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Strafbarkeit der Umgehung von EU-Sanktionen?

Seit Beginn des Angriffskrieges von Russland gegen die Ukraine hat die EU mittels zahlreicher Sanktionspakete die Verordnung (EU) Nr. 833/2014 (Russland-Embargo) verschärft. Hierdurch ist es für viele Güter zu einem Stillstand von unmittelbaren Lieferungen nach Russland gekommen. Es ist jedoch vermehrt festzustellen, dass sanktionierte Güter dennoch auf Umwegen nach Russland gelangen. Um eine Umgehung der Embargo-Maßnahmen zu verhindern, ist angedacht, Sanktionsumgehungen stärker ins strafrechtliche Visier zu nehmen. Die nachfolgenden Ausführungen setzen sich mit der Frage auseinander, ob und inwieweit dies (aktuell) rechtlich möglich ist.

Begriff der Umgehung

Gemäß Artikel 12 Verordnung (EU) Nr. 833/ 2014 ist es verboten, sich wissentlich und vorsätzlich an Tätigkeiten zu beteiligen, mit denen die Umgehung der in dieser Verordnung vorgesehenen Verbote bezweckt oder bewirkt wird. Eine Definition des Begriffs „Umgehung“ gibt es in der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 nicht. Auch sonst existiert keine allgemein gültige Definition dieses Begriffs. In der Literatur werden unter einer „Umgehung“ Handlungen verstanden, die darauf gerichtet sind, dass das durch die Sanktionsmaßnahmen untersagte Verhalten auf andere Weise, wie etwa durch Zwischenschaltung weiterer Personen oder durch Täuschung, erreicht wird. In der Rechtsprechung wird der Begriff beschrieben als eine Aktivität, die zwar unter dem Deckmantel einer Form vorgenommen wird, mit der die Erfüllung des Verbotstatbestandes vermieden werden soll, die jedoch als solche oder auf Grund ihres Zusammenhanges mit anderen Aktivitäten unmittelbar oder mittelbar bezweckt oder bewirkt, dass das aufgestellte Verbot ausgehebelt wird.

Diese Begriffsbestimmungen verdeutlichen, dass eine Umgehung stets einen Verbotstatbestand voraussetzt, der umgangen wird. Für das Russland-Embargo sei beispielhaft das Ausfuhrverbot von Gütern des Anhangs VII in Artikel 2a Verordnung (EU) Nr. 833/2014 oder das Einfuhrverbot von Eisen und Stahlerzeugnissen in Artikel 3g Verordnung (EU) Nr. 833/2014 erwähnt. Darüber hinaus existieren (mit zunehmender Tendenz) unzählige weitere Verbotstatbestände in der Verordnung (EU) Nr. 833/2014.

Strafbarkeit von Umgehungen

Ursprünglich sah das Außenwirtschaftsgesetz (AWG) in §34 Absatz 4 AWG eine Strafbarkeit des Verstoßes gegen das Umgehungsverbot in §34 Absatz 4 Nummer 2 AWG a.F. vor. Bereits im Jahr 2010 hatte sich der Bundesgerichtshof (BGH) in einer Entscheidung kritisch hinsichtlich dieser Strafbarkeit geäußert, da das Umgehungsverbot „unter Einebnung der Unterscheidung zwischen Täterschaft und Teilnahme in geradezu uferlose Weite auf alle möglichen Verhaltensformen ausgedehnt“ werden könnte. Es stelle sich daher die Frage, ob die Strafbarkeit gegen den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz in Artikel 103 Absatz 2 Grundgesetz (GG) verstoße. Der Bestimmtheitsgrundsatz besagt, dass der Gesetzgeber die Voraussetzungen einer Strafbarkeit oder Bußgeldbewehrung so konkret zu umschreiben  hat, dass sich der Anwendungsbereich der Straftat- oder Bußgeldtatbestände aus dem Wortlaut entnehmen lässt oder jedenfalls im Wege der Auslegung ermittelt werden kann. Im Zuge der Reform des AWG im Jahr 2013 hat sich der deutsche Gesetzgeber diese Kritik zu Herzen genommen und auf die Strafbarkeit des Verstoßes gegen das Umgehungsverbot verzichtet. Die maßgebliche Strafvorschrift von §18 Absatz 1 Nummer 1 a) AWG enthält demgemäß zwar eine Strafbarkeit für Verstöße gegen zahlreiche in EU-Sanktionsverordnungen enthaltene Verbote, es wird jedoch nicht (mehr) eine Zuwiderhandlung gegen das Umgehungsverbot aufgeführt.

