Nach langen Verhandlungen hat das Bundeskabinett am 03. März 2021 den Entwurf eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten (im Folgenden: Lieferkettengesetz) beschlossen, welcher ein Inkrafttreten zum 01. Januar 2023 vorsieht.
Wohl kaum ein Gesetzesentwurf wird momentan so kontrovers diskutiert, wie der Entwurf des Lieferkettengesetzes. Doch was sind überhaupt die wesentlichen Inhalte dieses Gesetzesentwurfes? Wen betrifft das Lieferkettengesetz? Welche Chancen und Risiken birgt es? Und vor allem: Was bedeutet es für die Unternehmen? Auf diese Fragen, soll dieser Beitrag Antworten geben.
Anwendungsbereich des Lieferkettengesetzes:
Das Lieferkettengesetz betrifft ab dem 01.01.2023 Unternehmen, die in der Regel mindestens 3.000 Arbeitnehmer beschäftigen und ihre Hauptverwaltung, ihre Hauptniederlassung, ihren Verwaltungssitz oder ihren satzungsmäßigen Sitz im Inland haben.
Ab dem 01.01.2024 betrifft es auch Unternehmen, die in der Regel mindestens 1.000 Arbeitnehmer beschäftigen und ihre Hauptverwaltung, ihren Verwaltungssitz oder ihren satzungsmäßigen Sitz im Inland haben.
Leiharbeiter, werden bei der Berechnung der Arbeitnehmerzahl berücksichtigt, sofern die Einsatzdauer 6 Monate übersteigt.
Ebenso sind konzernangehörige Gesellschaften bei der Berechnung der Arbeitnehmerzahl der Konzernmutter zu berücksichtigen.
Die wesentlichen Forderungen:
Im Wesentlichen verpflichtet das Lieferkettengesetz die betroffenen Unternehmen dazu, sich in angemessener Weise dahingehend zu bemühen, dass es sowohl im eignen Geschäftsbereich als auch in der Lieferkette zu keinen Verletzungen von Menschenrechten und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten kommt.
Hier ist zu beachten, dass der Gesetzesentwurf ausdrücklich klarstellt, dass durch das Gesetz lediglich eine Bemühenspflicht, nicht aber eine Erfolgspflicht oder gar eine Garantiehaftung begründet wird.
Der eigene Geschäftsbereich:
Dabei erfasst der eigene Geschäftsbereich jede Tätigkeit zur Erstellung und Verwertung von Produkten und zur Erbringung von Dienstleistungen, unabhängig davon, ob sie an einem Standort im In- oder Ausland vorgenommen wird.
Die Lieferkette:
Die Lieferkette bezieht sich auf alle Produkte und Dienstleistungen des Unternehmens und umfasst alle Schritte im In- und Ausland, die zur Herstellung der Produkte und zur Erbringung der Dienstleistung erforderlich sind, angefangen von der Gewinnung der Rohstoffe bis zu der Lieferung an den Endkunden und erfasst das Handeln des Unternehmers im eigenen Geschäftsbereich, das Handeln des unmittelbaren Zulieferers und das Handeln eines mittelbaren Zulieferers.
Die Unternehmen werden dazu verpflichtet, eine angemessene Risikoanalyse durchzuführen, um die menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken im eigenen Geschäftsbetrieb sowie bei den unmittelbaren Zulieferern zu ermitteln und gegebenenfalls Präventiv- und Abhilfemaßnahmen vorzunehmen.
Hat das Unternehmen jedoch substantiierte Kenntnis von möglichen menschenrechtlichen Verletzungen oder Verstößen gegen umweltbezogene Pflichten erlangt, so hat es auch bei mittelbaren Zulieferern unverzüglich eine Risikoanalyse und Präventiv- und Abhilfemaßnahmen durchzuführen.
Versucht ein Unternehmen, durch missbräuchliche Gestaltung der unmittelbaren Zuliefererbeziehung oder durch Umgehungsgeschäft, die Sorgfaltsanforderungen in Hinblick auf den unmittelbaren Zulieferer zu umgehen, gilt ein mittelbarer Zulieferer als unmittelbarer Zulieferer.
Die Menschenrechte:
Die Menschenrechte ergeben sich aus international anerkannten Abkommen, auf die der Gesetzesentwurf abschließend verweist. Insbesondere ist hier das ILO-Übereinkommen zu erwähnen.
