Zollrecht

Wir beraten Sie gerne zum Thema "Zollrecht"
» mehr erfahren

Zoll- und Außenwirtschaftsrecht

Erstattung / Erlass von Zollschulden bei mangelnder Sorgfalt der Zollbehörden

Der EuGH hat mit Urteil vom 22.03.2012 (AZ C-506/09 P) entschieden, dass fehlende Sorgfalt nationaler Zollbehörden zu einer den Erlass einer Zollschuld rechtfertigenden besonderen Lage führen kann. Dies ist dann anzunehmen, wenn von den nationalen Zollbehörden eine Sicherheit akzeptiert wird, die nicht ausreicht, um eine sich aus der Gesamtheit von externen gemeinschaftlichen Versandverfahren ergebenden Zollschuld abzusichern.

 

Grundsätzliches

Grundsätzlich sind alle Nichtgemeinschaftswaren, die in das Gebiet der Europäischen Union gelangen, bei ihrer Ankunft zollrechtlich abzufertigen. Vor allem um Engpässe an den Unionsgrenzen zu vermeiden, können nach dem Zollkodex (ZK) Waren im externen gemeinschaftlichen Zollverfahren T1 versandt werden. Hier werden die Waren unter zollamtlicher Überwachung im Zollgebiet befördert und erst an der Zollstelle des Bestimmungsortes, insbesondere durch die Entrichtung des Einfuhrzolls, in den zollrechtlich freien Verkehr überführt. Werden die Waren bei der Durchfuhr der zollamtlichen Überwachung entzogen, entsteht die Einfuhrzollschuld. Als Zollschuldner wird hier in erster Linie der Hauptverpflichtete als Inhaber des Versandverfahrens in Anspruch genommen. Eine Erstattung oder ein Erlass der durch Entziehung entstandenen Zollschuld kann durch eine besondere Lage gerechtfertigt sein. Diese muss sich aus Umständen ergeben, die nicht auf betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit der Beteiligten beruht. Derjenige, der das externe gemeinschaftliche Versandverfahren in Anspruch nimmt, hat um die Erfüllung der Zollschuld sicherzustellen, eine Sicherheit zu leisten. Dabei können die Zollbehörden die Leistung einer Gesamtsicherheit zulassen, um mehrere Vorgänge abzusichern. Stellen sie fest, dass die geleistete Sicherheit nicht, nicht mehr sicher oder nicht vollständig die Erfüllung der Zollschuld gewährleistet, verlangen die Zollbehörden nach Wahl des Betroffenen eine zusätzliche Sicherheit oder die Ersetzung der alten Sicherheit durch eine neue.

 

Sachverhalt

Im entschiedenen Fall hatte ein portugiesisches Transportunternehmen 68 Versandanmeldungen im Zeitraum von einem halben Jahr für die Überführung von 68 Sendungen Tabak und 4 Sendungen Ethylalkohol in den freien Verkehr im Zollgebiet der Union ausgestellt bekommen. Nachdem das Versandverfahren beendet wurde, wurden Unregelmäßigkeiten festgestellt. Es stellte sich heraus, dass einer der Angestellten des Transportunternehmens betrügerisch gehandelt hatte indem er, ohne ihr Wissen, Versandscheine für Schmugglergeschäfte unterzeichnet hatte. Der Angestellte wurde entlassen und verurteilt, das Verfahren gegen die Transportgesellschaft mit der Begründung, dass diese von den Machenschaften des Angestellten keine Kenntnis gehabt habe und die Bevollmächtigten nicht am Betrug beteiligt gewesen seien, eingestellt. Die Transportgesellschaft beantragte die Erstattung und den Erlass der aus der Einfuhr der 68 fraglichen Sendungen entstandenen Zollschuld. Die Europäische Kommission lehnte diesen Antrag ab. Sie war der Ansicht, eine besondere Lage der Gesellschaft habe nicht vorgelegen.

 

Entscheidung

Hiergegen klagte die Transportgesellschaft vor dem EuG. Dieses erklärte die Entscheidung der Kommission für nichtig. Es war der Ansicht, die portugiesischen Zollbehörden hätten eine unzureichende Sicherheit für die 68 Versandscheine akzeptiert. Hätten die Zollbehörden im Zeitpunkt der Ausstellung der Versandscheine überprüft, ob der Betrag der Zölle und anderen Abgaben, die für jede einzelne Ladung hätte entstehen können, durch die von der Transportgesellschaft geleisteten Gesamtsicherheit abgesichert gewesen wären, hätten die Versandscheine nicht ausgestellt werden können. Die tatsächlich gelistete Sicherheit habe nie mehr als 7,29% der geschuldeten Abgaben gesichert, während deren Betrag mindestens 30% der genannten Abgaben hätte sichern müssen. Damit bestehe auch der erforderliche Kausalzusammenhang zwischen fehlender Wachsamkeit der Behörden einerseits und dem Vorliegen der besonderen Lage andererseits. Dieses Urteil wurde vom EuGH nach Einlegung eines Rechtsmittels durch Portugal bestätigt. Das Handeln der und die Überprüfung durch die zuständigen nationalen Zollbehörden ist nach dem EuGH nicht nur im Zeitpunkt der Ausstellung der Bürgschaftsbescheinigung, sondern auch bei der Leistung der zur Absicherung mehrerer Versandverfahren bestimmten Gesamtsicherheit wesentlich. Auch wenn im Zollkodex (ZK) eine formelle Prüfungspflicht fehle, hätten die Zollbehörden gleichwohl alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, wenn sie erkennen, dass zwischen dem Betrag der geleisteten Sicherheit und den Abgaben, die insgesamt für eine bestimmte Gesamtheit von Versandverfahren geschuldet werden, eine Abweichung besteht.

 

Praxisfolgen:

Das Urteil des EuGH ist zu begrüßen. Es berücksichtigt, dass seitens der Zollbehörden die Pflicht besteht, erforderliche Maßnahmen zu ergreifen, wenn sie erkennen, dass betrügerische Machenschaften gegeben sind. Dieses Urteil schützt den redlichen Wirtschaftsbeteiligten. In Zeiten elektronischer Zollabwicklung und zunehmender Vereinfachungen für die Wirtschaftsbeteiligten bleibt abzuwarten, ob dieses Urteil entsprechend Berücksichtigung findet. Der Argumentation der Zollverwaltung und der Europäischen Kommission, dass Wirtschaftsbeteiligte, die als Hauptverpflichtete auftreten, mit betrügerischen Machenschaften als Geschäftsrisiko „zu leben haben“, wird mit dem Urteil ein Stück weit entgegengetreten.

Anschrift

Hafenweg 8, 48155 Münster
Postfach 3410, 48019 Münster
Parkmöglichkeiten in hauseigener Tiefgarage

Kontakt