Steuerrecht/ Zollrecht

Kein Erlöschen von Einfuhrumsatzsteuer und Verbrauchsteuern beim Erlöschen von Zollschulden

In seinem Urteil vom 07.04.2022 (C-489/20 – UB) hatte der EuGH darüber zu entscheiden, ob im Falle des Erlöschens von Zollschulden auch die gleichzeitig mit der Zollschuld entstandenen Einfuhrumsatzsteuern und Verbrauchssteuern erlöschen. Der EuGH verneinte dies.

 

I. Sachverhalt
Im vom EuGH zu entscheidenden Fall hatte der Kläger (zusammen mit anderen Tatbeteiligten) Zigaretten unrechtmäßig aus Belarus in das Gebiet Litauens verbracht. Die 6.000 Schachteln Zigaretten wurden an einem abgelegenen Ort über die Staatsgrenze geworfen und dort in Besitz genommen. Kurz darauf wurde das Kraftfahrzeug, welches die betreffenden Waren auf dem Gebiet Litauens transportierte, von Grenzbeamten kontrolliert und die Zigarettenschachteln beschlagnahmt. Im Rahmen des Strafverfahrens wurde die Einziehung der Zigaretten und ihre Vernichtung angeordnet. Darüber hinaus setzte die Zollverwaltung Verbrauchsteuern (10.237 Euro) und Einfuhrumsatzsteuer (2.679 Euro) fest. Eine Einfuhrzollschuld wurde dagegen von der Zollverwaltung nicht festgesetzt, da diese die Ansicht vertrat, dass die Zollschuld nach Art. 124 Abs. 1 Buchst. e des UZK erloschen sei.

 

II. Entscheidung des EuGH

1. Zur Entstehung von Abgaben
Nach Art. 79 Abs. 1 Buchst. a) UZK, Art. 2 Abs. 1 Buchst. d), Art. 70 MwStSystRL, Art. 7 Abs. 1 2 Buchst. d) der Richtlinie über das allgemeine Verbrauchssteuersystem (2008/118/EG) sind durch das Verbringen der Zigarettenschachteln in das Staatsgebiet Litauens und damit in das Zoll- und Mehrwertsteuergebiet der EU sowohl Einfuhrzölle als auch Mehrwertsteuer und Tabaksteuer entstanden.

Einfuhrzölle und Einfuhrumsatzsteuer entstehen nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH gleichermaßen durch die Einfuhr in die Union und die anschließende Überführung in den Wirtschaftskreislauf der Mitgliedstaaten. Diese Parallelität wird nach Ansicht des EuGH auch dadurch bestätigt, dass Art. 71 Abs. 1 UAbs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie die Mitgliedstaaten dazu ermächtigt, den Steuertatbestand und die Entstehung des Steueranspruchs der Einfuhrmehrwertsteuer mit dem Tatbestand und der Entstehung des Anspruchs bei Zöllen zu verknüpfen (vgl. EuGH Urt. v. 28.02.1984 – Einberger – C-294/82, Rn. 18; EuGH, Urt. v. 11.07.2013 – Harry Winston – C-273/12, Rn. 41; EuGH, Urt. v. 10.07.2019 – FedEx – C-26/18, Rn. 41; EuGH, Urt. v. 03.03.2021 – Hauptzollamt Münster – C-7/20, Rn. 29). Diese ständige Rechtsprechung wird durch die hier in Rede stehende Entscheidung des EuGH weiter gefestigt (vgl. EuGH, Urt. v. 07.04.2022 – UB – C-489/20, Rn. 47).

In dem hier relevanten Fall geht der EuGH davon aus, dass die eingeschmuggelten Zigarettenschachteln einem Verbrauch, d. h. dem mit der Mehrwertsteuer belasteten Vorgang, zugeführt werden konnten, ohne dies weiter zu begründen. Die Zigaretten sind daher auch im mehrwertsteuerrechtlichen Sinn in den Wirtschaftskreislauf gelangt, sodass die Einfuhrumsatzsteuer entstanden war.

2. Zum Erlöschen der Zollschuld
Nach Art. 124 Abs. 1 Buchst. e) UZK erlöschen Zollschulden, wenn die einfuhrabgabenpflichten Waren eingezogen werden. Dies gilt ausweislich des Wortlauts der Norm auch dann, wenn die Waren zunächst beschlagnahmt und nachfolgend eingezogen werden. Diese Voraussetzung war in dem, dem EuGH zur Entscheidung vorgelegten, Fall gegeben, sodass die entstandene Zollschuld erloschen ist.

Das vorlegende Gericht verwies darauf, dass der Wortlaut des Art. 124 Abs. 1 Buchst. e) des UZK sich von der altern Norm (vgl. Art. 233 Abs. 1 Buchst. d) der Verordnung Nr. 2913/92) unterscheide, der ausdrücklich vorgesehen habe, dass die Beschlagnahme geschmuggelter Waren „bei dem vorschriftswidrigen Verbringen“ dieser Waren erfolgen müsse, damit die Zollschuld als erloschen angesehen werde. Deshalb könne man die Ansicht vertreten, dass nach dem UZK der Zeitpunkt der Beschlagnahme nunmehr unerheblich sei und dass die Zollschuld auch dann erlösche, wenn die Schmuggelware erst beschlagnahmt werde, nachdem sie bereits in das Zollgebiet der Europäischen Union verbracht worden sei, d. h. außerhalb der Zone, in der sich die erste innerhalb dieses Gebiets liegende Zollstelle befinde.

