Nur noch sichere Luftfracht darf in Luftfahrzeuge verladen werden. Luftfracht, die nicht aus einer sicheren Lieferkette stammt, muss vor dem Verladen einer Kontrolle durch einen vom Luftfahrt-Bundesamt zugelassenen regB unterzogen werden, um als „secured“ zu gelten. Kontrolliert wird unsichere Luftfracht entweder durch Röntgen, Sprengstoffdetektion oder auch durch Auspacken und Durchsuchen von Hand. Diese Kontrollen können zu Schäden an der Ware führen. In der Praxis verlangt der regB deshalb eine Enthaftungserklärung vom Versender, die ihn von Haftungsansprüchen bei Schäden durch die Kontrolle weitgehend freistellen soll. Sind diese Enthaftungserklärungen wirksam und kann der regB mögliche Schäden wirklich per Erklärung auf den Versender abwälzen?[1]
Hintergrund
Mit der VO (EG) Nr. 300/2008 und der VO (EG) Nr. 185/201 wurden europaweit geltende Standards für die Sicherheit in der zivilen Luftfahrt geschaffen. Danach sind Luftfrachtsendungen, die nicht als „secured“ aus einer sicheren Lieferkette stammen, vom regB auf verbotene Gegenstände zu kontrollieren. Zwecks Kontrolle kann es erforderlich sein, dass die Luftfracht geöffnet und durchsucht werden muss.
Durch das Öffnen und die Kontrolle können Schäden an der Ware selbst oder an der Verpackung entstehen. Möglich sind aber auch Schäden, die während der Beförderung entstehen, wie z.B. die Bildung von Rost aufgrund des mangelhaften (Wieder-)Verschließens der Luftfracht nach der Kontrolle. Je nach Ware kann der Schaden an dieser sehr hoch sein.
Vor allem auch aufgrund der Höhe eines solchen Schadens möchte der regB seine Haftung für Schäden, die aus dem Öffnen und der manuellen Kontrolle der Luftfrachtsendung resultieren, begrenzen. Zu diesem Zweck ist es derzeit gängige Praxis, dass der Versender einen vom regB vorformulierten „Auftrag zur Kontrolle nach der VO 300/2008“ sowie eine „Enthaftungserklärung“ unterzeichnet.
“In Kenntnis der Maßnahmen erklären wir uns damit einverstanden, dass die Verpackung der Luftfrachtsendung zur Durchführung der Sicherheitskontrolle geöffnet werden darf. Wir verzichten auf jeglichen, infolge des Öffnens nach der VO (EG) Nr. 300/2008 im Rahmen der vorgeschriebenen Sicherheitskontrolle möglicherweise entstandenen Schadensersatz gegenüber der Firma […], sofern dieser Schaden nicht auf grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz zurückzuführen ist“.
Fraglich ist, ob diese „Enthaftungserklärung“ für Schäden, die in Folge des Öffnens der Verpackung und der manuellen Kontrolle der Luftfrachtsendung entstehen, wirksam ist. Es gibt Ansätze, die dagegen sprechen.
Bei der Beurteilung ist vor allem entscheidend, ob es sich bei den Sicherheitskontrollen um eine speditionelle Nebenpflicht oder eine speditionsuntypische Leistung handelt.
Speditionelle Nebenpflicht
Gemäß § 454 Abs.2 S. 1 HGB zählt zu den Pflichten eines Spediteurs nicht nur die Besorgung der Versendung, sondern auch die Ausführung sonstiger auf die Beförderung bezogener Leistungen (Nebenpflichten).
Es sprechen (gute) Argumente dafür, dass es sich auch bei der Sicherheitskontrolle der Luftfrachtsendung durch den regB um eine solche sonstige auf die Beförderung bezogene Leistung, also eine Nebenpflicht des regB aus dem Speditionsvertrag handelt. Die Durchführung der Sicherheitskontrolle weist eine starke Nähe zur eigentlichen Beförderung auf. Eine Versendung des Gutes auf dem Luftweg kann ohne die Sicherheitskontrolle der Luftfracht nicht (zweckmäßig) organisiert und abgewickelt werden. Ohne die Sicherheitskontrolle kann die Luftfracht nicht als den Status „secured“ erlangen und versandt werden. Durch den „Auftrage zur Kontrolle nach der VO (EG) Nr. 300/2008“ hat der regB diese Pflicht zur Durchführung der Sicherheitskontrolle auch ausdrücklich übernommen.
Gemäß § 461 Abs.1 HGB haftet der Spediteur für den Schaden, der durch die Beschädigung des in seiner Obhut befindlichen Gutes entsteht (verschuldensunabhängige Obhutshaftung). Wird also die Luftfracht beim Öffnen durch den regB beschädigt, ist das Gut in der Obhut des regB beschädigt worden. Fängt die Luftfracht während des Fluges aufgrund der Luftfeuchte an zu rosten, weil die Sendung nicht wieder ordnungsgemäß verschlossen wurde, wurde die Sendung zwar nicht in der Obhut des Spediteurs beschädigt, allerdings ist das Öffnen der Luftfracht ursächlich für den Schaden.
Abweichungen von der Obhutshaftung können nicht formularmäßig, d.h. durch AGB, wohl aber durch Aushandeln im Einzelfall wirksam vereinbart werden. Aushandeln bedeutet aber, dass jede Partei die Möglichkeit hat, auf den Regelungsinhalt Einfluss zu nehmen. Dies ist der Fall, wenn beide Vertragsparteien die Regelungsalternativen erörtern und gemeinsam den maßgeblichen Vertragstext formulieren. Wird der Vertragstext von einer Partei vorgeschlagen, muss sie dessen Inhalt ernsthaft zur Disposition stellen.
