Zollrecht

Aktuelle Urteile des FG Hamburg 2020

Seit Anfang des Jahres hat das FG Hamburg einige zollrechtliche Entscheidungen gefällt. Dazu gehören unter anderem die folgenden:

  • Entstehung der Einfuhrumsatzsteuer / Tabaksteuer bei Zigaretten
  • Einreihung von Bienenwachs in die Unterposition 1521 9099 KN
  • Pflichten bei der Lagerung Waren im Zolllager

Einfuhrumsatzsteuer bei Zigaretten

Mit Urteil vom 14.01.2020 (AZ 4 K 123/15) hat das FG Hamburg (zusammengefasst) entschieden:

1.

Die jüngere Rechtsprechung des EuGH zur Entstehung der Einfuhrumsatzsteuer (insbesondere die Rechtssache „Federal Express“) ist auch auf das vorschriftswidrige Verbringen von Waren, die für einen anderen Mitgliedstaat bestimmt sind, anwendbar, wenn diese im Erhebungsmitgliedstaat beschlagnahmt werden. Einfuhrumsatzsteuer entsteht, wenn eine Ware vor der Sicherstellung im Erhebungsgebiet dort in den Wirtschaftskreislauf der EU eingegangen ist. Dies setzt eine über den Transit hinausgehende Behandlung der Ware voraus, die zur Entstehung eines steuerbaren Umsatzes geführt hat oder führen würde.

Zigaretten also, die nach 50 Minuten im Transit in einen anderen Mitgliedstaat im Erhebungsmitgliedstaat beschlagnahmt wurden, sind nicht in den Wirtschaftskreislauf der Union eingegangen. Zigaretten, die im Erhebungsmitgliedstaat zwischengelagert wurden, sind dort in den Wirtschaftskreislauf eingegangen, auch wenn sie zu einem unbestimmten späteren Zeitpunkt in einen anderen Mitgliedstaat weitertransportiert werden sollten.

2.

Die jüngere Rechtsprechung des EuGH zur Entstehung der Einfuhrumsatzsteuer (insbesondere die Rechtssache „Federal Express“) ist nicht auf die Entstehung der Tabaksteuer Die Tabaksteuer entsteht auch dann, wenn ein Eingang der verbrauchsteuerpflichtigen Ware in den Wirtschaftskreislauf der Europäischen Union nur unmittelbar bevorsteht. Dies ist jedenfalls dann gegeben, wenn die Ware das Gebiet der Zollstelle passiert hat.

Dieses Urteil zeigt sehr deutlich, dass bei der Entstehung von Einfuhrabgaben stets zwischen Zöllen, Einfuhrumsatzsteuer und Verbrauchsteuer (hier Tabaksteuer) unterschieden werden muss, also „eine Einfuhr nicht gleich eine Einfuhr ist“. So kann es je nach Fallgestaltung (wie vorliegend) sein, dass keine Einfuhrumsatzsteuer, aber Tabaksteuer entsteht. Die Nichtanwendbarkeit der Rechtsprechung des EuGH zur Einfuhrumsatzsteuer begründet das FG Hamburg damit, dass die Verbrauchsteuer und die Mehrwertsteuer unterschiedliche Zwecke verfolgen. Ob dies zutreffend ist, wird der Bundesfinanzhof (BFH) entscheiden. Es wurde Nichtzulassungsbeschwerde (NZB) eingelegt.

Ebenso spannend für die Praxis ist aber auch, dass das FG Hamburg sich zur Übernahme tatsächlicher Feststellungen eines strafgerichtlichen Urteils aktuell auslässt. Insbesondere im Bereich der Verbrauchsteuern ist diese Entscheidung von Relevanz, da oftmals hinter der Entstehung von Verbrauchsteuern ein strafrechtlich relevantes Verhalten, insbesondere Schmuggel (wie in dem vorliegenden Fall), steht. Nicht nur für die Frage der Verjährung der Steuer ist also die effektive Verteidigung in einem Ermittlungsverfahren wichtig. Zusammengefasst führt das FG Hamburg aus:

3.

Finanzgerichten ist es erlaubt, sich die tatsächlichen Feststellungen eines strafgerichtlichen Urteils zu eigen zu machen, wenn und soweit sie zu der Überzeugung gelangen, dass die Feststellungen zutreffen, sie nicht substantiiert bestritten und keine entsprechenden Beweisanträge gestellt werden, die nach den allgemeinen für die Beweiserhebung geltenden Grundsätzen nicht unbeachtet bleiben können. Zur Übernahme der Feststellungen des Strafgerichts bestehe insbesondere Anlass, wenn die strafgerichtliche Entscheidung bereits rechtskräftig geworden ist.