Erfassung von Umgehungen durch weite Auslegung von Verbotstatbeständen?

Bereits in der Begründung zur Streichung der Strafbarkeit des Verstoßes gegen das Umgehungsverbot wies der Gesetzgeber darauf hin, dass Strafbarkeitslücken durch eine weite Auslegung des Tatbestandsmerkmals des „Bereitstellungsverbots“ aufgefangen werden könnten. Das Bereitstellungsverbot betrifft den Bereich der personenbezogenen Sanktionen. Danach dürfen natürlichen oder juristischen Personen, die auf den Sanktionslisten der EU gelistet sind, weder unmittelbar noch mittelbar Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Insbesondere durch eine weite Auslegung des „mittelbaren“ Bereitstellungsverbotes soll also eine Umgehung des Bereitstellungsverbotes verhindert und damit letztlich ein (strafbares) Umgehungsverbot wieder eingeführt werden.

Darüber hinaus sind im Russland-Embargo (wie auch in anderen Embargo-Verordnungen) nicht nur unmittelbare, sondern auch mittelbare Verhaltensweisen verboten. So ist etwa bei dem Einfuhrverbot für Eisen- und Stahlerzeugnisse nicht nur die unmittelbare, sondern auch die mittelbare Einfuhr von Eisen- und Stahlerzeugnissen in die EU verboten. In der Literatur und offenbar auch seitens der Bundesstaatsanwaltschaft lassen sich Tendenzen dahingehend erkennen, durch eine weite Auslegung des Begriffs „mittelbar“ eine Umgehung der Sanktionen zu verhindern. Verstöße gegen mittelbare Verhaltensweisen werden gemäß §18 Absatz 1 Nummer 1 a) AWG strafrechtlich sanktioniert. Für den Fall eines fahrlässigen Verstoßes sieht §19
AWG einen Bußgeldtatbestand vor.

Nach unserem Dafürhalten begegnet diese Vorgehensweise rechtsdogmatischen Bedenken. Zunächst kann in rechtssystematischer Hinsicht eine Umgehung nach dem Willen des EU-Gesetzgebers nicht das gleiche wie eine mittelbare Verhaltensweise sein. Anderenfalls hätte keine Notwendigkeit dafür bestanden, sowohl mittelbare Verhaltensweisen als auch Umgehungen getrennt in eigenständigen Regelungen zu sanktionieren. Hinzukommt, dass eine uferlose Ausdehnung des Begriffs „mittelbar“ genauso wie die uferlose Weite des Umgehungsverbotes verfassungsrechtlichen Bedenken auf Grund des Bestimmtheitsgebots von Artikel 103 Absatz 2 GG begegnet.

Bestrebungen des EU-Gesetzgebers

Möglicherweise kommt es bald auf Initiative des EU-Gesetzgebers zu der (erneuten) Einführung eines Straftatbestandes für den Verstoß gegen das Umgehungsverbot. Am 02.12.22 hat die EU-Kommission den Vorschlag für eine Richtlinie zur Definition von Straftatbeständen und Sanktionen beim Verstoß gegen restriktive Maßnahmen der Union vorgelegt. Darauf basierend gibt es seit dem 09.06.23 auch einen Standpunkt des Rates zur Harmonisierung auf der Ebene der Mitgliedstaaten hinsichtlich Straftatbeständen und Sanktionen für Verstöße gegen restriktive Maßnahmen der EU.

