In zwei Urteilen vom 21.07.2015 (Az.11 K 1466/13 und Az. 11 K 1506/13) hat sich das Finanzgericht Baden-Württemberg mit der Zollschuldentstehung in der Person von LKW-Beifahrern und juristischen Personen beim vorschriftswidrigen Verbringen befasst.
Sachverhalt
Bei den beiden Klägern handelt es sich um ein in Tschechien ansässiges Logistikunternehmen sowie um einen im Rahmen eines Probearbeitsverhältnisses Angestellten dieses Unternehmens, der auf Weisung der Firma zusammen mit einem für seine Einweisung zuständigen Kollegen mit einem LKW Waren von der Schweiz nach Tschechien transportieren sollte.
Nachdem die Waren in der Schweiz abgeholt wurden, fuhr der LKW zum Grenzübergang Deutschland/Schweiz, wo die Waren in den steuer- und zollrechtlich freien Verkehr überführt werden sollten. Bei der Schweizer Zollstelle wurden die Waren ordnungsgemäß zur Ausfuhr abgefertigt, woraufhin der LKW nach Deutschland fuhr, ohne jedoch die Waren auch durch deutsche Zollbeamte abfertigen zu lassen. Weil dem Dispatcher des Logistikunternehmens der Fehler auffiel, wurden die Fahrer angewiesen, zurück zur deutschen Zollstelle zu fahren, um die Anmeldung nachzuholen.
Das zuständige Hauptzollamt (HZA) erließ daraufhin Einfuhrabgabenbescheide gegenüber dem Logistikunternehmen, dem LKW-Fahrer sowie dessen Beifahrer. Die Kläger begehren die Aufhebung der ihnen gegenüber festgesetzten Abgabenbescheide.
Der LKW-Beifahrer führt an, er sei „nur“ Beifahrer gewesen, trage keine Verantwortung für den Transport und sei mithin gar nicht für die zollrechtliche Abfertigung zuständig gewesen. Außerdem hätten die Schweizer Zollbeamten ihnen klargemacht, dass die dort vorgenommene Abfertigung auch für Deutschland gilt. Dass die Abfertigungskabinen bei der deutschen Zollstelle unbesetzt gewesenen seien bestätige dies. Der Festsetzung der Einfuhrabgaben liege somit ein Vollzugsdefizit der deutschen Zollbehörden zugrunde. Im Übrigen sei der LKW unverzüglich nach Bekanntwerden der vergessenen Abfertigung umgekehrt, um diese nachzuholen, was eine Heilung des Fehlers darstelle.
Das Logistikunternehmen ist der Ansicht, dass es selbst bei tatsächlich entstandener Zollschuld nicht Zollschuldner sei, da es nicht am vorschriftswidrigen Verbringen beteiligt gewesen sei. Auch habe es davon nichts gewusst oder wissen müssen, da sie die beiden Fahrer zuvor zollrechtlich eingewiesen haben und der Fahrer selbst bereits einige Male eine solche Fahrt unternommen habe.
In beiden Fällen entschied das Finanzgericht, dass die gegenüber den Klägern erlassenen Abgabenbescheide aufgehoben werden.
Entscheidungsgründe
Im Fall des LKW-Beifahrers bestätigte das Gericht die grundsätzlich bestehende Zollschuldnerschaft eines LKW-Beifahrers im Rahmen des vorschriftswidrigen Verbringens. Es sei vorliegend irrelevant, dass die Abfertigungskabinen unbesetzt waren, da es sich bei der Gestellung um eine zugangsbedürftige Mitteilung handelt. Auch eine lange Wartezeit auf Zollbeamte spiele keine Rolle, das Institut des Vollzugsdefizits sei im Zollrecht nicht vorgesehen. Ebenso wenig existiere eine Heilungsmöglichkeit durch die Nachholung der Gestellung, sobald einmal der Zollschuldentstehungstatbestand verwirklicht wurde.