Als menschenrechtliche Risiken definiert das Lieferkettengesetz vor allem die Kinder- und Zwangsarbeit, alle Formen der Sklaverei, die Missachtung von Arbeitsschutzpflichten, die Missachtung der Koalitionsfreiheit, die Ungleichbehandlung in der Beschäftigung, die Vorenthaltung eines angemessenen Lohns, die Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen, bestimmte menschenrechtsrelevante Umweltverschmutzungen sowie den Landentzug.
Die Umwelt:
Das Lieferkettengesetz berücksichtigt die Umwelt in zweierlei Hinsicht: Zum einen, sofern Umweltschädigungen zu Menschenrechtsverletzungen führen (s. o.) und zum anderen dadurch, dass die Sorgfaltspflichten der Unternehmen auch umweltbezogene Pflichten umfassen, die sich aus dem Minamata-Übereinkommen und dem Stockholmer-Übereinkommen ergeben.
Angemessenes Verhalten des Unternehmers:
Was der Unternehmer tun muss, um seinen Sorgfaltspflichten in angemessener Weise nachzukommen, hängt von mehreren Umständen ab. Die Angemessenheit des Handelns, bestimmt sich nach Art und Umfang der Geschäftstätigkeit, dem Einflussvermögen des Unternehmers auf den unmittelbaren Verursacher, der typischerweise zu erwartenden Schwere der Verletzung, der Umkehrbarkeit der Verletzung, der Wahrscheinlichkeit des Verletzungseintritts und der Art des Verursachungsbeitrages.
Die von den Unternehmen zu treffenden Maßnahmen:
Nachdem nun geklärt ist, was die wesentlichen Forderungen des Lieferkettengesetzes sind, fragt es sich, welche Maßnahmen die Unternehmen ergreifen müssen, um ihren Sorgfaltspflichten nachzukommen.
Risikomanagement und Risikoanalyse:
Aus dem Entwurf des Lieferkettengesetzes geht hervor, dass die Unternehmen ein angemessenes und wirksames Risikomanagement einrichten müssen. Im Rahmen dieses Risikomanagements hat das Unternehmen eine angemessene Risikoanalyse durchzuführen, um die menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken im eigenen Geschäftsbereich sowie bei seinen unmittelbaren Zulieferern zu ermitteln.
Grundsatzerklärung:
Zudem müssen Unternehmen eine Grundsatzerklärung über ihre Menschenrechtsstrategie verabschieden. Als Mindestanforderung muss diese Grundsatzerklärung Angaben zum Verfahren zur Einhaltung der menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten in der Lieferkette, Angaben zu den konkreten menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken und Angaben zu den menschenrechts- und umweltbezogenen Erwartungen des Unternehmens an seine Beschäftigten und Zulieferer enthalten.
Präventions- und Abhilfemaßnahmen:
Unternehmen werden, basierend auf ihrer Risikoanalyse, dazu Verpflichtet, angemessene Präventions- und Abhilfemaßnahmen zu treffen und diese in regelmäßigen Abständen zu überprüfen. Dazu gehören zum Beispiel, die Auswahl und Kontrolle des unmittelbaren Zulieferers, die Entwicklung und Implementierung geeigneter Beschaffungsstrategien und Einkaufspraktiken, die Durchführung von Schulungen in den relevanten Geschäftsbereichen sowie eine nachhaltige Vertragsgestaltung. Dabei soll der Abbruch einer bestehenden Geschäftsbeziehung nur ultima ratio sein.
Beschwerdeverfahren:
Darüber hinaus müssen Unternehmen dafür sorgen, dass ein unternehmesinternes Beschwerdeverfahren eingerichtet ist, welches potenziell Betroffenen und Personen, welche Kenntnis von möglichen Verletzungen haben, die Möglichkeit gibt, auf menschenrechtliche Risiken und Verletzungen hinzuweisen.
Dokumentations- und Berichtspflicht:
Des Weiteren trifft die Unternehmen eine Dokumentations- und Berichtspflicht. Die Unternehmen werden dazu verpflichtet unternehmensintern fortlaufen die Erfüllung der Sorgfaltspflichten zu dokumentieren und jährlich einen Bericht über die Erfüllung der Sorgfaltspflichten im vergangenen Geschäftsjahr zu erstellen.
Behördliche Kontrolle und Durchsetzung des Lieferkettengesetzes:
Um die Einhaltung des Lieferkettengesetzes zu gewährleisten, sieht der Gesetzesentwurf weitreichende Eingriffsbefugnisse der zuständigen Behörde sowie eine besondere Prozessstandschaft vor.