Hintergrund für diesen Vorschlag ist, dass die EU-Mitgliedstaaten Verstöße gegen EU-Sanktionen unterschiedlich ahnden. So hat etwa in zwölf EU-Mitgliedstaaten der Verstoß gegen eine EU-Sanktion ausschließlich eine Straftat zur Folge, wohingegen in dreizehn EU-Mitgliedstaaten ein Verstoß gegen EU-Sanktionen entweder als Ordnungswidrigkeiten oder als Straftat verfolgt werden kann. In zwei EU-Mitgliedstaaten hat ein Verstoß gegen EU-Sanktionen lediglich eine verwaltungsrechtliche Sanktion zur Folge. Die Freiheitsstrafen variieren zwischen zwei und zwölf Jahren, die maximalen Geldbußen bei natürlichen Personen zwischen 1.200,00€ und 5 Mio.€ und bei juristischen Personen zwischen 133.000,00 € und 37,5 Mio.€.

Nach dem Richtlinienvorschlag sind nicht nur Verstöße gegen EU-Sanktionsvorschriften zu ahnden, sondern auch Verstöße gegen die Umgehung restriktiver Maßnahmen. Sämtliche EU-Mitgliedstaaten sollen über verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen für Verstöße gegen restriktive Maßnahmen verfügen.

Zwar ist der Richtlinienvorschlag zur Einführung der Strafbarkeit wegen Verstoßes gegen Umgehungen zunächst auf die personenbezogenen Sanktionen beschränkt. Folglich hat dies keine Auswirkungen für die Umgehung der güterbezogenen Sanktionen, wie etwa Artikel 12 Verordnung (EU) Nr. 833/2014. Allerdings ist angesichts der zunehmenden Umgehung der güterbezogenen Sanktionen der EU die politische Diskussion insoweit noch nicht abgeschlossen.

Auswirkungen für die Praxis

Ob und inwieweit Umgehungsverstöße zukünftig unter die Verbote von mittelbaren Verhaltensweisen subsumiert werden oder ob es gar zur neuen (erneuten) Einführung eines Straftatbestandes wegen eines Verstoßes gegen das Umgehungsverbot kommt, bleibt abzuwarten und ist nicht ausgeschlossen.

Für Unternehmen, deren Güter in den Anwendungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 fallen, bedeutet dies ein erhöhtes Maß an Sorgfalt, um sich keines Risikos eines Verstoßes gegen ein mittelbares Verbot bzw. einer Umgehung auszusetzen.

Insoweit ist darauf zu achten, ob sich Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen sanktionierte mittelbare Verhaltensweisen ergeben. So ist etwa nach Möglichkeit durch Einholung von Endverbleibserklärung oder vertragliche Klauseln sicherzustellen, dass durch die Kunden nicht gegen sanktionierte Verhaltensweisen verstoßen wird. Dabei ist zu berücksichtigen, dass je nach Land, in dem der Kunde ansässig ist, gegebenenfalls Anti-Blocking-Maßnahmen einschlägig sind. Ferner wird es in Zukunft die eine oder andere (gerichtliche) Entscheidung dazu geben, welche Sorgfaltspflichten von den Wirtschaftsbeteiligten einzuhalten sind, um Verstöße gegen mittelbare Verhaltensweisen und damit auch Umgehungen zu verhindern. Vorstellbar ist, dass diese Entscheidungen je nach Mitgliedstaat der EU unterschiedlich ausfallen, auch wenn die Europäische Kommission mit der „Mitteilung an Wirtschaftsakteure, Einführer und Ausführer“ (2022/C 145 I/01) versucht hat, diese Frage EU-einheitlich zu lösen.

 

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