Einreihung von Bienenwachs in die Unterposition 1521 9099

Mit Vorlage-Beschluss vom 14.04.2020 (AZ 4 K 141/17) hat das FG Hamburg im Zuge eines Klageverfahrens gegen eine verbindliche Zolltarifauskunft (vZTA) entschieden, den EuGH zwecks Einreihung von Bienenwachs einzubinden. Streitig ist zwischen den Beteiligten des Klageverfahrens, ob es sich bei dem in die EU importierten Bienenwachs um „rohen Bienenwachs“ der Unterposition 15219091 KN oder „anderes Bienenwachs“ der Unterposition 15219099 KN handelt. Streitpunkt ist, dass das Bienenwachs im Ausland „geschmolzen“ wurde, so dass es nicht mehr als „roh“ bezeichnet werden können soll.

Dieser Vorlage-Beschluss beweist wieder einmal, wie viele ungeklärte zolltarifrechtliche Fragen es noch gibt und dass diese in der Regel nur im Ansatz oder auch gar nicht durch die Erläuterungen zur KN geklärt werden (können). Dies gilt insbesondere auch deswegen, weil es die Erläuterungen in unterschiedlichen Sprachfassungen gibt, die in ihrem Verständnis sehr unterschiedlich sein können. Der EuGH muss nun über deren Auslegung entscheiden, d.h. folgende Fragen beantworten:

1.

Sind die Erläuterungen zur Unterposition 1521 9099 der Kombinierten Nomenklatur anwendbar, soweit darin das Wort „geschmolzen“ verwendet wird?

2.

Falls die erste Vorlagefrage verneint werden sollte: Ist der Begriff „roh“ im Sinne der Unterposition 1521 9091 der Kombinierten Nomenklatur so auszulegen, dass Bienenwachs, das im Ausfuhrland eingeschmolzen worden ist und von dem anlässlich des Einschmelzens Fremdkörper mechanisch abgeschieden wurden, wobei noch Fremdkörper im Bienenwachs verbleiben, in diese Unterposition einzureihen ist?

Pflichten bei der Lagerung von Waren

Der Beschluss des FG Hamburg vom 29.04.2020 (AZ 4 V 27/20) beschäftigt sich mit der Abgrenzung von Verstößen gegen Pflichten in Bezug auf die Lagerung von Waren und das Entziehen von Waren aus der zollamtlichen Überwachung. Die Relevanz dieser Abgrenzung ist einem noch aus der „guten alten Zeit des Zollkodex (ZK)“ bekannt, wonach Pflichtenverstöße, nicht aber Entziehungen geheilt werden konnten. Nunmehr dreht es sich in der Praxis oftmals darum, ob sich der Verstoß auf das Zollverfahren ausgewirkt hat und falls nicht, ob eine „Heilung“ daran scheitert, dass ein Täuschungsversuch vorliegt. So heißt es in Art. 124 Abs. 1 Buchst. h UZK zusammengefasst:

„Eine nach Art. 79 UZK entstandene Einfuhrzollschuld erlischt, wenn der Verstoß, durch den die Zollschuld entstanden ist, keine erheblichen Auswirkungen auf die ordnungsgemäße Abwicklung des betreffenden Zollverfahrens hatte und kein Täuschungsversuch war, sowie nachträglich alle notwendigen Formalitäten erfüllt werden, um die Situation der Ware zu bereinigen.“       

Über das Merkmal “Täuschungsversuch“ wird seitens der Zollverwaltung in der Regel versucht, ein Erlöschen der Zollschuld zu verneinen. Bislang lag keine Rechtsprechung zum „Täuschungsversuch“ vor. Das FG Hamburg hat nunmehr zusammengefasst entschieden:

1.

Eine Täuschung kann auch durch Unterlassen erfolgen.

2.

Offensichtliche Fahrlässigkeit reicht für einen Ausschluss nicht vor.

Vorliegend war es so, dass der Klägerin bewilligt war, Teppiche zu Ansichtszwecken für die Dauer von 12 Wochen aus dem Zolllager zu entfernen. 2016 importierte die Klägerin Teppiche aus dem Iran und verbrachte diese direkt zu einer Messe, ohne diese zuvor in das Zolllager zu verbringen.

