, wonach das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 26.07.2019 nicht aufgelöst ist. Mit der Zustellung des auf Antrag der Klägerin ergangenen Anerkenntnisurteils ist das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht abgeschlossen.

BAG, 14.12.2023 – 2 AZR 130/21 – Beschluss v. 21.07.2022 – 2 AZR 130/21 (A) – (BAG-Pressemitteilung Nr. 48/23)

 

 

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