Behördliche Kontrolle und Durchsetzung:
Für die behördliche Kontrolle und Durchsetzung ist das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) zuständig. Das BAFA kann entweder von Amts wegen oder auf Antrag einer betroffenen Person tätig werden. Die zuständige Behörde kann dann geeignete und erforderliche Anordnungen und Maßnahmen treffen, um Verstöße gegen die Sorgfaltspflichten festzustellen, zu beseitigen und zu verhindern. Hierzu werden der Behörde weitreichende Betretensrechte eingeräumt und dem Unternehmen Auskunfts- und Herausgabepflichten sowie Duldungs- und Mitwirkungspflichten auferlegt.
Besondere Prozessstandschaft:
Einem Betroffenen steht die Möglichkeit offen, inländischen Gewerkschaften oder einer Nichtregierungsorganisationen, die Ermächtigung zur Prozessführung zu erteilen.
Sanktionen bei Verstößen gegen das Lieferkettengesetz:
Die geplanten Sanktionen bei Verstößen gegen die Sorgfaltspflichten sind weitreichend:
Chancen und Risiken des Lieferkettengesetzes:
Die Vorteile, welche das Lieferkettengesetz mit sich bringt, liegen auf der Hand:
So gut die Argumente für ein Lieferkettengesetz auf dem Papier auch aussehen mögen. In der Praxis würde das Lieferkettengesetz für erhebliche Probleme sorgen.
Praxishinweise und Bewertung:
Sollte das Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, in der bisher bekannten Form, kommen, so sollten Unternehmen nach Verabschiedung des Gesetzes umgehend folgende Umsetzungsschritte einleiten:
Aus zweierlei Gründen erscheint es empfehlenswert, mit der internen Umsetzung so zügig wie möglich zu beginnen. Sollte das Lieferkettengesetz in dieser Fassung am 01. Januar 2023 in Kraft treten, so bleibt den größeren Unternehmen zum einen nur noch eine spärlich bemessene Zeitspanne für die Umsetzung. Zum anderen ist die gesamte Lieferkette betroffen, was die Umsetzung an Komplexität gewinnen lässt. Wie oben bereits dargestellt, sollten auch die kleineren Unternehmen schon jetzt Vorkehrungen treffen, denn auch wenn sie nicht unmittelbar betroffen sind, werden sie als Teil der Lieferkette eines Großkunden jedenfalls mittelbar betroffen sein.
Gerade mit Blick auf die drohenden Sanktionen wäre es verfehlt, den Entwurf eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten lediglich als zahnlosen Papiertiger zu betrachten.
Nach dem bisherigen Gesetzesentwurf ist die Ausweitung zivilrechtlicher Haftungsregelungen zwar nicht geplant. Doch drohen den Unternehmen aufgrund der neuen Bußgeldtatbestände bei Nichtbeachtung der Sorgfaltspflichten erhebliche finanzielle Einbußen. Nicht zu verachten ist auch das Reputationsrisiko, welches die Unternehmen trifft, wenn sie ihren Verpflichtungen nicht oder nicht ausreichend nachgekommen sind.
Die Kritik am bisherigen Gesetzesentwurf ist berechtigt und es bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber hier noch deutlich nachbessern wird. Besonders die zahlreiche Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe ist im Hinblick auf die dadurch entstehende Rechtsunsicherheit kritisch zu betrachten. Ebenso die uferlose Definition der Lieferkette, die zumindest nach dem aktuellen Entwurf so ausgelegt werden kann, dass die Produktion eines jeden im Unternehmen benutzten Gegenstandes sowie alle von Unternehmen bezogene Leistungen umfasst sein können. Denn eine Einschränkung auf Gegenstände und Leistungen, die von fundamentaler Bedeutung für das Geschäft des jeweiligen Unternehmens sind, ist im Gesetzestext bislang nicht vorgesehen.
Für eine deutliche Entschärfung könnte die Aufnahme einer Klausel sorgen, wonach keine Verletzung der Sorgfaltspflichten vorliegt, wenn das Unternehmen vernünftigerweise davon ausgehen durfte, in angemessener Weise zu handeln.
Der Bundesrat hat am 07. Mai 2021 beschlossen, gegen den Gesetzesentwurf keine Einwendungen zu erheben.
Den Entwurf des Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten finden Sie hier.
Haben Sie Rückfragen oder Unterstützungsbedarf? Nehmen Sie gerne Kontakt auf: Talke.Ovie@hlw-muenster.de / nils.harnischmacher@hlw-muenster.de