Nach Ansicht des FG Hamburg handelt es sich dabei (was ich bereits für fragwürdig erachte) um einen Verstoß gegen die aus der Nutzung des Zolllagers obliegenden Pflichten, weil die Teppiche weder zunächst körperlich in das Zolllager verbracht wurden, noch in den Beständen aufgezeichnet wurden.

Allerdings schließt das FH Hamburg einen Täuschungsversuch aus. In dem Urteil heißt es:

„Dass die Antragstellerin es pflichtwidrig versäumt hat, die Waren rechtzeitig ins Zolllager zu bringen und in den Bestandsaufzeichnungen anzuschreiben, ist überwiegend wahrscheinlich.

Fraglich ist jedoch, ob dies als Täuschungsversuch zu werten ist. Der Antragsgegner unterstellt, dass die Antragstellerin bewusst gegen zollrechtliche Pflichten verstoßen habe. Selbstverständlich muss ein Zollbeteiligter seine zollrechtlichen Pflichten kennen. Die Antragstellerin hätte sich über den Inhalt der Bewilligung und die einschlägigen Vorschriften informieren müssen, ob eine verspätete Einlagerung der Waren von der Bewilligung gedeckt ist.

Der Pflichtenverstoß indiziert jedoch noch nicht die vorsätzliche – also bewusste und jedenfalls bedingt gewollte – Täuschung. Es ist nämlich mindestens ebenso möglich, dass sich die Antragstellerin aus Nachlässigkeit in der ihr vorgeworfenen Weise verhalten hat und einem Rechtsirrtum unterlegen ist. Es ist möglich, dass die Antragstellerin die Bedingungen der Bewilligung fehlinterpretiert hat. Auch aus informierter Laiensicht ist es nicht fernliegend, die Möglichkeit, die Waren vorübergehend aus dem Zolllager entfernen zu dürfen, so zu verstehen, dass sie auch zeitlich verzögert eingelagert werden dürfen. […]

Gegen einen Täuschungsversuch und für einen – möglicherweise auch grob – fahrlässigen Rechtsirrtum spricht darüber hinaus der Umstand, dass es ohne erheblichen Mehraufwand in zollrechtskonformer Weise möglich gewesen wäre, den von der Antragstellerin gewünschten Erfolg – Direkttransport der Teppiche zur Messe in A ohne vorherige Einlagerung in B – zu erreichen. Sie hätte die Teppiche zunächst beim ZA A-1 in die vorübergehende Verwendung (Art. 250 UZK; Art. 236 UZK-DelVO) überführen können. Dieses Verfahren hätte sie dort auch beenden und die Teppiche sodann – wie dies auch geschehen ist – in das Zolllagerverfahren überführen können.

Letztlich hängt es von der Bewertung der Umstände des Einzelfalls ab, ob ein Täuschungsversuch anzunehmen ist. Hierzu werden im Hauptsacheverfahren ggf. die Personen zu hören sein, die bei der Antragstellerin zollrechtlich verantwortlich sind.“

Eine „richtige Definition“ eines Täuschungsversuchs nimmt das FG Hamburg nicht vor. Allerdings grenzt das FG Hamburg den „Täuschungsversuch“ von der einem „Rechtsirrtum“ ab. Ein solcher „Rechtsirrtum“ ist in der Praxis aufgrund der Komplexität des Zollrechts und dem Inhalt von Bewilligungen und deren Formulierungen nicht selten. Wichtig ist, dass das FG Hamburg feststellt:

  • „Die Täuschungsabsicht wird nicht durch den objektiven Pflichtverstoß indiziert, sondern muss im Einzelfall festgestellt werden.“

Damit steht zwar fest, dass sich die Zollverwaltung weiterhin bei Erlass des Zollbescheides ohne nähere Begründung „behaupten“ kann, dass ein Täuschungsversuch gegeben ist. Vor Gericht jedoch wird dies nicht mehr ausreichen. Sowohl für die Zollverwaltung als auch den Wirtschaftsbeteiligten bedeutet dies, sich mit den Umständen des Einzelfalls im Detail auseinanderzusetzen, um die jeweiligen Erfolgsaussichten einschätzen zu können. Dies reicht von der Auseinandersetzung mit der Organisation des Zolllagers bis hin zu Interviews mit den für das Zolllager verantwortlichen Mitarbeitern und was sich diese „gedacht haben“.

Haben Sie Interesse an den Urteilen? Gerne übersenden wir diese. Haben Sie Rückfragen oder Unterstützungsbedarf? Nehmen Sie gerne Kontakt auf: Talke.Ovie@hlw-muenster.de

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