In diesem Zusammenhang führte der EuGH aus, dass der Wortlaut des Art. 124 Abs. 1 Buchst. e) UZK nicht auf den Zeitpunkt der Beschlagnahme der Ware als Voraussetzung für das Erlöschen der Zollschuld bezieht. Der Unionsgesetzgeber habe sich beim Erlass von Art. 124 Abs. 1 Buchst. e) UZK dafür entschieden, das Erlöschen der Zollschuld nicht mehr davon abhängig zu machen, dass die Beschlagnahme gleichzeitig mit dem Verbringen der Waren in das Zollgebiet der Europäischen Union erfolgt. Daher sei die Tatsache, dass die Beschlagnahme und die anschließende Einziehung nach der unrechtmäßigen Einfuhr von Waren in das Zollgebiet der Europäischen Union stattgefunden haben, für die Anwendbarkeit der Norm ohne Bedeutung, sodass in diesem Fall die damit zusammenhängende Zollschuld ebenso als erloschen anzusehen ist (vgl. EuGH, Urt. v. 07.04.2022 – C-489/20 – UB, Rn. 25 ff.). Zollschulden erlöschen demnach auch, wenn die Waren zuvor vorschriftswidrig in die EU verbracht wurden.

3. Zum Erlöschen der Einfuhrumsatzsteuer und Verbrauchsteuer
Eine mit Art. 124 Abs. 1 Buchst. e) UZK vergleichbare Erlöschensnorm existiert weder im Mehrwertsteuer- noch im Verbrauchsteuerrecht. Der EuGH hatte hier jedoch darüber zu entscheiden, ob auch die Mehrwertsteuer und die Verbrauchssteuer erlöschen, wenn es zum Erlöschen der Zollschuld kommt. Ein Gleichlauf mit dem Zollrecht erscheint dabei keinesfalls abwegig. Als Grund für die Anknüpfung an den zollrechtlichen Erlöschenstatbestand könnte man anführen, dass sowohl das Mehrwertsteuerrecht als auch das Verbrauchssteuerrecht, bezüglich der Entstehung der Abgaben, an die „Einfuhr“ der Waren anknüpfen und die Einfuhr grundsätzlich zollrechtlich definiert ist. Gestützt wird diese Ansicht auch durch Art. 71 MwStSystRL, der sowohl den Steuertatbestand als auch den Steueranspruch der Mehrwertsteuer an die die Entstehung der Zollschuld knüpft.

Trotz dieser durchaus plausiblen Argumente verneint der EuGH ein Erlöschen von Mehrwertsteuer und Verbrauchsteuer (hier: Tabaksteuer). Dies begründet der EuGH u. a. damit, dass Waren, die vorschriftswidrig eingeführt worden sind, als in den steuerrechtlich freien Verkehr verbracht gelten, sodass auch die spätere Unterstellung unter ein Nichterhebungsverfahren, die einmal entstandenen Verbrauchssteuern nicht erlöschen lässt (vgl. EuGH, Urt. v. 07.04.2022 – C-489/20 – UB, Rn. 44).

Bezüglich der Mehrwertsteuerpflicht führt der EuGH lediglich aus, dass der Entstehungstatbestand für die Mehrwertsteuer bereits erfüllt ist und die Mehrwertsteuerrichtline keine Bestimmung enthält, die das Erlöschen der Pflicht zur Entrichtung der Steuer im Falle des Erlöschens der Zollschuld für Schmuggelware aus dem in Art. 124 Abs. 1 Buchst. e) UZK genannten Grund vorsieht. Daraus folge, dass der einmal entstandene Mehrwertsteueranspruch für solche Waren fortbestehe.

 

III. Bewertung
Wie bereits festgestellt lehnt der EuGH die Anwendung der zollrechtlichen Erlöschenstatbestände auf das Verbrauchssteuerrecht und Mehrwertsteuerrecht mangels gesetzlicher Grundlage ab. Die Entscheidung des EuGH ist zwar nachvollziehbar, bringt für die Praxis jedoch keine Verbesserung. Ein Erlöschenstatbestand, der mit den Tatbeständen des UZK vergleichbar ist, würde in der Praxis in vielen Fällen dabei helfen, ein interessengerechtes Ergebnis zu finden. Da der EuGH es mit seiner hiesigen Entscheidung abgelehnt hat, Abhilfe durch eine analoge Anwendung der zollrechtlichen Vorschriften zu schaffen, sollte dieses Urteil zumindest ein Anstoß für den Richtliniengeber sein, zeitnah eine entsprechende rechtliche Grundlage zu schaffen.

Haben Sie Rückfragen oder Unterstützungsbedarf? Nehmen Sie gerne Kontakt auf: Talke.Ovie@hlw-muenster.de

Anschrift

Hafenweg 8, 48155 Münster
Postfach 3410, 48019 Münster
Parkmöglichkeiten in hauseigener Tiefgarage

Kontakt