In der derzeit bekannten Fallkonstellation wird die „Enthaftungserklärung“ vom regB nicht ernsthaft zur Disposition gestellt. Die Erklärung wird in den meisten Fällen mit der Bitte um Unterzeichnung online veröffentlicht. Die Unterzeichnung wird zur Bedingung für die Kontrolle der Luftfracht gemacht. Eine wirksame Haftungsbegrenzung der Obhutshaftung ist so nicht wirksam möglich.
Speditionsuntypische Leistung
Dafür, dass es sich bei der Sicherheitskontrolle der Luftfracht um eine speditionsuntypische Leistung handelt,spricht, dass die Kontrolle der Luftfrachtsendung auch durch eine andere Person, d.h. einen anderen Dienstleister als den regB durchgeführt werden kann. Die Durchführung der Sicherheitskontrolle hängt nicht zwangsläufig mit der Tätigkeit als Luftfrachtspediteur zusammen. Folge davon wäre, dass die Sicherheitskontrolle dem allgemeinen Vertragsrecht, insbesondere dem Werkvertragsrecht gemäß §§ 631 BGB, unterliegt. Danach haftet der regB für die Schäden wegen schuldhafter Vertragsverletzung nach § 280 BGB oder deliktischer Haftung gemäß § 823 BGB.
Allerdings besteht eine Schadensersatzpflicht nur dann, wenn der Schaden durch ein vorwerfbares Verhalten verursacht wurde (Verschuldensprinzip). Der regB haftet verschuldensabhängig für Schäden, die an der Sendung aufgrund eines vorsätzlichen oder fahrlässigen Verhaltens entstehen. Haftungsbegrenzungen sind zwar zulässig, dabei wird aber zwischen Haftung für Vorsatz und Fahrlässigkeit unterschieden. Nicht abbedungen werden kann gemäß § 276 Abs. 3 BGB die Haftung für Vorsatz. Der regB kann seine Haftung für vorsätzlich verursachte Schäden nicht im Voraus ausschließen. Ob eine Haftungsbegrenzung für fahrlässiges Verhalten möglich ist, hängt davon ab, ob es sich bei der „Enthaftungserklärung“ um eine individuelle Vereinbarung mit dem Versender handelt oder um AGB.
Bei der bisherigen Praxis der Verwendung einer „Enthaftungserklärung“ dürfte es sich um AGB handeln. AGB sind gemäß § 305 Abs.1 Satz 1 BGB alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei (Verwender) der anderen Vertragspartei bei Abschluss eines Vertrages stellt. Wie bereits dargelegt, liegt zumindest keine individuell ausgehandelte Vereinbarung vor. Der Versender unterzeichnet eine vorformulierte Erklärung, auf die er keinen Einfluss hat. Es spricht viel dafür, dass die „Enthaftungserklärung“ gegen die Vorgaben des § 307 BGB verstößt, der zwischen Unternehmen entsprechend angewandt wird. Zusammengefasst darf sich danach der Verwender der AGB nicht von solchen Pflichten und derer ordnungsgemäßen Erfüllung freizeichnen, derer Erfüllung die ordnungsgemäße Durchführung des Vertrages ermöglicht und auf die der Kunde regelmäßig vertraut und vertrauen darf. Davon erfasst werden auch Nebenpflichten.
Der regB kontrolliert die Luftfracht aufgrund des vom Versender erteilten „Auftrages zur Kontrolle nach der VO (EU) Nr. 185/2010“. Nur eine ordnungsgemäße Sicherheitskontrolle der Luftfracht ermöglicht die Durchführung dieses „Auftrages“. Der Versender darf darauf vertrauen, dass ordnungsgemäß kontrolliert wird. Insoweit handelt es sich bei der Kontrolle um eine wesentliche Vertragspflicht. Die Begrenzung der Haftung des regB auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit dürfte unwirksam sein.
Fazit
Im Hinblick auf die rechtlichen Möglichkeiten einer Haftungsbegrenzung sind verschiedene Gesichtspunkte gegeben, welche die Wirksamkeit der derzeit gängigen Form der „Enthaftungserklärung“ in Frage stellen. Eine Haftungsbegrenzung dürfte, unabhängig von der Einordnung als speditionelle Nebenpflicht oder speditionstypische Leistung, nicht durch AGB, sondern nur durch individuelles Aushandeln zu erreichen sein.
Haben Sie Fragen zu dem Thema “Enthaftungserklärung“ oder anderen Fragen rund um das Zoll-, Außenwirtschafts- und Transportrecht? Sprechen Sie uns an! Gerne stellen wir uns vor! Ihre Ansprechpartner bei HLW sind:
Rechtsanwältin Dr. Talke Ovie, Talke.Ovie@hlw-muenster.de, + 49 (0) 2501 / 4492 – 95.
Rechtsanwalt Dr. Nils Harnischmacher, Nils.Harnischmacher@hlw-muenster.de, + 49 (0) 2501 / 4492 – 95
[1]Dieser Beitrag ist Teil einer Kooperation mit der AOB GmbH (www.aob-consulting.de). Eine detaillierte Darstellung des Themas „Haftung / Enthaftung des regB“ enthält das „Praxishandbuch Luftfrachtsicherheit – bekannterVersender & Co.“ (https://shop.bundesanzeiger-verlag.de/aussenwirtschaft/praxishandbuch-luftfrachtsicherheit/).