Allerdings trage komme die Zollschuldnerschaft eines Beifahrers als Fahrer gem. Art. 202 Abs. 3 erster Gedankenstrich ZK nur dann in Frage, wenn eine Verantwortung hinsichtlich des Verbringens besteht. Grundsätzlich ist diese Verantwortung zu bejahen, im vorliegenden Fall jedoch gerade nicht. Der Beifahrer befand sich in einer Art „Anlernzeit“ ohne eigene Verantwortung. Er sei vielmehr mitgefahren, um Besonderheiten beim Transport sensibler pharmazeutischer Waren (einzuhaltende Temperatur etc.) sowie zollrechtlich relevante Vorgaben zu lernen.
Auch der Entstehungstatbestand des Art. 202 Abs. 3 zweiter Gedankenstrich ZK als Beteiligter scheide aus, da es dem Beifahrer vorliegend an dem subjektiven Element fehle. Dabei folgte das Gericht den Ausführungen des Klägers, er habe keine zollrechtliche Einweisung durch das Unternehmen erhalten und daher auf die Einschätzung des schon länger beschäftigten und erfahrenen LKW-Fahrers vertraut.
Abschließend betont das Gericht, dass selbst wenn der Kläger Zollschuldner geworden sein sollte, der an diesen gerichtete Abgabenbescheid rechtswidrig sei, da ein Fehler der Behörde in ihrem Auswahlermessen vorliege.
Im Hinblick auf das Logistikunternehmen stellte das Gericht fest, dass grundsätzlich auch juristische Personen Zollschuldner beim vorschriftswidrigen Verbringen von Waren werden können. Dies gilt allerdings nur, wenn das Unternehmen mit seinem Verhalten den Grund dafür gesetzt hat. Es komme also darauf an, ob die Klägerin alles unternommen hat, was vernünftigerweise von ihr erwartet werden kann, um sicherzustellen, dass die fraglichen Waren nicht vorschriftswidrig verbracht werden, insbesondere, ob sie den Fahrer darüber informiert hat, dass er die Waren beim Zoll anmelden muss.
Dies sei vorliegend der Fall. Es sei nicht bewiesen, dass das Logistikunternehmen die Fahrer unzureichend belehrt habe oder zum Zeitpunkt des vorschriftswidrigen Verbringens Kenntnis davon hatte. Außerdem sei eine gute Überwachung des Transports durch den Dispatcher des Logistikunternehmens erfolgt, da der Fehler sehr schnell aufgedeckt wurde. Mit der vorliegend durchgeführten Überwachung des Fahrers durch den zuständigen Dispatcher hat also die Klägerin die ihr obliegenden Pflichten zur Verhinderung eines vorschriftswidrigen Verbringens der Waren erfüllt. Eine Zollschuldnerschaft scheide daher (ebenfalls) aus.
Praktische Auswirkung
Das Urteil bestätigt die Rechtsansicht, dass auch juristische Personen Zollschuldner in den Fällen werden können, in denen Waren vorschriftswidrig verbracht werden. Dies betrifft insbesondere Logistikunternehmen, die in den Transport einer Ware involviert sind, den eigentlichen Transport aber gar nicht vornehmen (sondern deren Mitarbeiter).
Ob diese Rechtsansicht zutreffend ist, halten wir für fraglich, da der ZK definiert, wer als Zollschuldner in Betracht und „juristische Personen, die den Grund für die Verfehlung gesetzt haben“ gehören nicht dazu. Eine Haftung annehmend dürfte die Entscheidung des FG dahingehend zutreffend sein, als dass das Logistikunternehmen als Zollschuldner ausscheidet, da eine Organisation der Abwicklung zollrechtlicher Vorgänge gegeben war.
Ob dies auch in anderen Fällen gegeben ist, wird eine Frage des Einzelfalls sein. In jedem Fall belegt das Urteil, dass eine Organisation zollrechtlicher Vorgänge und deren Überwachung, also das Bestehen einer zollrechtlichen Compliance-Struktur entlastet.
Spannend dürfte die rechtliche Wertung in den Fällen sein, in denen nicht das Logistikunternehmen selbst (als Frachtführer), sondern ein anderes Unternehmen, insbesondere ein Unterfrachtführer die Verfehlung begeht. Hier sei die Frage erlaubt, ob nicht auch dann eine bestehende Organisation und Überwachung entlastend wirken muss und damit die Garantenhaftung als Hauptverpflichteter durchbrochen können werden muss.